Seel­sor­ge neben Kopf­sa­lat und Tomaten

Foto­ter­min im Pfarr­haus­gar­ten in Muri, Frei­tags um 15 Uhr. War­mer Wind, strah­len­der Son­nen­schein und das voll­tö­nen­de Geläut der tie­fen Glocke von Sankt Goar. «Sie erin­nert an die Ster­be­stun­de Jesu. Das habe ich in Bern nicht erlebt. Man merkt, dass hier katho­li­sches Stamm­land ist. Vie­le Bräu­che, die andern­orts ver­schwun­den sind, wer­den hier gelebt», erläu­tert Geor­ges Schwicke­rath, seit Sep­tem­ber 2013 neu­er Prie­ster in Muri, Ari­stau, Bein­wil, Bün­zen und Boswil.Aus Bern neh­me er zudem die Erfah­rung mit, dass sich Kirch­gän­ger stär­ker recht­fer­ti­gen müs­sen, wenn sie ihre Zuge­hö­rig­keit zur katho­li­schen Kir­che zu erken­nen geben. «Gleich­zei­tig haben sich die Gläu­bi­gen dort anders mit ihrem Glau­ben aus­ein­an­der­ge­setzt. Es ist ein Unter­schied, ob ich in einer Dia­spora­si­tua­ti­on Katho­lik bin oder in einer tra­di­tio­nell katho­li­schen Gegend», erklärt Geor­ges Schwicke­rath ver­tie­fend. Die Wahr­neh­mung der Kir­che in Luxem­burg for­mu­liert Geor­ges Schwicke­rath poin­tiert: «Ich habe Kir­che dort als etwas erlebt, das aus Gewohn­heit dazu­ge­hört. Tau­fe, Hoch­zeit oder Beer­di­gung pas­sier­ten in der der Kir­che, weil man das ein­fach so macht. Eine Fol­ge dar­aus war, dass der Kir­che dort bis zu einem gewis­sen Grad die Leben­dig­keit und das inne­re Feu­er fehlten.»Humor­voll und offen Im anschlies­sen­den Gespräch zeigt sich: er lacht ger­ne, der 45-jäh­ri­ge, der ursprüng­lich aus Luxem­burg stammt und mitt­ler­wei­le auch in der Schweiz ein­ge­bür­gert ist. Humor, auch in Bezug auf sich selbst, nennt Geor­ges Schwicke­rath als Stär­ke. «Eine Schwä­che ist mei­ne Unge­duld», gibt er unum­wun­den zu und fügt schmun­zelnd an: «Und mit einer Bohr­ma­schi­ne könn­te ich auch nicht umge­hen». Von Hau­se aus ist Geor­ges Schwicke­rath Ver­le­gen­heits-Ban­ker, wie er es aus­drückt. Wie sein Vater und sei­ne älte­re Schwe­ster, wähl­te er  die­sen Weg. Doch sei­ne Vor­stel­lung von kun­den­ori­en­tier­tem Arbei­ten wider­sprach der sei­ner Vor­ge­setz­ten. Geor­ges Schwicke­rath hör­te zu, wenn Kun­den mit Pro­ble­men kamen. Ohne Blick auf die Uhr. Eine Hal­tung die für Geor­ges Schwicke­rath zu sei­nem Selbst­ver­ständ­nis als Prie­ster und Seel­sor­ger gehört. «Wenn ich hier ins Ein­kaufs­zen­trum gehe, erken­nen mich die Leu­te, spre­chen mich an und erzäh­len mir zwi­schen Kopf­sa­lat und Toma­ten ihre Anlie­gen. Das gehört dazu. Kir­che soll bei den Men­schen sein», stellt er schlicht fest. Vor die­sem Hin­ter­grund freut er sich, dass er erkannt wird. In Bern habe er nur ein paar Sta­tio­nen mit dem Tram fah­ren müs­sen und sei dann qua­si anonym gewe­sen. «Ein Wunsch war, wie­der näher an der Basis der Kir­che zu sein. Die­ser Wunsch ist mit dem Wech­sel ins Frei­amt in Erfül­lung gegan­gen», zieht Geor­ges Schwicke­rath Bilanz.Schlüs­sel­mo­ment am Abend Mit ein­fa­chen Wor­ten schil­dert Geor­ges Schwicke­rath, wie er 17-jäh­rig anfing sich wie­der inten­si­ver mit Glau­bens­fra­gen aus­ein­an­der­zu­set­zen, begann sich in der Pfarr­ge­mein­de zu enga­gie­ren. In sei­nem jun­gen Hei­mat­pfar­rer hat­te er einen guten Beglei­ter, der auch zuge­ben konn­te, wenn er kei­ne Ant­wort hat­te. Der irgend­wann sag­te: «Wenn du nicht geeig­net bist, Prie­ster zu wer­den, wer