«Schön, dass DU da bist» – Der Babykoffer

«Schön, dass DU da bist» – Der Babykoffer

  • Seit Juli 2019 begrüsst die katho­li­sche Kir­che im Pasto­ral­raum Regi­on Brugg-Win­disch alle katho­lisch gemel­de­ten Neu­ge­bo­re­nen mit einem Willkommenskoffer.
  • Die frisch­ge­backe­nen Eltern wer­den ange­schrie­ben und um einen Ter­min­vor­schlag gebe­ten. Dann schaut eine frei­wil­li­ge Mit­ar­bei­te­rin der Grup­pe Fami­li­en­viel­falt bei der Fami­lie vor­bei. Hori­zon­te beglei­te­te einen Besuch.
 Ein ruhi­ges Wohn­quar­tier bei Brugg. Zwi­schen den Mehr­fa­mi­li­en­häu­sern spie­len Kin­der, ein Bron­ze­frosch spuckt Was­ser in sei­nen Brun­nen. Nico­le Gab­ler, in der lin­ken Hand einen pack­pa­pier­far­be­nen Kof­fer, drückt die Klin­gel der Fami­lie Huber. Der Kof­fer ist am Griff mit einer Schlei­fe zuge­bun­den; auf einer der gros­sen Kof­fer­sei­ten steht: «Schön, dass DU da bist».

Es geht nicht um eine vol­le Kirche

Rück­blen­de in den Juni 2018. Bri­git­ta Minich, Theo­lo­gin und Pfar­rei­seel­sor­ge­rin im Pasto­ral­raum Regi­on Brugg-Win­disch, erzählt von einem Para­dig­men­wech­sel mit Blick auf die Pasto­ral für Fami­li­en. Im ent­ste­hen­den Pasto­ral­raum fand sich eine Grup­pe zusam­men: die Grup­pe Fami­li­en­viel­falt. Deren Anlie­gen war (und ist) es: Acht­sam­keit für die viel­fäl­ti­gen For­men von Fami­lie pfle­gen und die viel­fäl­ti­gen Fami­li­en­for­men in der Über­zeu­gung bestär­ken, dass Gott in ihnen bereits am Werk ist.Gemein­sam mit Chri­stia­ne Bur­gert, Pro­jekt­lei­tung Kate­che­se für Klein­kin­der und ihre Fami­li­en an der Fach­stel­le Kate­che­se-Medi­en in Aar­au, ent­wickel­te Bri­git­ta Minich mit der Grup­pe Fami­li­en­viel­falt einen Kof­fer für Fami­li­en mit Kin­dern im Alter von 0 bis 1 Jahr, der den Fami­li­en in ihren viel­fäl­ti­gen For­men Behei­ma­tung in der Kir­che schen­ken soll­te. Dabei, so erläu­ter­te Chri­stia­ne Bur­gert gegen­über Hori­zon­te, sol­le es nicht dar­um gehen, dass die Fami­li­en dann am näch­sten Sonn­tag in der Kir­che sit­zen, son­dern dar­um, dass sie Unter­stüt­zung durch den Part­ner Kir­che erfah­ren und erle­ben könn­ten.

«Jetzt sehe ich den Kof­fer endlich»

Jetzt, rund ein Jahr spä­ter, steht also Nico­le Gab­ler, besag­ten Kof­fer in der Hand, vor dem Mehr­fa­mi­li­en­haus und war­tet auf das Sum­men des Tür­öff­ners. Einen Stock höher wird sie wenig spä­ter von Dési­rée Huber, 36 Jah­re alt, begrüsst. Gut gelaunt bit­tet Dési­rée Huber, die nicht nur diplo­mier­te Pfle­ge­fach­frau, son­dern auch diplo­mier­te Reli­gi­ons­päd­ago­gin ist, die Kof­fer­trä­ge­rin her­ein, offe­riert Geträn­ke und setzt sich an den gross­zü­gi­gen Ess­tisch, der die Stu­be mit dem Küchen­be­reich ver­bin­det.Mit am Tisch sitzt der fünf­jäh­ri­ge Natha­na­el. Sein klei­ner Bru­der Jona­than liegt in einem prak­ti­schen Hoch­stuhl. Vier Mona­te ist Jona­than alt. Wäh­rend der Knirps auf­merk­sam den Kopf zur Mut­ter dreht und strahlt, schleckt der Gros­se ein Eis. Da sich Dési­rée Huber und Nico­le Gab­ler aus der Grup­pe Fami­li­en­viel­falt ken­nen, sind zwar nicht vie­le erklä­ren­de Wor­te nötig, doch Desi­rée Huber freut sich sicht­lich, dass auch sie Besuch von den Frei­wil­li­gen bekommt. «Jetzt sehe ich den Kof­fer end­lich», sagt sie spon­tan und lacht.

