Schmutzli im ersten Lehrjahr

Schmutzli im ersten Lehrjahr

  • Im Chläusin­nenal­ter eine Schmut­zlilehre zu begin­nen, wirkt wie ein Jung­brun­nen. Hor­i­zonte-Mitar­bei­t­erin Car­men Frei wagte den Schritt.
  • Coro­n­abe­d­ingt spielt sich die diesjährige Chlaus­sai­son haupt­säch­lich draussen ab. Eine klei­dertech­nis­che Her­aus­forderung für einen «Gfrör­li», wie im Erfahrungs­bericht von Car­men Frei zu lesen ist.

Im Rah­men der Recherche zum Hor­i­zonte-Artikel «Alarm­stufe Samich­laus» kam ich mit Roli Brun, dem Präsi­den­ten ad inter­im der St. Niko­laus-Gesellschaft Mellin­gen, in Kon­takt. Fach­mann Roli bemerk­te bei meinen vie­len Fra­gen sofort, dass da eine absolute Lai­in am Werk ist und ermunterte mich zur Schmut­zli-Lehre. Start 4. Dezem­ber 2020.

Michelin-Männchen in schwarz

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Um die null Grad, reg­ner­isch, leichte Bise. Soweit die Wet­ter­vorher­sage für die Zeit meines allerersten Schmut­zli-Ein­satzes. Coro­n­abe­d­ingt nicht in den war­men Stuben, son­dern draussen im Chlaus­garten. Drei Stun­den im Win­ter­abend, kaum Bewe­gung. Um dies zu über­ste­hen, bin ich als mas­siv­er «Gför­li» echt gefordert. Der Schicht­en­look soll es richt­en. Lan­gar­munterzieher, Ther­mostrumpfhose, feste Jeans, Rol­lkra­gen­pul­li, Faser­pelz, Daunen- und Kun­st­pelzgilet drüber, solides Schuh­w­erk. Alles kohlraben­schwarz. Ver­ste­ht sich. In der Bewe­gung füh­le ich mich der­massen ver­mummt zwar leicht eingeschränkt, aber ein kurz­er Test­lauf in der Kälte ver­spricht das gewün­schte Resul­tat.

Im Untergeschoss des Alter­szen­trums ist die Mellinger Chlaus- und Schmut­zl­izen­trale per­fekt ein­gerichtet. Nach kurz­er Instruk­tion geht es in den sep­a­rat­en Schmut­z­likeller, denn in der Chlaus­loge haben wir Gehil­fen nichts zu suchen. Das erste Team ist bere­it für den Ein­satz und ver­lässt die Räum­lichkeit­en. Nun dür­fen Lina, Flo und ich ran. Lina und ich sind Neulinge. Flo Rou­tinier. Darum ist er fürs Schminken zuständig. Genaugenom­men fürs Sprayen. Denn die schwarze Gesichts­farbe wird im Air­brush-Ver­fahren zweilagig aufge­tra­gen. Fotograf Roger find­et, es sähe aus wie beim Auto­lack­ier­er. Anfühlen tut es sich wie in ein­er Well­ness-Behand­lung. Angenehm erfrischend, belebend. Ein Jung­brun­nen für den Neu-Schmut­zli im Chlausalter. Schliesslich der schwarze Mund-Nasen-Schutz, der dick­ste Schmut­zli­man­tel samt Gür­tel mit Schelle über die eh schon üppige Mon­tur und die war­men Hand­schuhe: Parat ist diese pfundi­ge Schmut­zli-Aus­gabe.

Prompt in die Falle getappt

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Roli gibt uns eine kleine Lat­er­ne mit auf den Weg. Zusam­men mit dem stat­tlichen Niko­laus geht es nach draussen. Der Weg zum Chlaus­garten führt dem Feier­abend­verkehr ent­lang. Fröh­lich winkt es uns aus den Autos ent­ge­gen. Ein vor der Ampel wartender SUV-Fahrer lässt cool die getönte Scheibe runter, fragt, ob er ein Foti machen darf. Vere­int guck­en wir in die Handykam­era. Bald sind wir da. Bei Mar­tin, der seinen Garten vor der Sche­une üppig geschmückt hat. Da funkeln Hirsche mit Schwenkkopf, Schneemän­ner, Sterne und Girlan­den um die Wette. Ein richtiges Feuer kom­plet­tiert das zauber­hafte Ambi­ente.

