Seel­sor­ge ist kei­ne Einbahnstrasse

Seel­sor­ge ist kei­ne Einbahnstrasse

  • Simon Mei­er war Pfar­rei­seel­sor­ger, Gemein­de- und Pasto­ral­raum­lei­ter in Brugg-Windisch.
  • Vor etwas mehr als einem Jahr wech­sel­te er in die Spi­tal- und Heimseelsorge. 
  • Er ist also immer noch Seel­sor­ger, aber nicht derselbe.

Phan­ta­sie müs­se er haben, erklärt Simon Mei­er im Inter­view mit Hori­zon­te, dazu Empa­thie und viel Eigen­in­itia­ti­ve. Seit Sep­tem­ber 2021 arbei­tet der 54-jäh­ri­ge Theo­lo­ge als Spi­tal- und Heim­seel­sor­ger im Spi­tal und in der Pfle­gi Muri. Dies nach acht Jah­ren als Pfar­rei­seel­sor­ger in der Regi­on Brugg-Win­disch, wo er im Auf­trag des Bis­tums den gleich­na­mi­gen Pasto­ral­raum auf­ge­baut und dann auch gelei­tet hat. Ein Wech­sel, den er sehr bewusst voll­zo­gen hat, wie er dem Pfarr­blatt im Mai 2021 berich­te­te: «Ich woll­te noch­mals etwas Neu­es erle­ben. Ich freue mich sehr auf mei­ne neue Auf­ga­be, denn ich bin Theo­lo­ge gewor­den, um Seel­sor­ger zu sein.»

Viel näher am Menschen

Bereut habe er sei­nen Wech­sel bis­her nicht, gibt Mei­er im Gespräch mit Hori­zon­te im Pfle­gi­re­stau­rant Bene­dikt in Muri zu Pro­to­koll: «Als Pasto­ral­raum­lei­ter lagen die Schwer­punk­te mei­ner Arbeit vor allem in den Berei­chen Kon­zep­ti­on und Umset­zung, mit viel Gewicht auf dem gan­zen Per­so­nal­ma­nage­ment. Mei­ne jet­zi­ge Auf­ga­be beinhal­tet vor allem seel­sor­ge­ri­sche Eins-zu-eins-Be­treu­ung. Dazu kom­men dann diver­se Ver­an­stal­tun­gen mit Grup­pen und, nicht zu ver­ges­sen, die Mit­ar­bei­ter­seel­sor­ge. Es ist eine sehr krea­ti­ve Arbeit, bei deren Gestal­tung ich voll­kom­men frei bin. Vor allem aber bin ich jetzt viel näher bei den Men­schen als vorher.»

Das ein­zi­ge, was ihm manch­mal feh­le, sei der Aus­tausch im Team, wie er in der Pfar­rei­seel­sor­ge noch gege­ben war. «Hier muss ich viel mehr netz­wer­ken als vor­her im Pasto­ral­raum. Die Spi­tal- und Heim­seel­sor­ge ver­langt eine star­ke intrin­si­sche Moti­va­ti­on. Ich muss sel­ber spü­ren, was ich anbie­ten oder tun soll, das den Men­schen dient.» Und die­ses Gespür hat der «spät­be­ru­fe­ne Theo­lo­ge», wie er sich sel­ber bezeich­net, der zuerst eini­ge Jah­re Pri­mar­leh­rer war, dann Erzie­hungs­wis­sen­schaf­ten stu­diert hat, als Per­so­nal­ent­wick­ler in einem Ver­si­che­rungs­kon­zern gear­bei­tet und berufs­be­glei­tend ein Nach­di­plom­stu­di­um in syste­mi­scher Orga­ni­sa­ti­ons­be­ra­tung absol­viert hat, bevor er schliess­lich sei­ne Beru­fung fand, Theo­lo­gie stu­dier­te und Seel­sor­ger wurde.

«…dass ein­fach jemand da ist»

Was die Leu­te von ihm brau­chen, das erfährt Simon Mei­er vor allem durch die vie­len Gesprä­che, die er mit Pati­en­ten, Heim­be­woh­nern und deren Ange­hö­ri­gen führt. Er sucht und för­dert aber genau­so den Aus­tausch mit den Mit­ar­bei­tern des Spi­tals und der Pfle­gi. Im Spi­tal nimmt er regel­mäs­sig an den inter­dis­zi­pli­nä­ren Bespre­chun­gen teil, wo er nicht nur erfährt, wer sei­nes Bei­stan­des bedarf, son­dern auch, wel­ches Schick­sal ihn am Kran­ken­bett erwar­tet. «Dabei geht es oft um Sterbebegleitungen.» 