Auch Ableh­nung ist in Ordnung

Ins­ge­samt acht Frau­en – von der Seel­sor­ge­rin über die Kate­che­tin bis zur frei­wil­lig Enga­gier­ten – sind im Besuchs­dienst für die Neu­ge­bo­re­nen und ihre Eltern und Geschwi­ster tätig. Die Besu­che lau­fen nach einem kla­ren Pro­to­koll ab: Nach­dem der Pfarr­ge­mein­de die Geburt eines als katho­lisch gemel­de­ten Kin­des mit­ge­teilt wur­de, schreibt eine der Frei­wil­li­gen den Eltern eine Kar­te. Dar­in wird das Besuch­s­an­ge­bot vor­ge­stellt und erläu­tert sowie ein Ter­min­vor­schlag gemacht; soll­te der Ter­min­vor­schlag nicht pas­sen, ist eine Han­dy­num­mer in der Kar­te notiert und die Bit­te, sich dort zu mel­den.«Wir wol­len offen­las­sen, wie die­ses Tref­fen abläuft: Das kann bei einem Kaf­fee zuhau­se, bei einem Spa­zier­gang, im Kir­chen­zen­trum oder auf einem Spiel­platz mit ande­ren Kin­dern statt­fin­den», heisst es auf der ent­spre­chen­den Inter­net­sei­te des Pasto­ral­raums Regi­on Brugg-Win­disch. So kom­me es auch vor, dass ein Besuch abge­lehnt wer­de. «Eine Mut­ter teil­te mir mit, dass sie kei­nen Anspruch auf den Kof­fer habe, da sie aus der Kir­che aus­ge­tre­ten sei», beschreibt eine Frei­wil­li­ge ihre Erfah­rung.

Es soll ein ech­tes Geschenk sein

Am Ess­tisch der Fami­lie Huber will Natha­na­el den Kof­fer nicht mehr nur anschau­en. Er will wis­sen, was dar­in ist. Gemein­sam öff­nen er und sei­ne Mut­ter den Kof­fer, Jona­than schaut kon­zen­triert zu: Es pas­siert etwas. Nach­ein­an­der tau­chen Schät­ze aus dem Kof­fer auf: ein Gebet­buch für Kin­der, ein Stoff­säck­chen – dar­in ein Hir­te und Holz­scha­fe. Eine CD mit Lie­dern von Andrew Bond, ein son­nen­gel­bes Nuschi und eine kni­stern­de, dün­ne wei­che Wol­ke, die fast post­wen­dend im Mund von Jona­than lan­det. Begei­stert kaut er dar­auf her­um, kni­stert und unter­sucht sein neu­es Spiel­zeug.Im Deckel des Kof­fers klebt ein Spie­gel, dane­ben eine Inven­tar­li­ste mit Erklä­run­gen. Auch die ver­schie­de­nen Ange­bo­te und nütz­li­che Kon­takt­adres­sen sind auf einem Fly­er im Kof­fer ent­hal­ten. Zudem ein klei­nes Fläsch­chen: «Wii­was­ser», ruft Natha­na­el begei­stert und sta­pelt anschlies­send die Holz­scha­fe auf die Hut­krem­pe des Hir­ten. Es sei ihnen in der Grup­pe Fami­li­en­viel­falt wich­tig gewe­sen, dass hoch­wer­ti­ge Klei­nig­kei­ten in den Kof­fer kom­men, sagt Dési­rée Huber. Nico­le Gab­ler beton­te bereits auf der Hin­fahrt im Gespräch: «Wir wol­len mit einem ech­ten Geschenk zu den Fami­li­en gehen. Mit einem Geschenk, hin­ter dem wir ste­hen kön­nen.» Desi­rée Huber sagt nun mehr als zufrie­den: «Ach, ist das toll. Es sind so schö­ne Sachen und sie haben gute Qua­li­tät. Ich bin begei­stert, was aus einer blos­sen Idee an einem Tisch gewor­den ist». Den Schog­gi­stän­gel als Ner­ven­nah­rung für die Müt­ter, eben­falls Teil des Kof­fer­in­halts, bringt sie schnell in Sicher­heit.

