Sol­che «Miss­ver­ständ­nis­se» scha­den der Kirche

Der Chu­rer Bischof Vitus Huon­der hat mit sei­nem Vor­trag zu Ehe und Fami­lie ein­mal mehr in ein Wes­pen­nest gesto­chen. Die Reak­tio­nen auf sei­ne Zita­te aus dem Alten Testa­ment der Bibel zu Homo­se­xua­li­tät erfor­der­ten sodann – auch das ist nicht neu – eine Stel­lung­nah­me aus Chur, in der sich der Bischof «falsch ver­stan­den» bezeich­net. Die­se Aus­sa­ge muss­te gleich noch ein­mal für Auf­ruhr sorgen.Kann man so etwas ein Miss­ver­ständ­nis nen­nen? Ein Bischof äus­sert sich zu Fra­gen von Fami­lie, Ehe, Sexua­li­tät und misst dies am Wort­laut ein­zel­ner Bibel­stel­len. Dabei ver­wen­det er unter ande­rem zwei Pas­sa­gen aus dem alt­te­sta­ment­li­chen Buch Levi­ti­kus, das aus Sicht der Bibel­wis­sen­schaft unmög­lich als allei­ni­ge Grund­la­ge für eine sol­che Aus­ein­an­der­set­zung her­an­ge­zo­gen wer­den darf. Homo­se­xu­el­le Prak­ti­ken wer­den dar­in in einem Satz mit der Todes­stra­fe genannt.Dass sich homo­se­xu­el­le Men­schen durch sol­che Aus­sa­gen ver­letzt füh­len, liegt auf der Hand. Zumal im Vor­trags­text steht: «Die bei­den zitier­ten Stel­len allein wür­den genü­gen, um der Fra­ge der Homo­se­xua­li­tät aus der Sicht des Glau­bens die rech­te Wen­de zu geben.» Dass es in der erwähn­ten Stel­lung­nah­me des Bischofs dann heisst, dass er damit «in kei­ner Wei­se homo­se­xu­el­le Men­schen her­ab­set­zen woll­te», wirkt dann ziem­lich befrem­dend. Eine Ent­schul­di­gung für die ent­stan­de­ne Ver­let­zung von Homo­se­xu­el­len sucht man ver­geb­lich.

Ein gefun­de­nes Fressen

Aber hier geht es nicht nur um den Inhalt die­ser Rede. Vitus Huon­der sagt in sei­nem Vor­trag aus sei­ner Sicht nichts Neu­es zum The­ma. Es geht auch um die Wir­kung sol­cher Aus­sa­gen und des ent­spre­chen­den (Medien-)Echos auf die Kir­che. Denn beim The­ma Homo­se­xua­li­tät steht die katho­li­sche Kir­che dop­pelt im Ram­pen­licht. Zum einen gilt es, im seel­sor­ger­li­chen All­tag einen Weg zwi­schen der kirch­li­chen Lehr­mei­nung und der gesell­schaft­li­chen Wirk­lich­keit zu fin­den. Das machen, nicht nur hier­zu­lan­de, ganz vie­le Seel­sor­ge­rin­nen und Seel­sor­ger mit gros­sem Enga­ge­ment und mit viel Freu­de. Sie schaf­fen es, sich im Pfar­rei­all­tag sowohl den Bedürf­nis­sen von streng­gläu­bi­gen Katho­li­ken zuzu­wen­den, für Men­schen da zu sein, die tra­di­tio­nel­le Regeln in Fra­ge stel­len, und das Gespräch mit Glau­bens­zweif­lern zu suchen.Das alles gelangt kaum an die Öffent­lich­keit. Aus­sa­gen wie die des Chu­rer Bischofs aber schon. Ent­spre­chend sind auch die Reak­tio­nen in den sozia­len Netz­wer­ken ver­nich­tend. Und die­se Reak­tio­nen muss ein Bischof bei der Wahl sei­ner Wor­te vor Augen haben. Für «Miss­ver­ständ­nis­se» ist da kein Platz. Sol­che Aus­sa­gen wer­den von kir­chen­kri­ti­schen Per­so­nen mit gröss­ter Freu­de ans Licht gezerrt. Der katho­li­schen Kir­che ist damit ein Bären­dienst erwie­sen.

Auf dün­nem Eis

Zum andern bewe­gen sich Ver­tre­ter der Kir­chen­lei­tung auf dün­nem Eis, wenn sie mei­nen, ande­ren Men­schen Rat­schlä­ge in Sachen Sexua­li­tät bezie­hungs­wei­se sexu­el­ler Ent­halt­sam­keit geben zu müs­sen. Denn lei­der gab und gibt es in die­ser Kir­che zu vie­le Bei­spie­le dafür, dass Anspruch und Wirk­lich­keit weit aus­ein­an­der­lie­gen. Und hier han­delt es sich nicht um Miss­ver­ständ­nis­se, son­dern um trau­ri­ge Fak­ten. Des­halb wäre es, gera­de für Ver­tre­ter der katho­li­schen Kir­che, ange­bracht, bei Äus­se­run­gen zu Homo­se­xua­li­tät gros­se Sorg­falt wal­ten zu las­sen.Vitus Huon­der mag an der Tagung in Deutsch­land sei­ne per­sön­li­che Sicht der Din­ge dar­ge­legt haben. Den­noch bleibt er Bischof von Chur und damit Mit­glied der Schwei­zer Bischofs­kon­fe­renz. Und die­se hat auf die Bischofs­syn­ode im Okto­ber in Rom hin zum The­ma Ehe und Fami­lie einen umfas­sen­den Mei­nungs­bil­dungs­pro­zess durch­ge­führt. Dar­in wird deut­lich, dass die Schwei­zer Katho­li­kin­nen und Katho­li­ken in Fra­gen der Ehe, Sexua­li­tät, auch Homo­se­xua­li­tät, durch­aus nicht alle einer Mei­nung sind. Des­halb sol­len sol­che Fra­gen an der kom­men­den Bischofs­syn­ode auch dis­ku­tiert wer­den. – Die Ant­wor­ten ste­hen aber noch aus.Wenn nun ein ein­zel­ner Bischof aus der Schweiz in einem Vor­trag fest­hält, dass zum The­ma Homo­se­xua­li­tät in der Bibel und im Kate­chis­mus der katho­li­schen Kir­che eigent­lich alles gesagt sei, was es zu sagen gibt, nimmt er auch die erwähn­te Umfra­ge und den Pro­zess zur Erar­bei­tung einer gemein­sa­men Hal­tung der Schwei­zer Bischö­fe nicht ernst. Dass die Bischofs­kon­fe­renz sich dazu nicht äus­sert, ist noch ein­mal unver­ständ­lich.—-Die Schwei­ze­ri­sche Bischofs­kon­fe­renz lässt, wie in sol­chen Fäl­len üblich, ver­lau­ten, dass sie «die Aus­sa­gen ihrer Mit­brü­der nicht kom­men­tiert». In den Social Media gehen die Wel­len hoch doch es kommt auch eini­ges lesens­wer­tes dabei zu Tage. So zum Bei­spiel ein lesens­wer­tes Doku­ment von Ste­phan Goetz, Moral­theo­lo­ge an der Uni­ver­si­tät Mainz, dass sehr dif­fe­ren­ziert eine «Erneue­rung» der kirch­li­chen Sexu­al­mo­ral dar­legt. Sie fin­den das Doku­ment hier ver­linkt.
Anne Burgmer
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