Sinn in Tüten

Sinn in Tüten

  • In der deut­schen Diö­ze­se Rot­ten­burg-Stutt­gart kon­zi­piert eine Grup­pe Haupt­amt­li­cher einen neu­en Weg, das Evan­ge­li­um zu verbreiten
  • Glau­be und der Aus­tausch dar­über kön­nen nicht mehr von oben ver­ord­net, son­dern nur noch als Ange­bot orga­ni­siert werden
  • Das Sinn­su­cher-Pro­jekt will die Men­schen ermu­ti­gen,  mit Freun­den, Fami­lie oder Bekann­ten über Glau­bens­vor­stel­lun­gen zu sprechen
  • Die Auf­ga­be der Kir­che ist es, Mög­lich­kei­ten zum Aus­tausch zu schaf­fen, in denen sich das Evan­ge­li­um ereig­nen kann
 Am Mitt­woch, 15. Novem­ber trifft sich die Aar­gaui­sche Pasto­ral­kon­fe­renz (PK), die Ver­samm­lung aller Aar­gau­er Seel­sor­ge­rin­nen und Seel­sor­ger, in Wis­li­kofen zu ihrer Jah­res­ta­gung. Das The­ma ist «In-SPI­RIerT-sein – Impuls­ge­ben­de Pasto­ral». Die Jah­res­ta­gung ver­steht sich neben der jähr­li­chen diö­ze­sa­nen Wei­ter­bil­dung auch als Fort­bil­dungs­an­lass für die Seel­sor­gen­den auf kan­to­na­ler Ebe­ne. Des­halb lädt der Vor­stand der PK jeweils Gäste ein und orga­ni­siert Arbeits­ein­hei­ten zum The­ma. Gast­re­fe­ren­tin ist die­ses Jahr die Pasto­ral­theo­lo­gin Chri­stia­ne Bund­schuh-Schramm, die mit dem Pro­jekt «Sinn­su­cher» in der deut­schen Diö­ze­se Rot­ten­burg-Stutt­gart einen neu­en Weg der Ver­kün­di­gung mit­or­ga­ni­siert. Im Tele­fon­in­ter­view erklär­te sie, wor­um es bei die­sem Pro­jekt geht.Frau Bund­schuh-Schramm, was sol­len sich die Lese­rin­nen und Leser unter «impuls­ge­ben­der Pasto­ral» vor­stel­len? Chri­stia­ne Bund­schuh-Schramm: Hin­ter dem Begriff ste­hen meh­re­re Grund­spu­ren. Zunächst geht es dar­um, dass Glau­be und Spi­ri­tua­li­tät frei­ge­ge­ben wer­den. Wir kön­nen bei­des nicht mehr als Gesamt­pa­ket von oben nach unten ver­ord­nen. Wir kön­nen ledig­lich zur Aus­ein­an­der­set­zung mit den The­men anre­gen. Dann meint der Begriff auch: ent­decken­de Pasto­ral. Das Evan­ge­li­um ereig­net sich im Heu­te, im Jetzt, in Situa­tio­nen und in Men­schen und will ent­deckt wer­den. Schliess­lich steht dahin­ter eine kom­mu­ni­ka­ti­ve Pasto­ral, weil Gele­gen­hei­ten geschaf­fen wer­den, in denen sich Men­schen über ihren Glau­ben aus­tau­schen.Heisst das, es wird gar nicht in die­ser Form über Glau­be oder Spi­ri­tua­li­tät gespro­chen? So weit wür­de ich nicht gehen. Doch in der klas­si­schen Pasto­ral ist die reli­giö­se Kom­mu­ni­ka­ti­on oft hier­ar­chisch, nor­miert und wenig all­tags­taug­lich. Das Sinn­su­cher-Pro­jekt ist gedacht als «Reli­gi­on to go». Es geht dar­um, mit einem Mini­mum an Orga­ni­sa­ti­on ein Maxi­mum an Gele­gen­heit für den Aus­tausch im All­tag zu schaf­fen. Dabei ist wich­tig, dass wir kei­ne Kon­trol­le aus­üben, ob es letzt­lich wirk­lich in den All­tag hin­ein­spielt. Es geht dar­um Frei­heit zu schen­ken, in der sich das Evan­ge­li­um dann viel­leicht ereig­net. Wir for­dern nicht die Aus­ein­an­der­set­zung, wir ver­schen­ken die Mög­lich­keit zur Aus­ein­an­der­set­zung auf Augen­hö­he.Der Ein­druck im Bis­tum Basel ist, dass sich das The­ma hier­ar­chi­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on eher im Zusam­men­hang mit struk­tu­rel­len Ver­än­de­run­gen stellt, als bei inhalt­li­chen Fra­gen zum