Sehn­sucht in der Mit­te der Nacht

Sehn­sucht in der Mit­te der Nacht

1 Korin­ther 2,7–10Wir ver­kün­den das Geheim­nis der ver­bor­ge­nen Weis­heit Got­tes, die Gott vor allen Zei­ten vor­aus­be­stimmt hat zu unse­rer Ver­herr­li­chung. Kei­ner der Macht­ha­ber die­ser Welt hat sie erkannt; denn hät­ten sie die Weis­heit Got­tes erkannt, so hät­ten sie den Herrn der Herr­lich­keit nicht gekreu­zigt. Nein, wir ver­kün­den, wie es in der Schrift steht, was kein Auge gese­hen und kein Ohr gehört hat, was in kei­nes Men­schen Herz gedrun­gen ist, was Gott denen berei­tet hat, die ihn lie­ben. Uns aber hat es Gott ent­hüllt durch den Geist. Der Geist ergrün­det näm­lich alles, auch die Tie­fen Gottes.Neue Ein­heits­über­set­zung 

Sehn­sucht in der Mit­te der Nacht

«De noche ire­mos, de noche que para encon­trar la fuen­te, sólo la sed nos alum­bra, sólo la sed nos alum­bra …» – «In dunk­ler Nacht gehen wir, um die Quel­le zu fin­den. Nur unser Durst wird uns leuch­ten, nur unser Durst wird uns leuch­ten …» – so der Text eines Gesangs aus Tai­zé, inspi­riert von Tex­ten des hei­li­gen Johan­nes vom Kreuz.Er hat das Dun­kel erfah­ren, im buch­stäb­li­chen wie im über­tra­ge­nen Sin­ne. Mona­te­lang unter unmensch­li­chen Bedin­gun­gen in einer fin­ste­ren Kam­mer ein­ge­sperrt, schuf er hier sei­ne schön­sten Tex­te.«Die­ser ewi­ge Quell ist ver­bor­gen in die­sem leben­di­gen Brot, um uns Leben zu geben, auch wenn es Nacht ist. Er ruft her­bei die Geschöp­fe, und sie sät­ti­gen sich an die­sem Was­ser auch im Dun­keln, da es ja Nacht ist. Die­sen leben­di­gen Quell, den ich erseh­ne, in die­sem Brot des Lebens erblicke ich ihn schon, wenn es auch Nacht ist.»Den Lebens­quell auch dann fin­den, wenn alles aus­sichts­los erscheint. Wenn es dun­kel um mich her­um ist, wenn ich nicht weiss, wie ich den Tag schaf­fen soll, woher ich die Kraft neh­men soll, am Mor­gen über­haupt auf­zu­ste­hen. Vie­le Men­schen ken­nen das. Nach dem Ver­lust eines gelieb­ten Men­schen. Nach der Dia­gno­se einer schwe­ren, lang­wie­ri­gen oder gar lebens­be­droh­li­chen Krank­heit. In der Depres­si­on. Nach dem Ver­lust des Arbeits­plat­zes. Die dunk­le Nacht kann vie­le Grün­de haben. Und oft ist es so schwer, einen Sinn dar­in zu fin­den.Wir glau­ben an einen Gott, der die­se Erfah­rung selbst gemacht hat. In Jesus Chri­stus ist er Mensch gewor­den und hat die Lei­den und Lei­den­schaf­ten der Men­schen geteilt. Pas­si­on. Am Kreuz ist Jesus sel­ber durch die dunk­le Nacht gegan­gen. Hat geschrien: «Mein Gott, mein Gott, war­um hast du mich ver­las­sen?» (Mt 27,46). Er ist durch die Nacht und die Fin­ster­nis des Todes gegan­gen. Bis zum Ende. Er hat sich nicht davor gedrückt. Und wir glau­ben, dass er von Gott wie­der zum Leben erweckt wur­de – wie auch immer das gesche­hen ist. Doch die Zeu­gin­nen und Zeu­gen berich­ten davon.Auch Johan­nes vom Kreuz hat Sinn­lo­sig­keit in sei­nem Leben erfah­ren. Er hat sich selbst ver­lo­ren und hat den neu gefun­den, der ihn trägt. Der ihn sät­tigt und tränkt, der Leben spen­det, auch wenn es Nacht ist. Das ist Gna­de, das ist Geschenk, das kann nie­mand selbst machen.Das ist ein Geheim­nis, das wir mit dem Ver­stand nicht durch­drin­gen kön­nen. Die Lesung zum Gedenk­tag des hei­li­gen Johan­nes vom Kreuz ist ähn­lich geheim­nis­voll: «Wir ver­kün­den, was kein Auge gese­hen und kein Ohr gehört hat, was in kei­nes Men­schen Herz gedrun­gen ist, was Gott denen berei­tet hat, die ihn lie­ben.» Und die sich nach ihm seh­nen, kön­nen wir ergän­zen. Eine gros­se Sehn­sucht spricht aus den Tex­ten des Johan­nes vom Kreuz: «Wo hast du dich ver­steckt, Gelieb­ter, und hast mich seuf­zend zurück­ge­las­sen?»Spü­ren wir in die­sen Tagen der Sehn­sucht nach. Der Sehn­sucht nach Licht, nach Lie­be, nach Frie­den. In der Mit­te der Nacht liegt der Anfang eines neu­en Tages. Auch und gera­de im Advent.Doro­thee Becker, Theo­lo­gin und Seel­sor­ge­rin, Pfar­rei Hei­lig­geist, Basel 
Redaktion Lichtblick
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