Die erste Fam­i­lie trifft ein. Klein Angeli­na ist über­wältigt beim Ein­tritt in den Chlaus­garten und greift auf Papis Auf­forderung nach Schmut­zlis Hand. Ihre kleinen Fin­ger umk­lam­mern meine und wollen sie partout nicht mehr loslassen. Also ste­ht oder kauert der Schmut­zli-Stift während des ganzen Besuchs neben ihr. Sie bringt trotz allem keinen Ton her­aus. Der prächtige Samich­laus im roten-weis­sen Gewand, mit dem wal­len­den Bart und der gol­drandi­gen Brille, der ihr die Geschichte vom kleinen Wei­h­nachts­baum erzählt; der Schmut­zli, der dem gold­e­nen Buch so Einiges über Angeli­na zu ent­nehmen weiss; das prall gefüllte Jute-Säck­li, das sie geschenkt bekommt: Angeli­na ist und bleibt sprach­los. Der Neuschmut­zli begleit­et sie und ihre Fam­i­lie schliesslich durch Mar­tins Lichter­wun­der­land Rich­tung Strasse, winkt ihr zu, bis sie um die Hausecke gebo­gen und zurück ins nor­male Leben getreten ist. Wieder auf Platz zitiert mich der Lehrmeis­ter zu sich. Erstens…, zweit­ens…, drit­tens… und vor allem viertens: Weib­liche Schmut­zli sprechen nicht. Natür­lich habe ich mir die vorgängig zugestell­ten Instruk­tio­nen zu Gemüte geführt. Und bin den­noch prompt in die Schmut­zli­falle getappt.

Weibliche Schmutzli sprechen nicht

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Das ist defin­i­tiv ein­fach­er gesagt als getan. Dauernd fragt der Samich­laus uns Schmut­zli etwas: Gell, ihr liest die Büch­er von den drei Frageze­ichen auch so gerne? Gell Schmut­zli, ihr mögt auch lieber Spaghet­ti als Spinat? Find­et ihr Schmut­zli nicht auch, dass das jet­zt ein ganz toll aufge­sagtes Ver­sli war? Gut haben wir da die Schelle am Gurt. So dür­fen Lina und ich lär­men und das Reden Ober­schmut­zli Flo über­lassen.

Zwar ist es die Idee, dass der Samich­laus die Kinder mit einem Säck­li belohnt. Umso über­raschter bin ich, welch’ hüb­sche Zeich­nun­gen oder gar Selb­st­ge­back­enes die Fam­i­lien ihm mit­brin­gen. Wir haben es an diesem Abend mit richtig lieben Kindern zu tun, weiss das gold­ene Buch. Sie sind hil­fs­bere­it, selb­ständig, putzen brav ihre Zähne, gehen in die Wald- oder Hof­spiel­gruppe oder bere­its gerne zur Schule – dort ins­beson­dere ins Tur­nen, Malen und in den Mathe-Unter­richt – sie haben viele Fre­unde, kön­nen gut schwim­men – «min Papi esch au en rechti­gi Wasser­muus!» – fab­rizieren eigene Kräuter­mis­chun­gen oder bauen Kugelibah­nen. Wären sie nicht auch mehrheitlich Nachtschwärmer, wür­den es bevorzu­gen, jew­eils noch länger fernse­hen zu dür­fen und stün­den sie bei Tisch ten­den­ziell auf Kriegs­fuss mit dem Besteck, hätte der Samich­laus gar nichts zu tadeln. So ver­sprechen sie ihm begleit­et von kräftigem Kopfnick­en, diese Fältchen im All­t­ag bis zum Wieder­se­hen mit dem Samich­laus im näch­sten Jahr auszubügeln.

Vorfreude aufs zweite Lehrjahr

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Schliesslich empfängt der Samich­laus an diesem Fre­itagabend, der glück­licher­weise trock­en bleibt, Maria in seinem Reich. Sie hat sich über­aus fein gemacht. Trägt unter der war­men Daunen­jacke einen Prinzessin­nen­traum aus pail­let­tenbe­set­ztem Tüll. Natür­lich fragt der Samich­laus auch Maria, ob sie ihm ein Sprüch­li oder Lied vor­tra­gen will. Die Dreiein­hal­b­jährige tritt andächtig einen Schritt näher an den Samich­laus her­an und begin­nt nach ein­er kun­stvollen Pause engels­gle­ich das «Vater unser» zu sin­gen – himm­lisch! Da wird es dem Pfar­rblatt-Schmut­zli, dem mit­tler­weile die Kälte schon etwas in die Knochen gefahren ist, nochmals so richtig warm ums Herz. Und es kommt ganz viel Vor­freude aufs zweite Schmut­zli-Lehr­jahr auf.

Andreas C. Müller
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