«Papst FranÂzisÂkus will einen Umbruch»
- Der itaÂlieÂniÂsche VatiÂkan-JourÂnaÂlist MarÂco PoliÂti hat Bücher über die letzÂten drei PäpÂste verÂfasst — auch über Papst FranÂzisÂkus. Im Gespräch mit MarÂtin SpilÂker merkt der BuchÂauÂtor an, dass sich Papst FranÂzisÂkus zwar eine VerÂänÂdeÂrung wünscht, ihm aber von SeiÂten seiÂner UmgeÂbung ein kalÂter Wind ins Gesicht bläst. MarÂco PoliÂti spricht gar von «DeleÂgiÂtiÂmaÂtiÂonsÂanÂstrenÂgunÂgen».
- Dass nicht-zöliÂbaÂtÂäÂre PrieÂster zugeÂlasÂsen werÂden solÂlen, werÂde laut MarÂco PoliÂti im VatiÂkan durchÂaus disÂkuÂtiert. In AnbeÂtracht der öffentÂlich geworÂdeÂnen MissÂbrauchsÂfälÂle erhalÂte dieÂser Umstand jedoch viel zu wenig Aufmerksamkeit.
Herr PoliÂti, ihr Buch «FranÂzisÂkus unter WölÂfen» ist 2014 erschieÂnen. – Hat Papst FranÂzisÂkus die WölÂfe in der ZwiÂschenÂzeit gezähmt?
MarÂco PoliÂti: ÜberÂhaupt nicht! Der Titel lehnt sich ja an die LegenÂde von Franz von AssiÂsi an, in der ein Wolf dem HeiÂliÂgen die PfoÂte in Treue hinÂgeÂreicht hat. Hier ist es umgeÂkehrt: Die OppoÂsiÂtiÂon gegen die ReforÂmen von FranÂzisÂkus ist sehr stark. Es gibt einen ProÂzess der DeleÂgiÂtiÂmaÂtiÂon gegenÂüber dem Papst.
Ein harÂtes Wort.
Ja. Das hat bereits mit einer ReiÂhe von Büchern bei den SynÂoden zur FamiÂlie begonÂnen. Es gab dann die vier KarÂdiÂnäÂle, die den Papst theoÂloÂgisch kriÂtiÂsiert haben. Und in einem ManiÂfest wurÂden gewisÂse TeiÂle des SchreiÂbens «AmoÂris LaeÂtiÂtia» als häreÂtisch bezeichÂnet.
Haben Sie so ein VorÂgeÂhen im VatiÂkan schon einÂmal erlebt?
So aggresÂsiv? Nein. Andrea RicÂcarÂdi, ein itaÂlieÂniÂscher KirÂchenÂhiÂstoÂriÂker, hat gesagt, in den letzÂten 100 JahÂren habe es nie eine so grosÂse OppoÂsiÂtiÂon gegen einen Papst gegeÂben. Und das von SeiÂten der BischöÂfe, des KleÂrus und der GläuÂbiÂgen.
Wie erkläÂren Sie sich das?
Papst FranÂzisÂkus will einen Umbruch. Er verÂsteht KirÂche nicht mehr als MonÂarÂchie, sonÂdern als GemeinÂschaft. KirÂche soll auch nicht mehr so dogÂmaÂtisch sein, sonÂdern ein Ort, wo die GläuÂbiÂgen ZeugÂnis der NächÂstenÂlieÂbe ableÂgen.
Es gibt auch TheÂmen, wo sich Papst FranÂzisÂkus abschliesÂsend äusÂsert. So steht das FrauÂenÂprieÂsterÂtum für ihn nicht zur DisÂkusÂsiÂon.
Das stimmt. Aber er ist der erste Papst, der das FrauÂenÂdiaÂkoÂnat zum TheÂma macht. Eine KomÂmisÂsiÂon hat dazu ein Papier erarÂbeiÂtet, das aber noch nicht verÂöfÂfentÂlicht wurÂde. Hier sieht man, wie sehr FranÂzisÂkus aufÂpasÂsen muss, dass es innerÂhalb der KirÂche nicht eine zu grosÂse SpalÂtung gibt.
Getraut er sich nicht, solÂche DinÂge auf den Tisch zu legen?
Papst FranÂzisÂkus ist ganz bestimmt vorÂsichÂtiÂger geworÂden.
Sie verÂweiÂsen in Ihrem Buch auf die HerÂkunft des PapÂstes: SüdÂameÂriÂka und dort die MetroÂpoÂle BueÂnos Aires, wo FranÂzisÂkus als ErzÂbiÂschof tätig war. Erklärt dies die DifÂfeÂrenÂzen im VatiÂkan?
In SüdÂameÂriÂka finÂden sich wie in EuroÂpa erzÂkonÂserÂvaÂtiÂve BischöÂfe, sehr vorÂsichÂtiÂge BischöÂfe und soziÂal engaÂgierÂte BischöÂfe. Was ihn und seiÂne TätigÂkeit aber sicher geprägt hat, das sind seiÂne ErfahÂrunÂgen in einer pluÂraÂliÂstiÂschen MetroÂpoÂle. FranÂzisÂkus stammt nicht aus einem mehrÂheitÂlich kathoÂliÂschen Umfeld wie der BayÂer Papst BeneÂdikt XVI., der Pole JohanÂnes Paul II. und die itaÂlieÂniÂschen PäpÂste davor.
WorÂin liegt der UnterÂschied?