Kof­fer­pa­ten zur Finanzierung?

Die Hoch­wer­tig­keit hat ihren Preis. Bri­git­ta Minich ver­rät, dass man genau schau­en müs­se, wie der Kof­fer ins Bud­get pas­se. Viel­leicht kön­ne man Kof­fer­pa­ten suchen – es sei im Pasto­ral­raum Regi­on Brugg-Win­disch üblich, auch unge­wohn­te Wege in Betracht zu zie­hen. Nico­le Gab­ler ergänzt um einen wei­te­ren Punkt: «Die poli­ti­schen Gemein­den hand­ha­ben die Wei­ter­ga­be der Daten unter­schied­lich. Im Fall von Desi­rée Huber haben wir von der Geburt ihres Soh­nes Ende April erst zur Mit­te der Som­mer­fe­ri­en erfah­ren. Es ver­geht also manch­mal recht viel Zeit, bis wir die Begrüs­sungs­kar­te los­schicken kön­nen».Das Kon­zept des Baby­kof­fers, der einen Anknüp­fungs­punkt zwi­schen der katho­li­schen Kir­che und den Fami­li­en im Pasto­ral­raum bil­den soll, scheint nach den ersten Wochen auf jeden Fall zu funk­tio­nie­ren. Frei­wil­li­ge erzäh­len von mehr­heit­lich guten Erfah­run­gen im Kon­takt mit den teils voll­kom­men unbe­kann­ten Men­schen. Selbst wenn eine Mut­ter kurz vor dem Wie­der­ein­tritt ins Berufs­le­ben ste­he und des­halb wegen eines Besuchs­ter­mins erst abwar­ten wol­le, ergä­ben sich Gesprä­che per Mail oder SMS. Auch gäben die Fami­li­en Anre­gun­gen, was in der Kir­che viel­leicht noch anspre­chen­der gestal­tet wer­den könn­te.

Auf zum näch­sten Besuch

Das schö­ne Wet­ter hat Natha­na­el mitt­ler­wei­le nach draus­sen gelockt. Baby Jona­than kni­stert nach wie vor begei­stert mit sei­ner Wol­ke. Dési­rée Huber und Nico­le Gab­ler unter­hal­ten sich über ver­schie­de­ne The­men. Ergibt es Sinn, eine ehren­amt­lich Enga­gier­te, die Mit­glied der Grup­pe Fami­li­en­viel­falt ist und an der Ent­ste­hung des Kof­fers betei­ligt war, eben­falls zu besu­chen?Dési­rée Huber wird einen Moment still, denkt nach und sagt dann: «Ich habe mich auf den Besuch sehr gefreut, weil man schon ein biss­chen ver­gisst, wie das ist mit einem Baby. Zudem: Die Sachen hel­fen mir, auch wenn ich eher aktiv in der Kir­che bin. Die Lie­der auf der CD bie­ten Anknüp­fungs­punk­te für Gesprä­che zum The­ma Glau­ben. Sie ver­mit­teln die Inhal­te ein­fach und für den All­tags­ge­brauch. Auch die Gebe­te – viel­leicht hab ich nicht so schnell eines parat, dann kann ich nach­schau­en.» Nico­le Gab­ler freut sich über die Reak­ti­on und ver­rät auf dem Weg nach draus­sen, dass sie die näch­ste Kar­te mit Besuch­s­an­ge­bot schon abge­schickt hat. Hier fin­den Sie nähe­re Infor­ma­tio­nen zum Kof­fer und dem Besuchs­dienst im Pasto­ral­raum Regi­on Brugg-Win­disch.In der Fach­stel­le Kate­che­se und Medi­en in Aar­au kön­nen Inter­es­sier­te den Kof­fer anschau­en und sich für ein eige­nes Pro­jekt anre­gen lassen.
Anne Burgmer
mehr zum Autor
nach
soben