Glau­ben. Unab­hän­gig von einer Hier­ar­chie ist es aber in Pfarr­ge­mein­den vor Ort oft so, dass es bestimm­te, viel­leicht unge­schrie­be­ne Regeln gibt, wie man über den Glau­ben spricht. Es kann vor­kom­men, dass man sich gar nicht aus­tauscht, denn was wäre, wenn sich her­aus­stellt, dass man gar kei­nen Kon­sens inner­halb einer Pfarr­ge­mein­de hat? Viel­leicht for­mu­liert jemand etwas und eine ande­re denkt: Oh, so woll­te ich das eigent­lich auch schon sagen und habe mich nicht getraut. Auch die­se Frei­heit will das Sinn­su­cher-Pro­jekt ermög­li­chen.Jetzt haben Sie viel vom Sinn­su­cher-Pro­jekt gespro­chen. Was ist das denn genau? Das Sinn­su­cher-Pro­jekt beinhal­tet ver­schie­de­ne the­ma­ti­sche Brief­um­schlä­ge, die wir Tüten nen­nen. Es gibt zum Bei­spiel Tüten zum The­ma Weih­nach­ten, Kar­frei­tag, Ostern oder auch eine Geburts­tag­stü­te und eine Urlaub­stü­te. Wenn man die­se Tüten öff­net, ist dar­in Mate­ri­al für eine Gesprächs­run­de. Zum Bei­spiel Kar­ten, die man ein­fach vor­liest, umsetzt und so spie­le­risch ins Gespräch kommt. Manch­mal braucht man noch einen Wür­fel oder ein Eile-mit-Wei­le-Männ­chen, doch im Prin­zip könn­te man auch in der Kan­ti­ne die Schlüs­sel­bun­de auf den Tisch legen.Wer lei­tet so eine Grup­pe dann an? Das ist ver­schie­den. Es kann ein haupt­amt­li­cher Mit­ar­bei­ter im Rah­men einer Grup­pe sein oder eine Frau­en­grup­pe in der Pfarr­ge­mein­de. Es kann ein inter­es­sier­ter Mensch sein, der sich ent­schliesst, im Freun­des- oder Fami­li­en­kreis zum The­ma ins Gespräch zu kom­men. Ich weiss von einem Ehe­paar, das sich mit ande­ren trifft, wenn eine neue Tüte erschie­nen ist. Wich­tig ist uns, dass es für die Durch­füh­rung kei­nen Fach­men­schen braucht. Es geht ohne Theo­lo­gen am Tisch.Es ist also im Prin­zip Sinn in Tüten? Ja, im Prin­zip schon. Es geht nicht um Wis­sens­ver­mitt­lung, son­dern dar­um, sich ehr­lich über die The­men aus­zu­tau­schen. Zu fra­gen: Wo stol­pe­re ich und war­um? Wie ver­ste­hen die Mit­spie­ler das The­ma? Das pas­siert ehr­li­cher ohne anwe­sen­de Fach­leu­te. Aus die­sem Grund haben wir die Tüten so kon­zi­piert, dass man auch einen ein­zel­nen Schritt aus dem Ablauf her­aus­lö­sen und umset­zen kann. Des­halb haben wir mit der Geburts­tag­stü­te oder auch der Urlaub­stü­te nie­der­schwel­li­ge Tüten im Pro­gramm.Wie sind Sie denn auf die­se Idee mit den Tüten gekom­men? Wir beka­men auf unse­re Basis­rei­he, sechs Tüten, die im Moment ver­grif­fen sind, gute Rück­mel­dun­gen. Wir wur­den gefragt: Gibt es auch etwas zu Weih­nach­ten oder Ostern? Wir haben dann in einem Pro­zess der Erneue­rung über­legt, dass wir ger­ne einen Glau­bens­kurs in die­ser Form machen möch­ten, weg vom Fron­tal­un­ter­richt hin zum Gespräch auf Augen­hö­he. Von jun­gen Men­schen kam dann der Wunsch, Basis­the­men anzu­ge­hen. Die Hem­mun­gen zur Aus­ein­an­der­set­zung sei­en dort gerin­ger. Die­se Frau­en und Män­ner sag­ten, uns inter­es­sie­ren Glau­be, Lie­be und Hoff­nung. Also wird es Tüten zu die­sen Begrif­fen und zum The­ma Leben geben.Sie spre­chen von einem nie­der­schwel­li­gen Ange­bot. Wie wer­den die Leu­te dar­auf auf­merk­sam? Machen sie zum Bei­spiel auch im nicht-kirch­li­chen Umfeld Wer­bung dafür? Gestar­tet, ganz