Rie­hen: Prie­ster ver­passt Chan­ce zur Resozialisierung

Rie­hen: Prie­ster ver­passt Chan­ce zur Resozialisierung

  • Am 14. Janu­ar 2019 eska­lier­te in Rie­hen, Basel Stadt, die Situa­ti­on um die Wahl eines vor­be­straf­ten Prie­sters zum Pfar­rer, der frü­her auch im Aar­gau tätig gewe­sen war. Nach­dem zunächst nur davon die Rede gewe­sen war, dass der Geist­li­che an einer frü­he­ren Pfarr­stel­le im Thur­gau einem Jugend­li­chen die Füs­se mas­siert hat­te, wur­de schliess­lich ein wei­ter gehen­der Ãœber­griff öffentlich.
  • Der Bas­ler Bischof Felix Gmür hat­te die Wahl zum Kan­di­da­ten zunächst unter bestimm­ten Bedin­gun­gen akzep­tiert. Nach Bekannt­wer­den des vol­len Umfangs der Ver­feh­lun­gen lud Felix Gmür gestern zu einer Medi­en­kon­fe­renz, um sich kri­ti­schen Fra­gen zu stellen.
 In einem sind sich alle Gesprächs­part­ner einig: Es ist gut, dass die Sache jetzt raus­ge­kom­men ist. Aus­ge­stan­den ist die Kri­se jedoch nicht. «Wir hat­ten die Hoff­nung, dass die Men­schen in der Pfar­rei jetzt, nach­dem Ste­fan Küng sei­ne Kan­di­da­tur zurück­ge­zo­gen hat, von ihren Emo­tio­nen run­ter­kom­men. Doch das ist nicht der Fall», sagt Pfar­rei­mit­glied Robert Mül­ler aus Rie­hen, der sei­nen rich­ti­gen Namen nicht ver­öf­fent­licht sehen will.

Ver­är­ge­rung und Ent­täu­schung in Basel und Riehen

Mit dem Wunsch nach Anony­mi­tät ist Robert Mül­ler nicht allein. Auch Susan­ne Mei­er heisst eigent­lich anders. Sie ist schockiert über die Vor­gän­ge in ihrer Pfar­rei und fin­det kaum Wor­te: «Erst durch die Unter­schrif­ten­samm­lung erfuhr ich, dass Ste­fan Küng die­se Fuss­mas­sa­gen gemacht hat­te. Von daher fand ich es gut, dass eine Urnen­wahl erwirkt wer­den soll­te (Anmer­kung der Redak­ti­on: ohne eine aus­rei­chen­de Anzahl Unter­schrif­ten wäre der Kan­di­dat in Rie­hen still gewählt wor­den). Wenn vie­le für Herrn Küng gestimmt hät­ten, dann hät­te das geheis­sen, dass er Rück­halt in der Gemein­de hat. Er hat – so mei­ne Wahr­neh­mung – sich für die Men­schen inter­es­siert und das kam gut an».An einem Infor­ma­ti­ons­abend soll­ten die Pfar­rei­mit­glie­der die Mög­lich­keit bekom­men, Fra­gen an Ste­fan Küng zu rich­ten. Ein­ge­la­den hat­te der Prie­ster sel­ber. Mit ihm stan­den Pasto­ral­raum­pfar­rer Ste­fan Kemm­ler, der Prä­si­dent der Pfarr­wahl­kom­mis­si­on, Ste­fan Suter, und Dani­el Bach­mann, ein lang­jäh­ri­ger Weg­ge­fähr­te Ste­fan Küngs, vor der Ver­samm­lung.Béa­tri­ce Bowald, Mit­ar­bei­te­rin an der Stabs­stel­le des Pasto­ral­raums Basel Stadt, fin­det es aus Grün­den der Beach­tung der Zustän­dig­kei­ten der ver­schie­de­nen Gre­mi­en frag­wür­dig, dass Ste­fan Küng sel­ber ein­ge­la­den hat­te und nicht der Pfar­rei­rat oder die Pfarr­wahl­kom­mis­si­on. Die Theo­lo­gin beschreibt den Abend als Wahl­ver­an­stal­tung mit popu­li­sti­schen Ele­men­ten und führt aus: «Die Kri­ti­ker Küngs hat­ten es schwe­rer, zu Wort zu kom­men. Sei­ne Befür­wor­ter hat­ten die Mehr­heit der Voten und lies­sen die kri­ti­schen Stim­men teil­wei­se nicht rich­tig zu Wort kom­men. Es gab kei­ne Mode­ra­ti­on und die Art und Wei­se, wie durch Herrn Suter immer wie­der betont wur­de, dass der Fuss kein Sexu­al­ob­jekt sei, zog die Straf­ver­fol­gungs­be­hör­de ins Lächer­li­che. Die Fra­ge nach dem Inhalt des Straf­be­fehls blieb unbe­ant­wor­tet und es stell­te sich her­aus, dass ein­zel­ne Mit­glie­der der Pfarr­wahl­kom­mis­si­on nicht über den Straf­be­fehl ori­en­tiert waren».Susan­ne Mei­er for­mu­liert es so: «Die vier Män­ner vor­ne haben wun­der­bar zusam­men funk­tio­niert und ich hat­te den Ein­druck, ein System zu erle­ben, das von Ver­tu­schung lebt. Jetzt, nach dem Bekannt­wer­den des Straf­be­fehls, ist die Intrans­pa­renz des als Auf­klä­rung gedach­ten Infor­ma­ti­ons­abends noch weni­ger zu fas­sen».