dann?» Den letz­ten Aus­lö­ser für sei­ne Ent­schei­dung, kann Geor­ges Schwicke­rath nicht benen­nen. «Es war mir ein­fach eines Abends nach der Arbeit klar, ich wer­de Prie­ster», erin­nert er sich. Das Theo­lo­gie­stu­di­um absol­vier­te er im Aus­land, es gibt kei­ne theo­lo­gi­sche Fakul­tät in Luxem­burg. Der Bischof von Luxem­burg ver­trat dar­über hin­aus die Auf­fas­sung, dass gera­de die Spät­be­ru­fe­nen, die bereits selb­stän­dig ihr Leben orga­ni­sie­ren, nicht wie­der in qua­si-schu­li­sche Ver­hält­nis­se gehen soll­ten. Geor­ges Schwicke­rath kam nach Luzern, stu­dier­te unter ande­rem bei Kurt Koch, dem spä­te­ren Bischof von Basel. «Bei ihm habe ich Den­ken gelernt», sagt Geor­ges Schwicke­rath augen­zwin­kernd. Etwas, das ihm wich­tig ist. Genau­so, wie die Fra­ge nach dem War­um. «Ich bemü­he mich, zu erklä­ren war­um ich bestimm­te Din­ge tue und sage. Wenn die Men­schen das War­um ver­ste­hen und über­zeugt wer­den kön­nen, sind sie auch bereit sich einzusetzen.»Demo­kra­tie statt Mon­ar­chie Als leben­di­ge Kir­che, bezeich­net Geor­ges Schwicke­rath die Kir­che in der Schweiz. Sechs Jah­re war er nach sei­ner Prie­ster­wei­he 1998 in Luxem­burg Prie­ster. 2004 kehr­te er in die Schweiz zurück, ist hier mitt­ler­wei­le län­ger prie­ster­lich tätig als in sei­nem Hei­mat­land. «Die Men­schen in der Schwei­zer Kir­che setz­ten sich mit ihrem Glau­ben aus­ein­an­der. Sie sind bereit, alles auf den Kopf zu stel­len und äus­sern kri­tisch, teil­wei­se kämp­fe­risch ihre Vor­stel­lun­gen und Wün­sche», begei­stert sich Geor­ges Schwicke­rath. Der Umgang der Basis mit den Kir­chen­ver­tre­tern befrem­det ihn manch­mal. «Ich kom­me aus einer Mon­ar­chie, da funk­tio­niert das anders als hier in der demo­kra­ti­schen Schweiz», schmun­zelt Geor­ges Schwicke­rath. Kri­tisch merkt er dann auch an, dass in der Schwei­zer Kir­che manch­mal die Ten­denz sicht­bar wird, das Kind mit dem Bade aus­zu­schüt­ten: «Es wer­den oft direkt alle strit­ti­gen The­men in die Waag­scha­le gewor­fen. Dabei wür­de es rei­chen an einem aktu­el­len The­ma zu ver­deut­li­chen, dass man­che Ant­wor­ten der Kir­che die Lebens­welt der Gläu­bi­gen nicht mehr berüh­ren.» Belu­stigt reagiert er auf die Fra­ge, wie er sich kir­chen­po­li­tisch ein­ord­ne. «Das kann ich fast nicht sagen. Grund­sätz­lich mit­te-rechts, aber mit Abwei­chun­gen in alle Rich­tun­gen. Je nach The­ma», fasst er zusammen.Am rich­ti­gen Ort «Die Men­schen hier haben mich mit sehr viel Wohl­wol­len auf­ge­nom­men», freut sich Geor­ges Schwicke­rath. Der humor­vol­le Prie­ster passt nach Muri und ins Frei­amt. Er fühlt sich wohl und geniesst den Blick über das Bünz­tal. Die Klo­ster­kir­che zur lin­ken, Sankt Goar zur rech­ten. Das kul­tu­rel­le Ange­bot sagt Geor­ges Schwicke­rath zu. «Ich habe auch mal ein Rock­kon­zert besucht. Das muss man ja mal gese­hen haben. Mei­ne Vor­lie­be liegt jedoch klar im klas­si­schen Bereich, bei Kon­zer­ten, Thea­ter oder Aus­stel­lun­gen,» betont Geor­ges Schwicke­rath, der sich ab und an auch eine gute Zigar­re oder ein Glas Whis­ky gönnt. Nach einem Wunsch befragt, über­legt er kurz, grinst und sagt: «Ich wür­de sehr ger­ne mal einen Flug mit einem Gleit­schirm machen. Und ich den­ke, die Gele­gen­heit ergibt sich.»  
Anne Burgmer
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