am Anfang, sind wir als mis­sio­na­ri­sche Grup­pe. Am Weih­nachts­markt in Stutt­gart, einer Stadt mit gros­sem Anteil kon­fes­si­ons­lo­ser Men­schen, haben wir klei­ne Kar­ten ver­teilt. «Weih­nach­ten ist…» stand auf der einen Sei­te und auf der Rück­sei­te dann ein Ant­wort­vor­schlag. Letzt­lich berührt die­se Sache das The­ma des «Zeu­ge seins». Es braucht muti­ge Men­schen, die aus­ser­halb des bin­nen­kirch­li­chen Rau­mes in ihrem Umfeld über das The­ma Glau­ben spre­chen wol­len. Men­schen, die reli­giö­se Kom­mu­ni­ka­ti­on ris­kie­ren. Wir brau­chen also bei­des: Orte, wo wir als Kir­che uns dazu­stel­len kön­nen und Men­schen, die mutig sind.Sie erwähn­ten die hier­ar­chi­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on und sagen, es gehe dar­um, das Ereig­nis des Evan­ge­li­ums in die Frei­heit zu ent­las­sen. Kann man in der Diö­ze­se Rot­ten­burg-Stutt­gart theo­lo­gisch alles sagen, ohne Kon­se­quen­zen fürch­ten zu müs­sen? Wir sind in einem Pro­zess der dia­lo­gi­schen Kir­che. Da kann ich schlecht vor­her schon sagen, was beim Dia­log in den Pfarr­ge­mein­den her­aus­kommt.Bei Basis-Chri­sten ist das klar, doch was ist mit den haupt­amt­lich täti­gen Seel­sor­ge­rin­nen und Seel­sor­gern? Mein Ein­druck ist, dass die Haupt­amt­le­rin­nen und Haupt­amt­ler eine grös­se­re Sche­re im Kopf haben, als sie müss­ten. Bei der Kar­frei­tag­stü­te haben wir acht Vor­schlä­ge, wie man den Kreu­zes­tod Jesu ver­ste­hen kann. Da sind sehr tra­di­tio­nel­le aber auch sehr neue Vor­schlä­ge dabei. Bis­her ist das nicht kri­ti­siert wor­den. Aber ich mer­ke auch: Wenn ich die­se Tüte in einer Pfarr­ge­mein­de auf den Tisch lege, bekom­me ich eher die tra­di­tio­nel­len Ant­wor­ten. Wenn jün­ge­re Leu­te die­se Tüte spie­len, kön­nen sie mit der Idee des Süh­ne­to­des nichts anfan­gen. Aber sie sagen, dass die Lie­be stär­ker ist, als der Tod und dass es sich lohnt, sich für die Lie­be ein­zu­set­zen, selbst wenn es etwas kostet.Das heisst, man kann sehen, wie sich das theo­lo­gi­sche Ver­ständ­nis ent­wickelt? Ja. Die jun­gen Leu­te wol­len nicht mehr den Umweg über das ursprüng­li­che Ver­ständ­nis der The­men machen. Wenn sich die Kir­che in ihrer Spra­che nicht ändert, sind wir bald weg vom Fen­ster. Dann sind wir mit unse­rem Ange­bot nicht mehr rele­vant. Damit mei­ne ich nicht alte Din­ge in moder­ner Spra­che zu sagen, son­dern die Inhal­te neu zu den­ken und dann authen­tisch zu for­mu­lie­ren.Es geht also um «Über­set­zer­tä­tig­keit». Was ist Ihnen, abschlies­send, am wich­tig­sten am Sinn­su­cher-Pro­jekt? Dass wir die Men­schen in ihrer Reli­gi­ons­ho­heit akzep­tie­ren. Dass wir aner­ken­nen, dass jeder Mensch Sub­jekt sei­nes Glau­ben ist und damit die Deu­tungs­ho­heit und Deu­tungs­fä­hig­keit über sei­nen Glau­ben hat. Wir als Kir­che müs­sen das reli­giö­se Suchen in die Hän­de der Men­schen geben. Dafür haben wir als Orga­ni­sa­ti­on die Auf­ga­be, Gele­gen­hei­ten für die­se gemein­sa­me Über­set­zungs­ar­beit zu schaf­fen und zwar frei von Sank­tio­nen und Vor­ga­ben. Die Auf­ga­be der Kir­che für die Zukunft ist, Mög­lich­kei­ten zu schaf­fen, in denen sich das Evan­ge­li­um ereig­nen und ent­deckt wer­den kann.
Marie-Christine Andres Schürch
mehr zum Autor
nach
soben