Rummelplatz mit Tiefgang
Der Ansturm auf die neue Stapferhaus-Ausstellung «Heimat-Eine Grenzerfahrung» ist gross. Die zwanzigköpfige Horizonte-Lesergruppe hatte am vergangenen Dienstag, 28. März, das Zeughaus in Lenzburg für sich allein. Noch nie sei eine Stapferhaus-Produktion so fulminant gestartet wie die neue Ausstellung «Heimat – eine Grenzerfahrung», berichtete unlängst die Aargauer Zeitung. Bereits vor der offiziellen Eröffnung hätten sich über 500 Gruppen angemeldet. Freie Termine für Gruppenführungen gebe es erst Mitte April wieder, überdies sei das Lenzburger Zeughaus, das aktuell mit dem zur Ausstellung gehörenden Riesenrad schon von weit her lokalisiert werden kann, regelrecht «überrannt» worden.
Ab ins uterine Kapillargeflecht
Glück für die zwanzigköpfige Horizonte-Lesergruppe, die sich auf Einladung am vergangenen Dienstag, 28. März um 18 Uhr auf dem Zeughausgelände einfindet: Es wartet ein exklusiver Rundgang durch die Heimat-Ausstellung ohne Wartezeiten und Gedränge – und das Ganze erst noch in Begleitung des Präsidenten der Pfarrblattgemeinschaft, Andreas Wieland, Gabriele Tietze aus der Bistumsregionalleitung sowie Alain Gloor und Stefanie Bucher vom Stapferhaus-Team.Die Ausstellung startet mit einer Art futuristischen High-Tech-Schwitzhütte. Anstelle des Schamanen mit seinen Zauberkräutern sorgen drei Hochleistungsbeamer für Wärme und spielen mit bewegten Bildern auf der Sehnsuchtsklaviatur der Psyche. Zunächst erscheinen Milchstrassenfäden. Kurz darauf taucht die projizierte Vision ab in ein uterines Kapillargeflecht. Dumpf vernehmen sind Pulsschlag, Blubbern, Vogelgezwitzscher, Gespräche zu vernehmen.
«Heimat ist nicht einfach zu finden»
Sie habe sich in diesem speziellen Raum sehr wohl gefühlt, erklärt Elisabeth Bernet aus Zetzwil später. «Da wär ich gern noch länger geblieben», ergänzt sie lachend. «Heimat ist etwas Wunderschönes, aber nicht einfach zu finden», so die gebürtige Deutsche aus dem Spessart. «Die Geborgenheit im ersten Raum der Ausstellung wollen wir bewusst evozieren», erklärt Alain Gloor vom Staperhaus-Team. «Es ist eine Anlehnung an den Mutterbauch – unsere erste Heimat. Dort kommen wir her, haben keine Erinnerung daran und sehnen uns unbewusst gleichwohl immer danach.»Der Trip in die pränatale Dimension von Heimat dauert nur wenige Minuten. Eine Tür öffnet sich und sorgt für eine harte Landung in der Realität – Laut Alain Gloor der Geburt nachempfunden: Bilder von Umweltzerstörung, industrieller Fleischverarbeitung und ungelenk agierenden Robotern im Haushalt erwarten die Ausstellungsbesucher. «Der Begriff Heimat ist erst mit der Industrialisierung entstanden», erklärt Alain Gloor der Gruppe. «Heimat steht für die Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, weil das Bestehende bedroht scheint.»
Im Liegestuhl beim unsichtbaren Therapeuten
Auch diese Stapferhaus-Ausstellung funktioniert interaktiv. Mit Rummelplatzjettons ausgestattet, kommen die Horizonte-Leserinnen und Leser nicht nur auf dem Riesenrad spielerisch in Kontakt miteinander, sondern erkunden an eigens eingerichteten Psychoanalyse-Stationen ihre «seelischen Heimatgefühle», wie es Stefanie Bucher vom Stapferhaus-Team nennt. Die Auseinandersetzung mit eigenen Vorstellungen und Ideen von Heimat findet später ihre Auflösung in einem Liegestuhl mit Blick an die Decke. Aus dem Off ertönt die Stimme des Heimatpsychoanalytikers, der erklärt, wo und wie genau sich nun jeder einzelne von uns beheimatet fühlt.Natürlich bietet die aktuelle Stapferhaus-Ausstellung auch die Möglichkeit, die individuellen Heimatkonzepte in einem grösseren Kontext zu betrachten. Das Stapferhaus-Team hat unter dem Arbeitstitel «1001 Heimat» 1000 Leute in der ganzen Schweiz zum Thema Heimat interviewt. Die Gespräche, welche sich die Besucherinnen und Besucher ansehen und anhören können, aber auch deren Auswertung sind Teil der Ausstellung. «Die Befragung ergab unter anderem, dass von den 1000 insgesamt Befragten 30 Prozent ihr Heimat in der Schweiz sehen und für 20 Prozent nach wie vor der Glaube Heimat bietet.
«Ohne Heimat hast du nichts mehr zu verlieren»
Fides und Othmar Isler aus Baden haben bereits jede Stapferhaus-Ausstellung besucht. Fides, die sich in der Firmvorbereitung engagiert, hat sogar schon mit Jugendgruppen Ausflüge nach Lenzburg gemacht. Gespannt auf den jüngsten Wurf des Stapferhaus-Teams sind sie dem Leser-Aufruf der Horizonte-Redaktion gefolgt.Das Thema habe beide interessiert. «Es ist hochaktuell – gerade vor dem Hintergrund, dass Flüchtlinge ihre Heimat verlassen müssen», so Othmar Isler. Genau jener Themenaspekt begegnet den beiden auch in der Ausstellung wieder. Ein Flüchtling erzählt in einem Audio-Porträt, dass er nichts mehr zu verlieren habe, zumal er seine Heimat bereits aufgeben musste. «Das macht traurig, bekennt Fides Isler. «Und es lehrt uns, zur Heimat Sorge zu tragen», ergänzt Othmar Isler.
Die kleine Bühne im Theater des Kosmos
Schliesslich steht die Horizonte-Gruppe vor einem gusseisernen Parktor. Dahinter aufragend: Schweizerisch bewappnete Trutzburgen, Geranien-Arrangements, ein plätschernder Brunnen, Abstimmungsurnen, Feldstecher. «Die Irritation einer sich nach aussen abgrenzenden Schweiz ist bewusst gewählt», räumt Stefanie Bucher vom Stapferhaus-Team ein. Und Alain Gloor erklärt: «Heimat hat immer auch eine gesellschaftspolitische Dimension.» Entsprechend lade die Kulisse der Parkanlage ein zur Auseinandersetzung mit der Schweiz, ihren Regeln und Werten.Interessiert stellen sich die Horizonte-Leserinnen und Leser verschiedenen Fragen: Wer sind wir? Wer darf bleiben? Was gehört sich? Gibt es den Typus des «Homo Alpinus Helveticus»? Was verbindet? Was trennt? Die gesammelten Erkenntnisse nimmt die Gruppe mit ins Universum. Der Blick durch eine Virtual Reality-Brille lässt die Erde – die Heimat aller Menschen winzig klein erscheinen: «Wie eine kleine Bühne im grossen Theater des Kosmos», zitiert uns eine Stimme den Astronomen Carl Sagan.