Vor hundert Jahren — und leider auch heute

Von Brem­garten bis Zuz­gen läuten mor­gen Fre­itagabend, 24. April, um 19 Uhr für fünf Minuten die Kirchen­glock­en. Es ist ein Zeichen der Sol­i­dar­ität zum 100. Gedenk­tag des Völk­er­mordes an den Arme­niern, aber auch für all die Chris­ten, die heute wegen ihres Glaubens ver­fol­gt wer­den. Die Arbeits­ge­mein­schaft Christlich­er Kirchen (AGCK) in der Schweiz hat ihre Mit­glied­skirchen zu Gedenkgottes­di­en­sten und zum gemein­samen Glock­en­geläut aufgerufen.Am Fre­itag, 24. April 2015 jährt sich zum hun­dert­sten Mal der Beginn des Völk­er­mordes an den Arme­niern. Der 24. April 1915 gilt als der Tag, an dem im Osman­is­chen Reich die Depor­ta­tio­nen und Mas­sak­er an der armenis­chen Min­der­heit ihren Anfang nah­men. Die junge türkische Regierung liess über 200 armenis­che Intellek­tuelle, Poli­tik­er und Geistliche in Istan­bul, damals noch Kon­stan­tinopel, fes­t­nehmen und grössten­teils töten. In den Jahren 1915/16 fol­gten Mas­sak­er und Depor­ta­tio­nen in die nordsyrische Wüste. Unzäh­lige Arme­nier, die die Todesmärsche über­lebten, star­ben an Hunger, Erschöp­fung und Krankheit­en. Vor dem Ersten Weltkrieg hat­ten schätzungsweise mehr als zwei Mil­lio­nen Arme­nier im Gebi­et der heuti­gen Türkei gelebt, heute leben dort noch 50’000 bis 60’000 Men­schen dieser christlichen Min­der­heit. Die Säu­berungsak­tio­nen der jungtürkischen Regierung trafen nicht nur die Arme­nier, son­dern auch Assyr­er und Aramäer, eben­falls Chris­ten, sowie die Min­der­heit der Griechen. 1915/16 sollen Stu­di­en zufolge bis zu einein­halb Mil­lio­nen Arme­nier ums Leben gekom­men sein. Das Ver­brechen an den Arme­niern gilt heute als erster organ­isiert­er Völk­er­mord des 20. Jahrhun­derts.Chris­ten sind die am meis­ten ver­fol­gte Reli­gion­s­ge­mein­schaft Zum 100. Gedenk­tag des Genozids an den Arme­niern rief die Arbeits­ge­mein­schaft Christlich­er Kirchen (AGCK) in der Schweiz ihre Mit­glied­skirchen dazu auf, der Opfer des armenis­chen Völk­er­mordes und ihrer Ange­höri­gen beson­ders im Gebet zu gedenken und schlägt dafür den jew­eili­gen Son­ntags­gottes­di­enst vom 26. April vor. Ausser­dem bit­tet die AGCK die Kirchge­mein­den, dem Wun­sch der Armenisch Apos­tolis­chen Kirche der Schweiz zu entsprechen und am Fre­itagabend, den 24. April, um 19 Uhr, während fünf Minuten die Glock­en ihrer Kirchen als Zeichen des Mit­ge­fühls zu läuten. Laut dem christkatholis­chen Bischof Har­ald Rein, derzeit­iger Präsi­dent der AGCK, will die Arbeits­ge­mein­schaft dem Gedenken an den Genozid viel Raum geben. Ein­er­seits weil der Genozid und die damit ein­herge­hende Zwang­sis­lamisierung vor hun­dert Jahren bis heute the­ol­o­gis­che, soziale, poli­tis­che und psy­chol­o­gis­che Fol­gen habe, ander­er­seits weil die Chris­ten auch heute noch die weltweit am meis­ten ver­fol­gte Reli­gion­s­ge­mein­schaft sind. In einem Inter­view mit Radio SRF2 am Son­ntag, 19. April 2015 betonte Har­ald Rein, dass die Kirche und die Poli­tik Europas zu den aktuellen Chris­ten­ver­fol­gun­gen im Nahen Osten nicht schweigen dürfe. Eben­so erk­lärte er, dass er es sehr bedauer­lich finde, dass sich der Schweiz­er Bun­desrat nicht dazu durchrin­gen kann, den Völk­er­mord an den Arme­niern öffentlich anzuerken­nen – aus falsch­er Rück­sicht auf die Türkei, wie er find­et. So gese­hen solle der Gedenk­tag auch Appell an die poli­tis­che Schweiz sein.Schmerz auch nach hun­dert Jahren Die Arme­nier sehen in den Geschehnis­sen der Jahre 1915/16 ein ungesüh­ntes Unrecht und fordern seit Jahrzehn­ten ein angemessenes Gedenken auch in der Türkei. Dage­gen bestre­it­en die offizielle türkische Geschichtss­chrei­bung und die Regierung der aus