Sie­ben Jah­re Krieg in Syri­en: Kind­heit inmit­ten von Gewalt und Zerstörung

Sie­ben Jah­re Krieg in Syri­en: Kind­heit inmit­ten von Gewalt und Zerstörung

Ami­na hat den Lebens­mut nicht verloren

Sie­ben Jah­re Krieg in Syri­en: Kind­heit inmit­ten von Gewalt und Zerstörung

Auch zu Beginn des ach­ten Kriegs­jahrs ist in Syri­en kein Ende des Lei­dens in Sicht. Mit ihren sechs Jah­ren hat Ami­na Sulai­man* bereits unvor­stell­ba­re Gewalt erlebt. Bei der Cari­tas fin­det sie Unter­stüt­zung. Eine Geschich­te vom Wei­ter­le­ben und Wei­ter­ge­hen aus Alep­po.Ami­na ist nicht zu hal­ten. Wild hüpft die auf­ge­weck­te Sechs­jäh­ri­ge mit ihren Freun­din­nen vor ihrem Haus im Osten Alep­pos umher und rennt mit den Nach­bars­mäd­chen durch die Stras­sen. Wären da nicht die Krücken, wären da nicht das aus­ge­brann­te Auto und die Trüm­mer an jeder Stras­sen­ecke – Ami­na wäre auf den ersten Blick nicht anzu­mer­ken, was sie durch­ge­macht hat. Und wie schwie­rig ihr Leben immer noch ist.

Gros­se Verantwortung

Fami­lie Sulai­man leb­te in einem Dorf in der Nähe von Hama, der Stadt am Oron­tes zwi­schen Homs und Alep­po, als das geschah, was Ami­nas Leben für immer ver­än­dern soll­te. Ami­na war damals noch ein Klein­kind. Ihre Mut­ter Doha* erin­nert sich an jedes Detail. «Ami­na schlief, als unser Haus eines nachts von einer Mör­ser­gra­na­te getrof­fen wur­de. Die Zim­mer­decke über ihr stürz­te ein. Ich rann­te sofort zu Ami­na. Über­all war Blut. Eine rie­si­ge Wun­de klaff­te an ihrem Bein.»Die Ärz­te mach­ten Doha wenig Hoff­nung. «Ich ver­sprach, alles zu ver­kau­fen, was ich hat­te, um die Ope­ra­tio­nen zu bezah­len und das Bein zu ret­ten», sagt sie. Aber es war aus­sichts­los: Ami­nas Bein war zu schwer ver­letzt. Es muss­te ampu­tiert wer­den. Eine schwe­re Zeit brach an für das tap­fe­re Mäd­chen. «Lan­ge Zeit begann das Bein jedes Mal zu blu­ten, wenn Ami­na sich beweg­te», erzählt die Mut­ter.Auf Doha laste­te die Ver­ant­wor­tung schwer. Sie zieht ihre fünf Kin­der und eine Stief­toch­ter gröss­ten­teils allei­ne gross – und sie tat, was sie konn­te, um Ami­nas Leben ange­neh­mer zu machen. Uner­müd­lich kämpf­te sie dafür, dass ihre Toch­ter trotz des Ver­lusts ihres Bei­nes eine mög­lichst nor­ma­le Kind­heit haben konn­te. Doch das, was Ami­na, noch im Wachs­tum, am mei­sten gehol­fen hät­te – eine Pro­the­se –, konn­te sich Doha nicht lei­sten. Zudem quäl­te sie jeden Tag die Angst vor der näch­sten Gra­na­te, davor, dass ihren Kin­dern im umkämpf­ten Hama Ähn­li­ches noch ein­mal oder noch Schlim­me­res zustos­sen könn­te. «Die Sicher­heits­la­ge in Hama ist kata­stro­phal», erzählt Doha. Vor ein paar Mona­ten floh die Fami­lie des­halb aus ihrem Dorf und zog nach Alep­po.

