Schwe­ster und Kame­rad des Augenblicks

Wenn am 31. Juli 2017 das ein­zi­ge Aar­gau­er Bun­des­asyl­zen­trum in Brem­gar­ten schliesst, neh­men auch Jai­me Armas und Effi Spiel­mann Abschied. Die bei­den arbei­ten im Auf­trag der Aar­gau­er Lan­des­kir­chen als Flücht­lings­seel­sor­ger. Im Inter­view mit Hori­zon­te blicken die bei­den auf ihre Arbeit zurück – zusam­men mit Marie-Eve Morf, Effi Spiel­manns Vorgängerin.Was darf man sich unter Seel­sor­ge-Arbeit in einem Bun­des­asyl­zen­trum vor­stel­len? Jai­me Armas: Unse­re Auf­ga­be war in erster Linie Bezie­hungs­ar­beit, mit dem Ziel, die­se ent­wur­zel­ten und oft­mals trau­ma­ti­sier­ten Men­schen etwas zu sta­bi­li­sie­ren und ihnen Ori­en­tie­rung und Sicher­heit zu geben.  Wäh­rend sich die Geflüch­te­ten im Bun­des­asyl­zen­trum befin­den, wer­den ihre Asyl­ge­su­che geprüft. In Brem­gar­ten wur­den 98 Pro­zent der Anträ­ge unter Ver­weis auf das Dub­lin-Abkom­men abge­wie­sen (Anmer­kung der Redak­ti­on: Rück­wei­sung an den Erst­auf­nah­me­staat). Für uns war immer wich­tig, die Men­schen auf das vor­zu­be­rei­ten, was sie erwar­tet. Effi Spiel­mann: Näm­lich mit gros­ser Wahr­schein­lich­keit ein nega­ti­ver Bescheid. Jai­me Armas: War ein­mal ein Ver­trau­ens­ver­hält­nis da, haben wir mit ihnen die Situa­ti­on ana­ly­siert und geschaut, was die Leu­te jetzt machen kön­nen.Was heisst das? Jai­me Armas: Das bedeu­tet, dass wir den Men­schen trotz allem Mut gemacht und ver­sucht haben, mit ihnen nach Res­sour­cen zu suchen.Seel­sor­ge dürf­ten sich die mei­sten Men­schen aber anders vor­stel­len. Effi Spiel­mann: Unse­re Auf­ga­be war es, die­se Ent­schei­de mit den Leu­ten aus­zu­hal­ten. Marie-Eve Morf: Für mich hiess das, Schwe­ster und Kame­rad des Augen­blicks zu sein. Zuhö­ren und auf sich sel­ber hören – was jetzt im Augen­blick wich­tig sein kann. Jai­me Armas: Wir haben ver­sucht, den Betrof­fe­nen neue Per­spek­ti­ven auf­zu­zei­gen, ihnen erklärt, dass ein «Nein» im Asyl­ver­fah­ren nicht das Ende des Weges bedeu­tet. Effi Spiel­mann: Und wir haben den Men­schen Kon­tak­te in den Erst­auf­nah­me­staa­ten ver­mit­telt…Was haben Sie bei Ihrer Arbeit als gröss­te Her­aus­for­de­rung erlebt? Marie-Eve Morf: In ver­schie­de­nen Zeit­ab­schnit­ten den vie­len Men­schen mit der per­sön­li­chen Geschich­te und der Geschich­te ihres Lan­des «gerecht» zu wer­den. Jai­me Armas: Die ver­schie­de­nen Kul­tu­ren der Men­schen.Was mei­nen Sie damit? Jai­me Armas: Wir hat­ten hier Men­schen aus dem Bal­kan, aus Nige­ria, Eri­trea, aber auch Romas, Kur­den und Men­schen aus der Ukrai­ne. Jede Volks­grup­pe für sich ist etwas Beson­de­res und hat ihre Eigen­schaf­ten. Effi Spiel­mann: Von Aka­de­mi­kern bis Analpha­be­ten gab es alles, das mach­te es auch für die Betrof­fe­nen unter sich schwie­rig.Bestimmt war auch die Ver­stän­di­gung schwie­rig. Wie funk­tio­nier­te das? Marie-Eve Morf: Wenn kein Gespräch auf Eng­lisch oder Fran­zö­sisch mög­lich war, such­ten wir unter den Lands­leu­ten