Strich um Strich zur Auferstehung
- Als die Schwestern im Kloster Eschenbach noch Osterkerzen produzierten, hatte Lucia Zehnder mehrmals interessiert nach den Herstellungsschritten gefragt. Doch die Schwestern schwiegen stets hartnäckig.
- Vor einigen Jahren hat die Katechetin aus Oberrohrdorf deshalb selber zu Wachs und Pinsel gegriffen und einfach probiert.
- Seither gestaltet Lucia Zehnder Osterkerzen vom Entwurf bis zum fertigen Kunstwerk in Handarbeit.
In Lucia Zehnders Untergeschoss machen sich Waschmaschine und Tumbler breit, als versuchten sie zu betonen, dass dieser Raum ein Keller ist. Doch die zwei stehen auf verlorenem Posten. Sie sind das einzig Profane in einem Raum voller Farben und Ideen. «Mein Atelier», erklärt Lucia Zehnder.
Liebe zum Handwerk
Die Liebe zum Handwerk zieht sich durch das Leben der Katechetin aus Oberrohrdorf. Gelernt hat sie Portefeuillerin, einen Beruf, der heute in die Sattlerlehre integriert ist. Als Expertin für Feinlederwaren fertigte sie Taschen, Mappen und Portemonnaies, zuerst für Bally, dann im eigenen Atelier.
Im Jahr 2005 trat sie die Stelle als Sakristanin in Niederrohrdorf an, später machte sie die Ausbildung zur Katechetin. Das Flair für Materialien, Farben und Formen brachte Lucia Zehnder in ihre neuen Berufe ein. So fuhr sie jedes Jahr mit einer Kollegin ins Kloster Eschenbach, um die Osterkerze für die beiden Rohrdorfer Kirchen auszuwählen.
Eisern gehütetes Geheimnis
Für die farbigen Motive trugen die Eschenbacher Schwestern den Wachs mit dem Pinsel auf die Kerze auf. Doch über die einzelnen Arbeitsschritte gaben sie keine Auskunft. Auch als Lucia Zehnder mehrmals interessiert nachfragte, schwieg die verantwortliche Schwester eisern. «Sie erwähnte einzig, dass sie die fertigen Kerzen mit Schnaps poliere», erinnert sich Lucia Zehnder.
200 Kerzen in Handarbeit
Als die Eschenbacher Schwestern die Kerzenproduktion einstellten, griff Lucia Zehnder selber zum Pinsel. Seit 2018 gestaltet sie die Osterkerzen für die Kirche St. Martin in Oberrohrdorf und das Kirchenzentrum Guthirt in Niederrohrdorf. Die Heimosterkerzen – die kleineren Kerzen, welche die Leute für zuhause kaufen – fertigen Frauen aus der Pfarrei mit dem gleichen Motiv in Handarbeit an. Etwa 200 Stück braucht es pro Jahr. Weil im vergangenen Jahr wegen Corona die Gottesdienste in der Fastenzeit und über Ostern ausfielen, verkaufte die Pfarrei sogar deutlich mehr Kerzen.
Die wichtigste Kerze in der Liturgie
Die Osterkerze ist die wichtigste Kerze in der Liturgie. Während der Osterzeit steht sie im Altarraum und brennt bei jedem Gottesdienst. Auch während des Jahres bis zum nächsten Osterfest begleitet die Osterkerze das Leben der christlichen Gemeinde. Sie brennt bei jeder Taufe und bei jedem Begräbnis. Die Prozession mit der Osterkerze zu Beginn der Osternacht ist einer der eindrücklichsten Augenblicke im Kirchenjahr. Am Feuer wird die Osterkerze angezündet und die Menschen machen sich in ihrem Schein auf den Weg in die Kirche. In die schweigende Prozession hinein ruft der Gemeindeleiter drei Mal: «Lumen Christi» (Christus, das Licht) und die Gemeinde antwortet mit «Deo Gratias» (Dank sei Gott). Die Umstehenden reichen das Licht weiter. Die Kirche wird hell: Das Licht ist stärker als das Dunkel, das Leben stärker als der Tod.
Klassisch werden Osterkerzen mit dem Kreuz, der aktuellen Jahreszahl und den griechischen Buchstaben Alpha und Omega verziert. Manchmal ist das Kreuz als Zeichen für die Wundmale Christi mit fünf Wachs oder Weihrauch’nägeln’ verziert. Häufige Symbole auf Osterkerzen sind Fisch, Baum, Samenkorn, Zweig, Regenbogen, Taube, Osterlamm, Wein und Brot. (liturgie.ch/mca)
Hoffnung und Neuanfang
«Vor Weihnachten habe ich meist eine erste Idee. Danach zeichne ich einen Entwurf und erstelle eine erste Kerze», zählt Lucia Zehnder auf. «Die Testkerze stelle ich ins Wohnzimmer, lasse das Sujet wirken und frage meine Töchter und meinen Mann nach ihrer Meinung.» Wenn sie das Motiv für eine Osterkerze austüftelt, überlegt die Katechetin auch, ob die fertige Kerze zum Kerzenständer und zur Kirche passt. «Beim Design versuche ich, mit einfachen Formen zu arbeiten. Ich schaffe eher moderne Motive und stelle die Auferstehung, den Neuanfang und die Hoffnung ins Zentrum.» Für die aktuelle Osterkerze hat sie ein ockerfarbenes Samenkorn in brauner Erde entworfen, aus dem zarte grüne Blätter hinauf ins gelb-orange Licht spriessen.
Die Auswahl der Farben ist Lucia Zehnder wichtig: Der braune Untergrund verweist auf Dunkelheit und Tod, während Grün Wachstum und Hoffnung symbolisiert und das Gelb-orange für das Licht und die Auferstehung stehen.
Meditative Arbeit
Bei der Arbeit an der Kerze verwendet Lucia Zehnder zwei verschiedene Techniken. Teile des Motivs trägt sie mit flüssigem Wachs auf, andere Teile schneidet sie aus Wachsplättchen zurecht und klebt diese auf. Den flüssigen Wachs gewinnt sie aus Kerzenresten, die sie im Wasserbad einschmilzt. Mit Pigmenten oder Resten von Wachsplättchen verleiht Lucia Zehnder dem Wachs dann die gewünschte Farbe.
Vor dem Malen klebt sie mit Folie die Stellen ab, die weiss bleiben sollen. Dann streicht sie den flüssigen Wachs direkt auf die Kerze, mit raschen, kurzen Pinselstrichen. Schicht um Schicht wächst das Motiv, bekommt Farbe und Struktur. «Für mich eine fast meditative Arbeit», sagt die Katechetin.
Anzünden
Wo die Eschenbacher Schwestern mit Schnaps hantierten, greift Lucia Zehnder zum Benzin. Es entfernt bei der Schlusspolitur Farbspritzer oder Fingerabdrücke. Das fertige Werk wird in der Osternacht entzündet: «‹Meine› Kerze zum ersten Mal brennen zu sehen, ist ein besonderer Moment, der mich jedes Mal berührt.»