Über­le­ben nach Ende der Kämpfe

Als sie in Alep­po anka­men, waren hier zwar die Zei­ten vor­bei, als die Men­schen vor Rake­ten Schutz suchen oder mit nichts als ihren Klei­dern am Leib aus ihren Häu­sern flüch­ten muss­ten. Doch gera­de im Quar­tier der «roten Erde», was Ard al-Ham­ra über­setzt bedeu­tet, hat­ten die Aus­ein­an­der­set­zun­gen bis Ende 2016 noch inten­siv getobt. «Jeden Tag star­ben die Men­schen um uns her­um. Wir haben uns hin­ter der Toi­let­te ver­steckt und unter den Trep­pen», erzählt eine Nach­ba­rin.Schon vor dem Krieg war Ard al-Ham­ra kein rei­ches Quar­tier. «Die Men­schen hier führ­ten ein ein­fa­ches, aber wür­de­vol­les Leben», erzählt Magi Tab­bakh, die das Cari­tas-Pro­gramm im Quar­tier koor­di­niert. Als Fami­lie Sulai­man in Ard al-Ham­ra ankam, hat­te der Krieg dem längst ein Ende berei­tet. Die mei­sten der ein­fa­chen Stein­häu­ser sind schwer beschä­digt, ein­zel­ne lie­gen kom­plett in Rui­nen. Rake­ten mach­ten meh­re­re Häu­ser­zei­len dem Erd­bo­den gleich. Die Was­ser- und Strom­ver­sor­gung blieb lan­ge Zeit kom­plett zusam­men­ge­bro­chen. Was­ser zumin­dest gibt es zwar heu­te wie­der. Wegen der kaput­ten Lei­tun­gen ver­sickert es aller­dings vie­ler­orts zwi­schen den Trüm­mern oder in der Erde der unbe­fe­stig­ten Stras­sen.

Die Cari­tas hilft

Jeden Tag ste­hen die Fami­li­en vor der Her­aus­for­de­rung, genug Nah­rungs­mit­tel zu beschaf­fen. Auch Doha und ihrer Fami­lie fehlt es an vie­lem. «Das Leben ist schwie­rig», sagt sie, «alles ist so teu­er.» Seit dem Aus­bruch des Kriegs haben sich die Prei­se im Schnitt ver­zehn­facht. Von der Cari­tas erhält Fami­lie Sulai­man regel­mäs­sig Hilfs­gü­ter wie Nah­rungs­mit­tel, Klei­der, Decken oder Win­deln für Ami­nas jün­ge­re Geschwi­ster. Und dann half die Cari­tas mit dem, was Doha schon nicht mehr zu hof­fen wag­te: «Ami­na konn­te eine Phy­sio­the­ra­pie im Spi­tal begin­nen und erhielt end­lich eine Holz­pro­the­se.» Dafür ist sie sehr dank­bar. Und Ami­na geniesst nicht nur ihre wie­der­ge­won­ne­ne Frei­heit. Sie ist auch über­mü­ti­ger gewor­den. «Nun sagt sie zu mir: ‹Jetzt, wo ich wie­der zwei Bei­ne habe, muss ich nicht mehr gehor­chen›.» Doha lacht.

Der Traum von der Rückkehr

Doha träumt davon, mit ihrer Fami­lie nach Hama zurück­zu­keh­ren – zurück zu Ami­nas Gross­el­tern, zurück in ihre Hei­mat. «Die Men­schen in Alep­po sind gut zu uns. Aber Hama ist unser Zuhau­se. Im Moment ist jedoch an Rück­kehr nicht zu den­ken. Die Sicher­heits­la­ge erlaubt es nicht.»Und was wünscht sich Ami­na? Das Mäd­chen, das so ger­ne zeich­net, denkt weit vor­aus. «Ich möch­te spä­ter Ärz­tin wer­den – am lieb­sten Spe­zia­li­stin für die Bei­ne.»Anna Hasel­bach, Cari­tas Schweiz* Namen zum Schutz der Per­so­nen geän­dertSpen­den­kon­to Cari­tas Schweiz: 60–7000‑4 (Ver­merk Syri­en). Mehr zum Enga­ge­ment der Cari­tas für die Opfer der Syri­en­kri­se: www.caritas.ch/syrien
Redaktion Lichtblick
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