Häu­fig wer­de er von den Ange­hö­ri­gen geru­fen. Dabei habe es ihn über­rascht, dass nur sel­ten expli­zit nach einem Prie­ster ver­langt wer­de, um die Kran­ken­sal­bung zu spen­den; ein Sakra­ment, das eben nur geweih­te Prie­ster spen­den dür­fen. Aber es scheint, als gehe es vie­len Men­schen in einer sol­chen Situa­ti­on nicht pri­mär um das Sakra­ment: «Ich ertei­le einen Ster­be­se­gen und bete mit allen Anwe­sen­den. Ich mer­ke immer wie­der, dass es für die Betrof­fe­nen ein­fach wich­tig ist, dass jemand da ist.»

Das Leben würdigen

Das­sel­be gilt für die Men­schen, denen Mei­er auf den Abtei­lun­gen für Sucht- oder Demenz­er­kran­kun­gen begeg­net. «Das sind, wie in der gan­zen Pfle­ge, Beglei­tun­gen, die manch­mal nur eine Woche, manch­mal aber auch meh­re­re Wochen, Mona­te oder sogar Jah­re dau­ern. Da geht es ganz wesent­lich dar­um, prä­sent zu sein und Unter­stüt­zung anzu­bie­ten bei dem, was die­se Men­schen noch wol­len und noch kön­nen. Es geht dar­um, das Leben zu würdigen.» 

Eine Hal­tung, die der Seel­sor­ger auch in sei­nem Ange­bot für die Spi­tal- und Pfle­gi­mit­ar­bei­ter erleb­bar macht. Sein «jüng­stes Kind», wie er es nennt, heisst «Per­len der Acht­sam­keit» und ist dar­auf aus­ge­rich­tet, den Ange­stell­ten eine bewuss­te Aus­zeit zu ver­schaf­fen, um ihre eige­ne Spi­ri­tua­li­tät zu ent­decken und zu leben, dabei die eige­nen Res­sour­cen zu nut­zen und – gera­de im sehr anspruchs­vol­len und ener­gie­rau­ben­den Umfeld der Kran­ken­pfle­ge und ‑betreu­ung – auch Burn­out­prä­ven­ti­on zu betrei­ben. Das funk­tio­niert so, dass die Teil­neh­mer sich für eine Stun­de zussam­men­fin­den und dazu einen Text oder auch ein Bild mit­brin­gen, wor­über sie sich in der Grup­pe aus­tau­schen möch­ten. Der Text wird vor­ge­le­sen, das Bild allen gezeigt, und dann spricht und medi­tiert die Grup­pe, von Mei­er mode­riert, gemein­sam darüber.

Geleb­te Ökumene

Ganz allein ist Simon Mei­er natür­lich nicht in sei­nem Seel­sor­ge­auf­trag. Im Spi­tal Muri ist er zwar wohl regel­mäs­sig und allei­ne unter­wegs von Zim­mer zu Zim­mer und von Abtei­lung zu Abtei­lung, aber sei­ne refor­mier­te Kol­le­gin, Pfar­re­rin Bri­git­ta Josef, ist auf Abruf eben­falls zur Stel­le. In der Pfle­gi bil­det Mei­er zusam­men mit sei­ner refor­mier­ten Kol­le­gin, Pfar­re­rin Bet­ti­na Luko­schus, ein Kleinst­team, das neben der indi­vi­du­el­len Seel­sor­ge auch dafür sorgt, dass alle Bewoh­ner regel­mäs­sig an Got­tes­dien­sten teil­neh­men können. 

Dabei hat der katho­li­sche Theo­lo­ge eine inter­es­san­te Fest­stel­lung gemacht: «Wir bie­ten einen regel­mäs­si­gen Zyklus von katho­li­schen, refor­mier­ten und öku­me­ni­schen Got­tes­dien­sten an. Aber für die mei­sten Teil­neh­mern spielt es kei­ne Rol­le, nach wel­chem Ritus der Got­tes­dienst gehal­ten wird. Sie kom­men, weil sie einen Got­tes­dienst fei­ern wol­len. Got­tes­dien­ste sind eine Her­zens­sa­che, das habe ich gelernt. Man muss die Leu­te abho­len und dazu eine lit­ur­gi­sche Form fin­den, durch die sie sich berührt und getra­gen fühlen.»

Christian Breitschmid
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