Der Bas­ler Bischof in Erklärungsnot

Die Basel­land­schaft­li­che Zei­tung hat­te von der Staats­an­walt­schaft Thur­gau den Straf­be­fehl erhal­ten und berich­tet, dass Ste­phan Küng sich in einem Fall eines ernst­zu­neh­men­de­ren Über­griffs schul­dig gemacht hat­te. Damit war klar: Ste­phan Küng war unwähl­bar gewor­den. Es stell­te sich die Fra­ge, war­um Bischof Felix Gmür, aktu­ell Prä­si­dent der Schwei­zer Bischofs­kon­fe­renz SBK, trotz Kennt­nis des Straf­be­fehls, eine sol­che Kan­di­da­tur bestä­tigt hat­te – beson­ders mit Blick auf die Null­to­le­ranz­li­nie der Römisch-Katho­li­schen Kir­che.Ange­sichts der Ent­wick­lung lud Felix Gmür gestern, Mitt­woch 23. Janu­ar, in Solo­thurn zur Medi­en­kon­fe­renz. Dort erklär­te er sein Vor­ge­hen. Er habe nach lan­ger Prü­fung und auf Grund­la­ge ver­schie­de­ner Gut­ach­ten, die den Prie­ster als unbe­denk­lich ein­stu­fen, im Juli 2018 dem Vor­schlag der Pfarr­wahl­kom­mis­si­on in Rie­hen im Sin­ne der Reso­zia­li­sie­rung unter ver­schie­de­nen Bedin­gun­gen zuge­stimmt: Ste­fan Küng soll­te erstens voll­stän­di­ge Trans­pa­renz schaf­fen, zwei­tens soll­te sei­ne Wahl demo­kra­tisch ablau­fen, drit­tens soll­te er super­vi­so­ri­sche Beglei­tung anneh­men und vier­tens kei­ne Kin­der- und Jugend­ar­beit mehr machen. Die­se Bedin­gun­gen wur­den Ste­fan Küng und dem Prä­si­den­ten der Pfarr­wahl­kom­mis­si­on in einem Gespräch mit­ge­teilt.