In dieÂser MetroÂpoÂle gibt es Juden, MusÂliÂme, ProÂteÂstanÂten, FreiÂmauÂrer, PfingstÂler. Und darÂum hat er VerÂständÂnis für die pluÂraÂliÂstiÂsche und säkuÂlaÂriÂsierÂte GesellÂschaft. Für ihn ist ein Nicht-GläuÂbiÂger nicht jemand, dem etwas fehlt. Ihn prägt grosÂsen Respekt vor AndersÂdenÂkenÂden.
Im Herbst wird die AmaÂzoÂnas-SynÂode stattÂfinÂden (sieÂhe auch ZusatzÂtext). Wäre es mögÂlich, dass in der kathoÂliÂschen KirÂche auf verÂschieÂdeÂnen KonÂtiÂnenÂten künfÂtig unterÂschiedÂliÂche Regeln gelÂten?
Eine GrundÂidee von Papst FranÂzisÂkus zu Beginn seiÂner AmtsÂzeit war ja: Es muss nicht alles vom ZenÂtrum aus entÂschieÂden werÂden. Er hat ja auch einen DezenÂtraÂliÂsieÂrungsÂproÂzess angeÂfanÂgen. PrieÂster und BischöÂfe könÂnen heuÂte EntÂscheiÂdunÂgen trefÂfen, die früÂher eine StuÂfe höher entÂschieÂden wurÂden. Das sind SchritÂte in RichÂtung einer DezenÂtraÂliÂsieÂrung. WeiÂter steht die FraÂge im Raum, ob es mögÂlich ist, aufÂgrund des immensen PrieÂsterÂmanÂgels an ausÂgeÂwählÂten Orten nicht-zöliÂbaÂtÂäÂre PrieÂster einÂzuÂsetÂzen. Der Papst hat das etwa für besonÂdeÂre GemeinÂschafÂten in ganz entÂleÂgeÂnen TeiÂlen des DschunÂgels ins Spiel gebracht.
WelÂche FolÂgen hätÂte das?
Es wäre ein grosÂser Schritt nach vorÂne! Denn sehr bald würÂden andeÂre StimÂmen laut, die das für sich auch einÂforÂdern könnÂten: In NordÂameÂriÂka liesÂse sich sagen, dass im DschunÂgel der GrossÂstadt ein ebenÂso grosÂser PrieÂsterÂmanÂgel herrÂsche.
KirÂchenÂinÂtern hanÂdelt es sich hier um sehr grosÂse SchritÂte. DieÂse scheiÂnen aber durch die momenÂtaÂne MissÂbrauchsÂdeÂbatÂte vollÂkomÂmen unterÂzuÂgeÂhen.
Die KirÂche ist beim MissÂbrauch herÂausÂgeÂforÂdert und Papst FranÂzisÂkus hat von Beginn weg klar gemacht, dass es für ihn nur NullÂtoÂleÂranz gibt. Es sind entÂspreÂchend auch mehÂreÂre rangÂhoÂhe GeistÂliÂche abgeÂsetzt worÂden. DieÂse StraÂteÂgie des PapÂstes ist allerÂdings saboÂtiert worÂden.
Wie zeigt sich das?
Es hätÂte eigentÂlich ein innerÂvaÂtiÂkaÂniÂsches Gericht über die VerÂtuÂschung von MissÂbrauchsÂfälÂlen geben solÂlen. Das wurÂde aber nie einÂgeÂsetzt. WeiÂter wurÂden RichtÂliÂniÂen für den Umgang mit MissÂbrauchsÂopÂfern ausÂgeÂarÂbeiÂtet. Aber der allerÂgrössÂte Teil der BischofsÂkonÂfeÂrenÂzen hat bisÂlang nichts getan! Die OrtsÂkirÂchen haben enorÂme Angst, dass zu vieÂle verÂtuschÂte FälÂle ans Licht komÂmen.
Papst FranÂzisÂkus ist nun 82 JahÂre alt. Was kann man von ihm noch erwarÂten?
FranÂzisÂkus ist sehr zäh und zielÂstreÂbig. Aber man muss – am BeiÂspiel MissÂbrauch – schauÂen, was mit seiÂnen VorÂgaÂben in den OrtsÂkirÂchen weltÂweit pasÂsiert. Wenn innerÂhalb des nächÂsten JahÂres ein System zur AufÂarÂbeiÂtung und PräÂvenÂtiÂon aufÂgeÂsetzt wird wie im deutschÂspraÂchiÂgen oder angelÂsächÂsiÂschen Raum, dann kann man sagen: Das ist ein Erfolg! Wenn sich dieÂse Sache aber hinÂzieht und immer neue SkanÂdaÂle an die ÖffentÂlichÂkeit komÂmen, dann sieht man eben auch, dass der Papst nicht allÂmächÂtig ist und dass dieÂser Papst auf grosÂsen WiderÂstand stösst.
Aber vieÂle LeuÂte setÂzen doch grosÂse HoffÂnung in dieÂsen Papst. WorÂan fehlt es?
Man sieht einen UnterÂschied zu den ZeiÂten nach dem KonÂzil. Damals gab es im KirÂchenÂvolk einen Drang nach ReforÂmen. Es gab engaÂgierÂte BischöÂfe, KarÂdiÂnäÂle, TheoÂloÂgen, ArbeitsÂgrupÂpen und VerÂeiÂniÂgunÂgen von Gläubigen.