dem Osman­is­chen Reich her­vorge­gan­genen Repub­lik Türkei, dass es über­haupt einen Völk­er­mord gegeben habe. Sie beze­ich­nen die Depor­ta­tio­nen als «kriegs­be­d­ingte Sicher­heits­maß­nah­men», die notwendig gewor­den seien, da die Arme­nier das Osman­is­che Reich ver­rat­en, seine dama­li­gen Kriegs­geg­n­er unter­stützt und ihrer­seits Mas­sak­er an Mus­li­men began­gen hät­ten. Der Stre­it um die Anerken­nung des Genozids als his­torische Tat­sache belastet bis heute die Beziehun­gen zwis­chen der Türkei und Arme­nien. Erzbischof Karekin Bekd­jian, Pri­mas der Diözese der Armenis­chen Kirche in Deutsch­land, schrieb kür­zlich zum The­ma: «Diese unbeschreib­liche men­schliche Tragödie, die wir Arme­nier «Aghed» (Katas­tro­phe) nen­nen, hat nicht nur min­destens 1,5 Mil­lio­nen Opfer gefordert, son­dern auch die gesamte wes­t­ar­menis­che Kul­tur mit tausenden Kirchen, Klöstern und Schulen zer­stört. Über­lebende wur­den oft zwang­sis­lamisiert oder weltweit zer­streut, unzäh­lige Kinder wur­den zu Waisen. Die Wunde, die dieser Völk­er­mord hin­ter­lassen hat, schmerzt und blutet auch nach hun­dert Jahren noch, nicht zulet­zt auch deshalb, weil die Nachkom­men der Täter diese his­torische Tat­sache nach wie vor ver­leug­nen. 2015 gedenken wir ein weit­eres Mal der Opfer des Völk­er­mordes an den Arme­niern und tun dies in öku­menis­ch­er Gemein­schaft. Wir danken unseren Geschwis­tern ander­er Kon­fes­sio­nen für die ent­ge­genge­brachte Sol­i­dar­ität.»Sol­i­dar­ität auch im Aar­gau Sol­i­darisch zeigen sich auch viele Pfar­reien im Aar­gau. Alexan­der Pasa­li­di, Pfar­rer in Wegen­stet­ten, sagt: «Wir wer­den uns der Ein­ladung der AGCK anschliessen und als Zeichen des Mit­ge­fühls in unseren Gemein­den läuten. In Wegen­stet­ten, Hel­likon und Zuz­gen läuten die Glock­en.» Aber auch in den Pfar­reien Bad Zurzach, Bir­men­storf, Brem­garten, Dot­tikon, Geben­storf, Kaiser­augst, Koblenz, Lenzburg, Neuen­hof, Oeschgen, Rothrist-Mur­gen­thal, Sar­men­storf, Schneisin­gen-Siglis­torf, Suhr-Gränichen, Unterkulm, Wildegg, Wohlen und Zeinin­gen verkün­den die Kirchen­glock­en Sol­i­dar­ität mit den Opfern der Chris­ten­ver­fol­gung — vor hun­dert Jahren, aber auch heute.Ver­hin­derung eines Genozids im Nahen Osten Auch die christliche Men­schen­recht­sor­gan­i­sa­tion Chris­t­ian Sol­i­dar­i­ty Inter­na­tion­al (CSI) ruft zum Gedenken auf. CSI legt den Akzent aber vor allem auch auf die Ver­hin­derung eines weit­eren Genozids heute im Nahen Osten. Beim 100. Gedenk­tag an 1915 müsse es auch um die exis­ten­zielle Bedro­hung der Nachkom­men von Über­leben­den in der Gegen­wart gehen, schreibt die Organ­i­sa­tion. Neben der Anerken­nung des Genozids durch Bun­desrat und Türkei fordert sie den Stopp der religiösen Säu­berung in Syrien und im Irak, der die Nachkom­men von Über­leben­den des Genozids von 1915 heute zum Opfer fall­en. CSI appel­liert mit ein­er Peti­tion an Bun­desrat Didi­er Burkhal­ter, dem Ein­satz für religiöse Min­der­heit­en im Nahen Osten höch­ste Pri­or­ität zu geben. Meen­schen­recht­sak­tivist John Eib­n­er machte sich in Syrien ein Bild über die Lage der Reli­gion­s­min­der­heit­en. Im Gespräch mit Tagesanzeiger.ch/Newsnet berichtete er über die Erken­nt­nisse und Ein­drücke sein­er Syrien-Reise. «Eines der grossen Dra­men des Syrien-Krieges sind die religiösen Säu­berun­gen.», sagte er gegenüber der Zeitung. In Homs und Maaloula zum Beispiel hät­ten die sun­ni­tis­chen Extrem­is­ten inner­halb der Rebel­len­grup­pen Säu­berun­gen gegen Chris­ten und andere Reli­gion­s­min­der­heit­en durchge­führt. In diesen Gebi­eten wur­den Chris­ten Opfer von Mor­den und Enteig­nun­gen, es wur­den Kirchen geschän­det und religiöse Sym­bole