Stol­per­stein Selbstverleugnung

Stol­per­stein Selbstverleugnung

Mat­thä­us 16,24fDar­auf sag­te Jesus zu sei­nen Jün­gern: Wenn einer hin­ter mir her­ge­hen will, ver­leug­ne er sich selbst, neh­me sein Kreuz auf sich und fol­ge mir nach. Denn wer sein Leben ret­ten will, wird es ver­lie­ren; wer aber sein Leben um mei­net­wil­len ver­liert, wird es finden.Ein­heits­über­set­zung 2016 

Stol­per­stein Selbstverleugnung

Tat­säch­lich fin­de ich die­ses Wort in der neu­en Ein­heits­über­set­zung der Bibel wie­der: «Selbst­ver­leug­nung». Ich hat­te ange­nom­men, es sei end­gül­tig auf dem Schei­ter­hau­fen der reli­giö­sen Wör­ter gelan­det, mit denen unend­lich viel Leid ange­rich­tet wor­den ist. Selbst­ver­leug­nung ist Selbst­ver­rat und wird nie zu ech­ter Jün­ger­schaft, zu ech­ter Nach­fol­ge füh­ren!Sehr erin­nert die­se Ver­leug­nung an den Ver­rat des Petrus, der sei­ne Bezie­hung zu Jesus wäh­rend des Pro­zes­ses abstritt. Er hat bit­ter bereut, nicht zu sei­nem Freund, damit aber auch nicht zu sich selbst gestan­den zu sein. So wird die Selbst­ver­leug­nung zu einem Ver­rat an sich selbst und führt zum Selbst­ver­lust, zur Selbst­zer­stö­rung. Wie soll ein rei­fer, glaub­wür­di­ger Mensch ent­ste­hen, der sich selbst ver­leug­net?Gera­de am Tag des hl. Mein­rad, des Mönchs, der zum Ursprung des Klo­sters Ein­sie­deln wur­de, wird die­ses Wort im Evan­ge­li­um gele­sen. Da erin­nert man sich unwei­ger­lich an frü­he­re Erzie­hungs­me­tho­den in man­chen Klö­stern: Es muss­te «das Selbst» eines Novi­zen, mehr noch einer Novi­zin gebro­chen wer­den, damit eine selbst­lo­se Per­son ent­stand, die einem gewis­sen Glau­bens­ide­al ent­sprach. Längst hat sich das geän­dert, und statt Selbst­ver­leug­nung wird Selbst­fin­dung geübt, was zwei­fel­los för­der­li­cher ist für die Ent­wick­lung authen­ti­scher Men­schen.Auch aus­ser­halb des Glau­bens­le­bens gibt es Selbst­ver­leug­nung. Ich ken­ne vie­le Schwei­zer (hier für ein­mal mehr Män­ner), die ihre aus­län­di­sche Her­kunft ver­leug­nen. Ande­re ver­leug­nen ihr Frau- oder Mann-Sein, weil sie eine geschäfts­taug­li­che Per­son sein möch­ten. Wie­der ande­re ver­leug­nen ihre Schicht­zu­ge­hö­rig­keit, ihre sexu­el­le Ori­en­tie­rung, ihre Wün­sche. Viel wird ins gut gehü­te­te Geheim­nis ver­drängt, um sich irgend­wel­chen frem­den Ide­al­vor­stel­lun­gen anzu­pas­sen. Sehr viel Leben wur­de und wird durch Selbst­ver­leug­nung zer­stört!Das Wort taucht im Mat­thä­us­evan­ge­li­um in einer Jesus­re­de über Nach­fol­ge auf. Was könn­te Jesus gemeint haben? Im glei­chen Satz steht der Rat Jesu: «… der neh­me sein Kreuz auf sich», der neh­me also sich selbst an, statt sich zu ver­leug­nen, mit allen Feh­lern und Lei­den, mit allen Brü­chen und Ecken. Das ent­spricht der hei­len­den Pra­xis Jesu, der lei­den­de Men­schen zur lie­ben­den Annah­me ihres Lebens führt, auch wenn das oft weh tut.Wer wie ich die Selbst­ver­leug­nung als Metho­de abschaf­fen will, muss sich fra­gen, was wirk­lich gemeint sein könn­te. Nur wer sein Ego kennt, kann sei­ne Ansprü­che auch rela­ti­vie­ren. Kurz­fri­sti­ge Wün­sche und Begier­den ste­hen den viel­leicht müh­sa­men Selbst­wer­dungs­we­gen ent­ge­gen. Es geht kei­nes­wegs um die Abschaf­fung von Dis­zi­plin und Ego­über­win­dung. Es gibt vie­le Men­schen, denen tie­fe­re Zie­le wich­ti­ger sind als ober­fläch­li­che Leich­tig­keit. Manch­mal muss man den Spass hin­ter sich las­sen, um zur Freu­de zu gelan­gen.Lesen Sie doch bit­te den Aus­schnitt aus dem Evan­ge­li­um noch­mals und erset­zen Sie das «schlim­me» Wort durch ein bes­se­res, zum Bei­spiel «… der ach­te sich selbst und fol­ge mir…». Das Jesus­wort wird dadurch nicht weni­ger pro­vo­ka­tiv, der Anspruch Jesu nicht gerin­ger. Klei­ner aber wird die Angst in der Brust des Jün­gers, der Jün­ge­rin. Nur wer sich kennt, kann sich hint­an­set­zen, kann sich ein­set­zen für ande­re und für gros­se Zie­le. Die Angst, durch selbst- oder fremd­ver­ord­ne­te Anpas­sung Scha­den zu neh­men und zu einer aus­ge­höhl­ten Fas­sa­de zu wer­den, die­se Angst wird abneh­men. Das ist die befrei­en­de Ein­la­dung Jesu.Lud­wig Hes­se, Theo­lo­ge, Autor und Teil­zeit­schrei­ner, war bis zu sei­ner Pen­sio­nie­rung Spi­tal­seel­sor­ger im Kan­ton Baselland 
Redaktion Lichtblick
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