Per Zeitkapsel in die Klostervergangenheit

Per Zeitkapsel in die Klostervergangenheit

Im Rah­men der aktuellen Kirch­turm­sanierung samt Turmkreuz öffnete das Kloster Fahr nach 50 Jahren seine Zeitkapsel. Es erwartete die gelade­nen Medi­en­vertreter eine span­nende Reise in die Ver­gan­gen­heit – bis zurück in die Zeit der franzö­sis­chen Rev­o­lu­tion. Pri­or­in Irene Gassmann hat­te geladen, und die Medi­en­vertreter erschienen zahlre­ich: Unter anderem woll­ten sich neben Hor­i­zonte auch Schweiz­er Radio und Fernse­hen, die Aar­gauer Zeitung, die Lim­mat­taler Zeitung sowie Tele Züri den beson­deren Anlass nicht ent­ge­hen lassen, dem der magis­che Hauch ein­er Zeitreise anhaftete. Gle­ichzeit­ig koket­tierte das Unter­fan­gen auch mit Erin­nerun­gen an Kindertage, an denen man ein Kinderüber­raschung­sei in der Hand hielt und sich ges­pan­nt daran machte, den darin ver­bor­gen «Schatz» ans Licht zu befördern.

Ein ganz besonderes Überraschungsei

Am gestri­gen Don­ner­stag, den 10. August 2017, holten die Fahrer Schwest­ern ein ganz beson­deres Über­raschung­sei von ihrem Kirch­turm. Die Turmkugel – auch Zeitkapsel genan­nt. Darin, so Denkmalpflegerin Isabel Haupt, befind­en sich gemäss alter Tra­di­tion jew­eils Doku­mente aus ver­gan­gener Zeit. Bei der Erbau­ung der Kirche, aber auch bei jed­er Ren­o­va­tion der­sel­ben wur­den dem­nach Doku­mente beigegeben. Zwar gehe die Geschichte des Benedik­tiner­in­nen­klosters bis ins 12. ahrhun­dert zurück, «der Turm der heute noch existieren­den Kirche wurde jedoch erst 1689 ‑1696 erbaut», erk­lärte Isabel Haupt von der Denkmalpflege Aar­gau den Anwe­senden. «Gut möglich also, dass das älteste in der Kugel befind­liche Doku­ment aus dem späten 17. Jahrhun­dert stammt und sich Beiga­ben von 1965 in der Kugel befind­en, als der Kirch­turm zum let­zten Mal restau­ri­ert wurde.»Ges­pan­nt ver­fol­gten die anwe­senden Medi­en­schaf­fend­en, wie das schwere Turmkreuz samt Kugel und Wind­spiel per Flaschen­zug zu Boden gelassen wurde. Pri­or­in Irene Gassmann nahm die Turmkugel in Emp­fang. An einem Tisch unter dem Vor­dach der Sche­une wur­den die Doku­mente gesichtet.

Ferien auf dem Mond? Eigene Flugzeuge?

Wie ver­mutet bein­hal­tete die Kugel einen Zeitzeu­gen aus dem Jahre 1965 — einen auf edlem Perga­ment­pa­pi­er hand­schriftlich ver­fassten Brief, der Ein­blick in die dama­lige Sit­u­a­tion der Schwest­ernge­mein­schaft bot. Man habe die neue Bäuerin­nen­schule bezo­gen, «die grossen Anklang gefun­den hat», las Pri­or­in Irene Gassmann den Anwe­senden vor. Zudem flo­riere die Para­menten­werk­statt: 50 Mess­gewän­der seien bestellt. Und: «Wir haben zu wenig Platz, um alle Kan­di­datin­nen ins Kloster aufnehmen zu kön­nen», schreibt Pater Illar­ius, sein­erzeit als Propst vom Kloster Ein­siedeln einge­set­zt.Wie hat sich doch alles verän­dert. Zwar leben noch immer 20 Schwest­ern im Fahr (gemäss einem eben­falls der Kugel ent­nomme­nen Verze­ich­nis von 1890 waren es damals 23), doch die Fahrer Benedik­tiner­in­nen sind alle­samt in die Jahre gekom­men und kämpfen mit Nach­wuchssor­gen. Die all­seits beliebte Bäuerin­nen­schule haben die Schwest­ern 2013 geschlossen, die Leitung der Para­menten­werk­statt an eine externe Fachkraft übergeben. «Alle sind ver­rückt nach Tech­nik», zitiert Pri­or­in Irene Gassmann Propst Illar­ius weit­er. «Zurzeit kreisen zwei Gem­i­ni-Kapseln um die Erde: Werdet ihr, die ihr in ein paar Jahrzehn­ten die Kugel öffnet, vielle­icht schon Ferien auf dem Mond machen? Habt ihr eigene Flugzeuge anstelle von Autos?»

Mit Kanonen gegen das Kloster

Von den ins­ge­samt acht Doku­menten, die Pri­or­in Irene Gassmann dem Plas­tik­sack ein­er ros­ti­gen Met­all­box ent­nahm, die sich in der Kugel befand, beein­druck­te vor allem ein handgeschrieben­er Brief aus dem Jahre 1804. Pater Thomas, der als Vertreter des Klosters Ein­siedeln anwe­send war, kon­nte die alte deutsche Schreib­schrift entz­if­fern und las vor.Man habe gelobt, jeden Herb­st ein Hochamt mit allem Drum und Dran zu feiern – als Dank für die wun­der­same Erret­tung aus höch­ster Not, so Diet­land Kälin in seinem Schreiben. Der dama­lige Propst schildert in tre­f­fend­en Bildern, wie 1799 eine franzö­sis­che Armee von 40 000 Mann auf der Schlier­er All­mend sich entschloss, «mit voller Wucht auf unser Gotte­shaus zu feuern. Ungeachtet aller Feuerkraft legten sich die Kugeln allerd­ings wie zahme Läm­mer vor unsere Füsse.» Gle­ich­wohl hät­ten alle geglaubt, nun habe das let­zte Stündlein geschla­gen. In Erwartung des sicheren Todes wurde Eucharistie gefeiert, heisst es in dem Brief weit­er. Die Fran­zosen plün­derten das Kloster einen Tag lang. Doch wie durch ein Wun­der wurde nie­mand getötet.

Legende vom Eingreifen des Heiligen Mauritius

Einige Kanonenkugeln von jen­em Angriff habe das Kloster noch auf­be­wahrt, weiss Schwest­er Marie-Therese und ergänzt gegenüber Hor­i­zonte: Die Fran­zosen hät­ten die Schwest­ern wohl in Ruhe gelassen, weil während des Angriffs für viele sicht­bar der Heilige Mau­ri­tius die Kloster­mauern uner­schrock­en abgeschrit­ten habe.Ende Sep­tem­ber dürfte die Fahrer Turmkugel wieder an die Kirch­turm­spitze zurück­kehren — ergänzt mit zusät­zlichen Doku­menten aus der Gegen­wart. Was es genau sein wird, wollte Pri­or­in Irene Gassmann nicht ver­rat­en: «Das soll eine Über­raschung sein für die, die das näch­ste Mal die Kugel öff­nen. Wäre doch schade, wenn man im Vorn­here­in googeln kön­nte, was wir hinzuge­fügt haben.» 
Andreas C. Müller
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