Selbst­be­wusst und selbstlos

Selbst­be­wusst und selbstlos

Lukas 1,67–78Sein Vater Zacha­ri­as wur­de vom Hei­li­gen Geist erfüllt und begann pro­phe­tisch zu ­reden: … Durch die barm­her­zi­ge Lie­be un­seres Got­tes / wird uns besu­chen das auf­strah­len­de Licht aus der Höhe.Ein­heits­über­set­zung 2016 

Selbst­be­wusst und selbstlos

Einer der schön­sten Momen­te im klö­ster­li­chen Tages­ab­lauf stellt sich ein, wenn ab Mit­te Mai wäh­rend des Mor­gen­ge­bets um halb sie­ben die auf­ge­hen­de Son­ne ihre Strah­len durchs Chor­fen­ster exakt an mei­nen Platz im Chor­ge­stühl wirft. Vor­aus­ge­setzt natür­lich, der Him­mel ist nicht bewölkt oder bedeckt. Die­ser Mor­gen­gruss dau­ert den Monat Juni über bis gegen Ende Juli, wenn der Zeit­punkt des Son­nen­auf­gangs und der Stand der Son­ne sich ver­schie­ben.Es sind Tage vol­ler Licht und Son­ne. Da hin­ein fällt am 24. Juni der Geburts­tag von Johan­nes dem Täu­fer. Der Evan­ge­list Lukas berich­tet von den merk­wür­di­gen Umstän­den, die sei­ne Geburt beglei­te­ten, wie sich die Zun­ge sei­nes zeit­wei­se ver­stumm­ten Vaters Zacha­ri­as löste. «Und er begann pro­phe­tisch zu reden.» Das Lied, das er über sei­nen neu­ge­bor­ge­nen Sohn anstimmt – nach dem ersten Wort der latei­ni­schen Bibel­über­set­zung «Bene­dic­tus» genannt – hat die Kir­che in ihr täg­li­ches Mor­gen­ge­bet auf­ge­nom­men, ein Hym­nus auf den Gott Isra­els und sei­ne Treue: «Geprie­sen sei der Herr, der Gott Isra­els; denn er hat sein Volk besucht und ihm Erlö­sung geschaf­fen.» Ange­sichts sei­nes Kin­des sieht Zacha­ri­as das mes­sia­ni­sche Heil über Isra­el auf­stei­gen, das auch für alle Völ­ker bestimmt ist, gleich der Son­ne, die jeden Mor­gen die Fin­ster­nis der Nacht ver­treibt: «Durch die barm­her­zi­ge Lie­be unse­res Got­tes wird uns besu­chen das auf­strah­len­de Licht aus der Höhe.»Jetzt scheint mir die Son­ne ins Gesicht und erin­nert an den blei­ben­den Auf­trag des Johan­nes: «Er war nicht selbst das Licht, er soll­te nur Zeug­nis geben für das Licht» (Johan­nes 1,8). Die Som­mer­sonn­wen­de mar­kiert die Geburt des Vor­läu­fers, dem ein hal­bes Jahr spä­ter, zur Zeit der Win­ter­sonn­wen­de, die Son­ne der Gerech­tig­keit fol­gen wird: Jesus Chri­stus, gekom­men, jeden Men­schen zu erleuch­ten.Als Johan­nes gefragt wur­de: «Wer bist du? Was sagst du über dich selbst?» gab er zur Ant­wort: «Ich bin es nicht!» (Johan­nes 1,19ff). Das war sei­ne Iden­ti­tät, authen­tisch und trans­pa­rent, rund­um er selbst, wis­send, wer er nicht ist. Das war sei­ne Sen­dung: Stim­me eines Rufers, Vor­läu­fer, Weg­be­rei­ter, Zei­ge­fin­ger auf den Grös­se­ren, den Kom­men­den hin. Schnör­kel­los gibt er zu Pro­to­koll: «Er muss wach­sen, ich aber muss klei­ner wer­den» (Johan­nes 3,30), das Wort, das Grü­ne­wald in die Dar­stel­lung des Gekreu­zig­ten am Isen­hei­mer Altar auf­ge­nom­men hat.Johan­nes, der ewig Zwei­te, steht etwas ver­lo­ren in der üppig blü­hen­den Land­schaft der selbst­ver­lieb­ten Ego­ma­nen und Shoo­ting­stars, der Selbst­dar­stel­ler und Influen­cer, die sich in den sozia­len Netz­wer­ken und auf den Inter­net­platt­for­men tum­meln. Nur eines haben sie im Sinn: Auf­merk­sam­keit! Reich­wei­te! Ein­schalt­quo­ten! Algo­rith­men! Klicks und Likes und Fol­lo­wers, Ranks und Charts. Johan­nes hin­ge­gen, knor­rig und karg, bleibt vor­läu­fig, sei­ner selbst voll bewusst, wis­send, dass er nicht wert ist, dem, der nach ihm kommt, auch nur die Schuh­rie­men zu öff­nen. Selbst­be­wusst und ganz selbst­los ver­weist er uns an Jesus, das Lamm Got­tes, das die Sün­de der Welt hin­weg­nimmt, gekom­men «um allen zu leuch­ten, die in Fin­ster­nis sit­zen und im Schat­ten des Todes, und unse­re Schrit­te zu len­ken auf den Weg des Frie­dens». Das sind die letz­ten Wor­te des «Bene­dic­tus», Anfang eines neu­en Tages, wäh­rend die Mor­gen­son­ne mir über die Wan­gen strei­chelt.Peter von Sury, Abt des Bene­dik­ti­ner­klo­sters Mariastein 
Redaktion Lichtblick
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