Men­schen, die über­set­zen konn­ten. Effi Spiel­mann: Es gibt auch ande­re Mög­lich­kei­ten der Kom­mu­ni­ka­ti­on: Non­ver­bal, über Bil­der oder mit Über­set­zungs-Apps. Wich­ti­ger als die sprach­li­che Ver­stän­di­gung ist die Begeg­nung und die Zuwen­dung.Hat­ten Sie einen Über­set­zungs­dienst zur Ver­fü­gung? Effi Spiel­mann: Einen sol­chen konn­ten wir in Anspruch neh­men, wenn wir das brauch­ten – bei­spiels­wei­se für ein inten­si­ve­res Seel­sor­ge­ge­spräch. Ich habe aber gestaunt, wie die Sprach­bar­rie­ren umgan­gen wer­den konn­ten, sobald eine Bezie­hung bestand. Es kam dann gar nicht mehr dar­auf an, wie gut man die Spra­che konn­te…Was haben Sie als beson­ders berei­chernd und ermu­ti­gend erlebt? Marie-Eve Morf: Die gemein­sa­men Weih­nachts­fei­ern. Der Besuch des Fests der Begeg­nung in Muri und die Besu­che von Jugend­li­chen, von Firm­lin­gen und Kon­fir­man­den aus bei­den Kirch­ge­mein­den mit ihren Ver­trau­ens­per­so­nen. Effi Spiel­mann: Schön ist auch, dass man die Leu­te nicht aus den Augen ver­liert, wenn sie wei­ter­zie­hen muss­ten. Jai­me Armas: Wir haben schon Ein­la­dun­gen zum Essen erhal­ten… Marie-Eve Morf: Und Ehe­ma­li­ge kamen auf Besuch hier­her. Effi Spiel­mann: Über­haupt waren vie­le aus­ge­spro­chen gast­freund­lich. Uns wur­de ver­si­chert, wir sei­en in deren Hei­mat und bei ihren Fami­li­en jeder­zeit will­kom­me­ne Gäste.Und was war beson­ders schmerz­lich? Marie-Eve Morf: Dass wir uns oft nicht von den Leu­ten ver­ab­schie­den konn­ten und meist nicht wuss­ten, wie ihre näch­ste Zeit sein wird. Jai­me Armas: Schmerz­lich war bestimmt auch, den Men­schen in den Gesprä­chen ihre Träu­me zer­stö­ren zu müs­sen.Zu Beginn hat­te das Bun­des­asyl­zen­trum in Brem­gar­ten einen schwe­ren Stand. Wie haben Sie das erlebt? Marie-Eve Morf: Ja, da gab es vie­le Vor­ur­tei­le und Ras­sis­mus – auch bei Kir­chen­leu­ten Jai­me Armas: Ich fin­de es sehr trau­rig, dass gera­de Leu­te, die in die Kir­che gehen, gegen Aus­län­der sind. Das ver­ste­he ich nicht.Im Lau­fe der Zeit ver­bes­ser­te sich die Stim­mung. Inwie­weit haben Sie dazu bei­tra­gen kön­nen? Jai­me Armas: Mit dem Café Foh­len­weid (Hori­zon­te berich­te­te) haben wir bestimmt dazu bei­tra­gen kön­nen, dass sich die Stim­mung unter der ein­hei­mi­schen Bevöl­ke­rung gewan­delt hat. Marie-Eve Morf: Durch das Mit­ein­an­der und die offe­ne Türe am Mitt­woch­nach­mit­tag in der «Foh­len­weid» haben wir eine Kul­tur der Akzep­tanz schaf­fen kön­nen, immer wie­der neu. Auch nach gewis­sen nega­ti­ven Erfah­run­gen. Kirch­li­che und poli­ti­sche Grup­pen haben uns ein­ge­la­den, damit wir von unse­rer Arbeit erzäh­len konn­ten. Vie­le Leu­te haben dar­auf­hin posi­tiv reagiert und woll­ten sich enga­gie­ren. Die Klei­der­samm­lun­gen und das Mit­ein­an­der­spie­len am Mitt­woch waren ein Echo dar­auf.Haben Sie auch Frei­wil­li­ge moti­vie­ren kön­nen? Marie-Eve Morf: Wir hat­ten zunächst Leu­te aus der evan­ge­li­schen Kirch­ge­mein­de hier, die sich enga­giert