zer­stört. Aber auch Alaw­iten und mod­er­ate Sun­niten flo­hen vor den Rebellen. In einem Kom­men­tar in der «Schweiz am Son­ntag» schreibt John Eib­n­er dazu: «Wenn diese Entwick­lung nicht aufge­hal­ten wird, wer­den die bib­lis­chen Län­der im Nahen Osten – mit Aus­nahme von Israel – bald der bib­lis­chen Völk­er beraubt sein. Die Juden wur­den bere­its in den 1950er- und 60er-Jahren aus den mehrheitlich sun­ni­tis­chen Län­dern des Nahen Ostens ver­jagt. Jet­zt sind die Chris­ten an der Rei­he. ‚Auf den Sab­bat fol­gt der Son­ntag’, wie oft gesagt wird, wenn es um das Ver­schwinden der Chris­ten aus dem Nahen Osten geht.»Keime ein­er friedlicheren Men­schheit Auch Papst Franziskus hat die Welt­ge­mein­schaft zum Han­deln im Nahen Osten aufgerufen. Beim diesjähri­gen Ostersegen auf dem Peter­splatz sagte er: «Die inter­na­tionale Gemein­schaft möge nicht untätig bleiben angesichts der immensen men­schlichen Tragödie im Inneren dieser Län­der und des Dra­mas unzäh­liger Flüchtlinge.» Der Lärm der Waf­fen in Syrien und im Irak müsse aufhören und ein friedlich­es Zusam­men­leben aller Grup­pen wieder hergestellt wer­den Papst Franziskus erin­nerte daran, dass beson­ders Chris­ten von der Gewalt und den Kriegen auf der Welt betrof­fen sind. Chris­ten seien die Keime ein­er friedlicheren Men­schheit.   Marie-Chris­tine Andres / kath.ch Ver­anstal­tun­gen zum 100. Gedenk­tag des Genozids an den Arme­niernRequiem für die 1,5 Mil­lio­nen Ermorde­ten Fre­itag, 24. April, 13.30 Uhr
Eglise St-Hagop, Troinex-Genève.
Die Kirchen­glocke wird 100 mal anschla­gen für die 100 ver­gan­genen Jahre.Gedenkkonz­ert mit sakraler Musik Fre­itag, 24. April 2015, 19.15 Uhr
, Bern­er Mün­ster. Mit Rez­i­ta­tio­nen in Deutsch, Armenisch und Franzö­sisch, Musik aus dem Requiem und 
Stel­lung­nah­men von Schweiz­er Poli­tik­ern.Requiem für die Opfer Sam­stag, 25. April, 19.15 Uhr, 
Fraumün­ster Zürich.Konz­ert zum Gedenken Sam­stag,
 25. April, 19.30 Uhr
, in der Kirche Hundwil/Appenzell.Gottes­di­enst zum Gedenken Son­ntag, 
26. April, 10 Uhr
, in der Kirche von Muri bei Bern. «Erin­nern — nicht Vergessen»: «ER hört mein Kla­gen» (Psalm 55,18) Man­u­schak Kar­nu­sian erin­nert an ihre Grossel­tern und den Völk­er­mord an den Arme­niern vor 100 Jahren. Pfar­rer Christoph Knoch richtet den Blick auf die Sit­u­a­tion der Chris­ten in Syrien und im Irak heute.
 Mit Tali­ta Kar­nu­sian, Geige, Micha Hor­nung, Akko­rdeon. Man­u­schak Kar­nu­sian, Texte. Christoph Knoch, Predigt, Liturgie, Taufe. Chris­tine Heggen­dorn, Orgel.Konz­ert mit armenis­chen Liedern Sam­stag, 6. Juni, 17 bis 17.45
 Uhr Eglise Saint-François, Lau­sanne. Anschliessend protes­tantis­ch­er Gottes­di­enst, Sam­stag, 6. Juni, 18 Uhr
Mit Gebet für die Ver­fol­gten im Mit­tleren Osten.Öku­menis­ch­er Gottes­di­enst Son­ntag, 7. Juni, 18 Uhr
Kathe­drale Lau­sanne. Mit Vertretern der armenis­chen und der syrischen
Kirchen sowie den Mit­glied­skirchen der AGCK Waadt. Arbeits­ge­mein­schaft Christlich­er Kirchen (AGCK) in der Schweiz Die AGCK ist eine nation­al tätige öku­menis­che Plat­tform in der Schweiz. Sie wurde 1971 gegrün­det. Zehn Kirchen sind Mit­glied, unter anderem der Schweiz­erische Evan­ge­lis­che Kirchen­bund (SEK), die Römisch-katholis­che Kirche der Schweiz, die Christkatholis­che Kirche der Schweiz, christlich-ortho­doxe und weit­ere Kirchen. Sie haben 2005 in St. Ursanne die Char­ta Oec­u­meni­ca unterze­ich­net. Das Doku­ment nen­nt Selb­stverpflich­tun­gen im Ver­hal­ten der Kirchen untere­inan­der, gegenüber der Gesellschaft und anderen Reli­gio­nen und Weltan­schau­un­gen, ins­beson­dere dem Juden­tum und dem Islam. 
Marie-Christine Andres Schürch
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