Der Bischof wuss­te alles, muss­te aber schweigen

«Mir war von Anfang an klar, dass eine beruf­li­che Wie­der­ein­glie­de­rung nur über Trans­pa­renz mög­lich wäre. Soweit es mir die Geset­ze des Per­sön­lich­keits- und Opfer­schut­zes erlaub­ten, kom­mu­ni­zier­te ich alles, was ich wuss­te. Bis zur Offen­le­gung des Straf­be­fehls durch den Thur­gau­er Staats­an­walt war Küng die ein­zi­ge Per­son, die über den Inhalt hät­te Aus­kunft geben dür­fen. Das hat er jedoch nicht getan», sag­te Felix Gmür.Auf Nach­fra­gen nach wei­te­ren Mög­lich­kei­ten, Ein­fluss auf die Wahl zu neh­men, stell­te Felix Gmür klar, dass er als Teil der pasto­ra­len Sei­te des dua­len Systems der Katho­li­schen Kir­che Schweiz nicht in die Pro­zes­se der staats­kir­chen­recht­li­chen Sei­te ein­grei­fen dür­fe: «Die­se Abläu­fe habe ich zu respek­tie­ren», so der Bischof von Basel.

Ãœber Intrans­pa­renz gestolpert 

Im Fall von Ste­fan Küng geschah die Wahl durch die Kom­mis­si­on ohne Kon­sul­ta­ti­on des Bischofs – ein Vor­ge­hen, das auch in Rie­hen hin­ter­fragt wird. Rain­gard Lötscher-Booz, Dele­gier­te der Syn­oden­frak­ti­on im Pfar­rei­rat, sagt eben­falls, dass Ste­fan Küng weni­ger über sei­ne Ver­gan­gen­heit als über sei­ne Intrans­pa­ren­zen von sei­nem ersten Auf­tre­ten im Jahr 2015 bis hin zum Info­abend gestol­pert sei. Von den Bedin­gun­gen des Bischofs für die Ernen­nung nach erfolg­ter Wahl habe sie aus der Zei­tung erfah­ren. Sie bringt noch einen wei­te­ren Aspekt ins Spiel: «Unab­hän­gig von der Ver­gan­gen­heit eines Prie­sters steht für mich auch die Fra­ge im Raum, ob ein Kan­di­dat vom Lei­tungs­stil und den admi­ni­stra­ti­ven Kom­pe­ten­zen her für eine Pfar­rei geeig­net ist. Es wäre durch­aus vor­stell­bar gewe­sen, dass Ste­fan Küng als prie­ster­li­cher Mit­ar­bei­ter tätig ist, doch für die Lei­tung einer Pfar­rei ist mehr nötig als gute Got­tes­dien­ste».

Resul­tat: Eine «ver­wun­de­te» Pfarrei

Wie es in Rie­hen nun nach dem Rück­zug der Kan­di­da­tur durch Ste­fan Küng wei­ter­geht, ist offen. «Das Kli­ma in der Pfar­rei ist ver­gif­tet und die Leu­te sind nur noch erschöpft. Die Sache kostet unend­lich viel Ener­gie und ist seit Wochen dau­ernd The­ma bis an den Mit­tags­tisch», sagt Robert Mül­ler. Susan­ne Mei­er bezeich­net sich sel­ber als eher inak­ti­ves Pfar­rei­mit­glied, doch «wenn Ver­tre­ter vor Ort vor allem ihre eige­nen Bedürf­nis­se ver­su­chen durch­zu­brin­gen, anstatt die gesam­te Pfarr­ge­mein­de im Blick zu haben, fällt es mir noch schwe­rer, mich in Rie­hen kirch­lich behei­ma­tet zu füh­len.»Der Bischof liess an der Medi­en­kon­fe­renz offen, wie genau er mit der Pfarr­ge­mein­de, die er als ver­wun­det bezeich­ne­te, in Kon­takt tre­ten will. Zunächst trifft er die Seel­sor­ge­rin­nen und Seel­sor­ger des Pasto­ral­raums Basel Stadt zu einer Aus­spra­che. Für eine seel­sorg­li­che Tätig­keit Ste­fan Küngs sieht er in sei­nem Bis­tum kei­nen Weg; dass der Prie­ster kei­ne Trans­pa­renz geschaf­fen habe, sei eine Kata­stro­phe. Für die Zukunft habe der Fall Rie­hen gezeigt, so Felix Gmür, «dass es sinn­voll ist, mit den Prä­si­den­ten der Kan­to­nal­kir­chen zu bespre­chen, wie der Umgang mit Straf­an­zei­gen von kirch­li­chen Ange­stell­ten in sol­chen Fäl­len sein soll.»
Anne Burgmer
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