haben, spä­ter Frei­wil­li­ge vom Aar­gaui­schen Katho­li­schen Frau­en­bund AKF, aber auch Kon­fir­man­den und Firm­lin­ge. Es war aber nicht immer ein­fach, die­se Men­schen bei der Stan­ge zu hal­ten, zumal der Umgang mit den Flücht­lin­gen für vie­le eine Her­aus­for­de­rung dar­stell­te.Wie beur­tei­len Sie auf­grund Ihrer Erfah­run­gen die Schwei­zer Asyl­po­li­tik? Effi Spiel­mann: Im Wesent­li­chen sind wir über unse­re Arbeit ja mit dem Dub­lin-Ver­fah­ren kon­fron­tiert. Wir hat­ten Leu­te, die gar nicht mehr wuss­ten, wohin sie denn jetzt soll­ten. Heim konn­ten sie nicht, genau­so wenig schien eine Rück­kehr in die Erst­auf­nah­me­län­der vor­stell­bar. Dort konn­ten sie auch kein Asyl erwar­ten und muss­ten erwar­ten, sich unter schlimm­sten Bedin­gun­gen irgend­wie durch­zu­schla­gen. Jai­me Armas: Mei­ner Ansicht nach ist «Dub­lin» eine gute Aus­re­de für die Schweiz, um sich aus der Ver­ant­wor­tung zu steh­len. Schau­en wir uns doch die Erst­auf­nah­me­län­der an: Süd­öst­lich von Öster­reich exi­stie­ren kei­ne Men­schen­rech­te für Flücht­lin­ge. In Ungarn wer­den die Leu­te ein­ge­sperrt. In ande­ren Ost­block­län­dern wer­den Frau­en sogar von der Poli­zei ver­ge­wal­tigt, weil sie kei­ne Rech­te haben. Marie-Eve Morf: Ich wün­sche, dass in der Asyl­po­li­tik ver­mehrt auf die Hin­ter­grün­de und Zusam­men­hän­ge der gan­zen Flücht­lings­pro­ble­ma­tik geschaut wird.Nun wird das Bun­des­asyl­zen­trum geschlos­sen. Wie geht es für euch und eure Arbeit wei­ter? Effi Spiel­mann: Es wäre schön, wenn wir unse­re Arbeit wei­ter­füh­ren könn­ten. Das geht jedoch nicht, denn Asyl­seel­sor­ge ist nur für Bun­des­asyl­zen­tren vor­ge­se­hen, nicht für kan­to­na­le Asyl­un­ter­künf­te. Jai­me Armas: Dabei gebe es da durch­aus etwas zu tun. Ich habe kan­to­na­le Asyl­un­ter­künf­te besucht – auch Leu­te, die dort noch auf einen Asy­l­ent­scheid war­ten. Die­se Leu­te leben abge­le­gen, kön­nen nichts tun, haben kei­ne Kon­tak­te. Und es gibt nie­man­den, der zu ihnen schaut. Um die­se Leu­te sor­ge ich mich und es wäre schön, wenn die Kir­che für die­se Leu­te etwas tun könn­te.Da wären nun die Lan­des­kir­chen gefor­dert, oder nicht? Effi Spiel­mann: Die Kir­chen aner­ken­nen, dass da ein Bedarf ist, sagen aber: «Es sind uns die Hän­de gebun­den.»Und was kann die Schweiz tun? Jai­me Armas: Wir müs­sen etwas tun. Wir sehen ja schon jetzt, dass es Pro­ble­me gibt, wenn man sich nicht küm­mert. Zum Bei­spiel wenn ein­sa­me oder ver­zwei­fel­te Asyl­su­chen­de ihren Kum­mer im Alko­hol erträn­ken. Das wird zu einem sozia­len Pro­blem. Marie-Eve Morf: Wir müs­sen die Flücht­lin­ge zur Inte­gra­ti­on moti­vie­ren. Ich ken­ne einen Eri­tre­er, der zwei Jah­re auf sei­nen Asy­l­ent­scheid gewar­tet hat, in die­ser Zeit aber Deutsch gelernt hat. Nun kann er eine Leh­re machen. Jai­me-Armas: Mir ist wich­tig, dass wir als Asyl­seel­sor­gen­de eine Stim­me sind für die­se Leute. 
Andreas C. Müller
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