Ordens­le­ben ​ins Heu­te übersetzen
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Ordens­le­ben ​ins Heu­te übersetzen

Klosterleben, Ordensleben – ein Relikt aus vergangenen Tagen, mit dem junge Katholikinnen und Katholiken nichts mehr anfangen können? Nicht unbedingt. Eine Suche nach dem Kern des monastischen Lebens und neuen Formen und Wegen in der heutigen Zeit.


Prio­rin Ire­ne, die die Ehren­dok­tor­wür­de der theo­lo­gi­schen Fakul­tät der Uni Fri­bourg erhielt, hat in ihrer Rede dra­sti­sche Wor­te gefun­den, wenn es um die Zukunft des Ordens­le­bens in der Schweiz geht: «Es ist in unse­ren Brei­ten­gra­den zum Aus­ster­ben ver­ur­teilt.» Doch das bedeu­tet für sie nicht, die Hoff­nung zu ver­lie­ren, son­dern – im Gegen­teil – den Blick nach vor­ne zu rich­ten und sich, unter ande­rem, zu fra­gen, wie neue For­men für die­se Lebens­art gefun­den wer­den kön­nen. Auch ande­re Ordens­leu­te, Klö­ster und Gemein­schaf­ten bege­ben sich auf neue Wege. Zu nen­nen sind hier die Begi­nen in Bern, der Son­nen­hü­gel in Schüpf­heim, die Welt­ge­mein­schaft für Christ­li­che Medi­ta­ti­on oder die Stadt­klö­ster in Zürich und Basel.
Die Fra­ge, die hin­ter die­sen Initia­ti­ven steht: Was ist der Kern des klö­ster­li­chen Lebens, was macht es aus? Und in einem näch­sten Schritt: Wie kann die­se Essenz in die heu­ti­ge Welt über­tra­gen werden?

Der Kern des monasti­schen Lebens

Klö­ster sind Rück­zugs­or­te. Als Orte der Stil­le geben sie den Men­schen die Mög­lich­keit, die eige­ne Mit­te zu fin­den, mit sich selbst und Gott in Berüh­rung zu kom­men und sich ohne Ablen­kun­gen auf Wesent­li­ches zu kon­zen­trie­ren. Es sind Orte mit einem eige­nen Rhyth­mus und einer Ord­nung, die hel­fen kön­nen, das Gleich­ge­wicht im Leben wie­der her­zu­stel­len. Aus­ser­dem sind es Orte, an denen sorg­sam mit der Schöp­fung umge­gan­gen wird. Men­schen kön­nen dort in Kon­takt mit der Natur kom­men, ihren Reich­tum schät­zen und ihre Res­sour­cen ange­mes­sen nut­zen ler­nen.
Und nicht zuletzt sind Klö­ster und Orden Orte der Gemein­schaft. Wer in einem Klo­ster lebt, lernt, acht­sam mit den Mit­le­ben­den umzu­ge­hen, pro­fi­tiert von Gesprä­chen und gemein­sa­men Debat­ten und Gebetszeiten.

Ein Selbst­ver­such in Taizé

Sicher­lich ken­nen vie­len von Ihnen die Gemein­schaft von Tai­zé in Frank­reich. Der öku­me­ni­sche Män­ner­or­den emp­fängt jähr­lich Tau­sen­de Men­schen, vor allem Jugend­li­che und jun­ge Frau­en und Män­ner, und ver­an­stal­tet gros­se über­kon­fes­sio­nel­le Jugend­tref­fen.
Anouk Hol­thui­zen, Redak­to­rin bei «refor­miert.» ist hin­ge­fah­ren, um her­aus­zu­fin­den, wor­in die Anzie­hungs­kraft die­ses Ortes besteht.

[…] Am Don­ners­tag brau­se ich (mit lau­tem Blues­rock) auf der Auto­bahn nach Frank­reich. Mit zwie­späl­ti­gen Gefüh­len blicke ich drei Tagen in der öku­me­ni­schen Gemein­schaft Tai­zé ent­ge­gen. Der Schwei­zer refor­mier­te Theo­lo­ge Roger Schutz hat sie 1944 gegrün­det, heu­te leben dort 60 Brü­der ver­schie­de­ner Län­der und Kon­fes­sio­nen. Gemein­sam mit Dut­zen­den Frei­wil­li­gen begrüs­sen sie jähr­lich Zehn­tau­sen­de Jugend­li­che, die zumeist eine Woche blei­ben, drei­mal am Tag sin­gen und beten sowie Work­shops zu bibli­schen und gesell­schaft­li­chen The­men besuchen.

Mas­sen­ver­an­stal­tun­gen sind mir suspekt. Als ich zum Park­platz fah­re, sehe ich Baracken, Cam­ping­plät­ze und über­all Men­schen. Attrak­tiv sieht der Ort nicht aus. Doch kom­men vie­le immer wie­der her, und man­cher Mann tritt der zöli­ba­t­är leben­den Bru­der­schaft bei. Ich will her­aus­fin­den, was die Anzie­hungs­kraft von Tai­zé ist.
[…]
Zum Gebim­mel der Glocken strö­men aus allen Rich­tun­gen Men­schen zur gros­sen Holz­kir­che. […] Jetzt leuch­tet auf den Säu­len eine Num­mer auf. Wäh­rend ich im Büch­lein mit den 173 Tai­­zé-Lie­­dern danach suche, erschallt bereits lau­ter, zwei­stim­mi­ger Gesang. Die kur­zen, ein­gän­gi­gen Stro­phen kann ich bald ohne Heft mit­sin­gen, wir wie­der­ho­len sie minu­ten­lang. Obwohl ich unwil­lig Wör­ter wie «Herr» und «king­dom» for­mu­lie­re, ergreift mich das gewal­ti­ge Stimm­vo­lu­men der vie­len Men­schen, mir schies­sen Trä­nen in die Augen. Echt jetzt, ich?

Die Tai­­zé-Andach­ten lau­fen stets gleich ab: Zuerst wer­den Lie­der gesun­gen, dann lesen die Frè­res eine Bibel­stel­le in ver­schie­de­nen Spra­chen. Es fol­gen Gesang, Für­bit­ten, zehn Minu­ten Stil­le, wie­der Gesang. Wie jeden Don­ners­tag spricht Pri­or Matthew am Ende zehn Minu­ten zu einem aktu­el­len The­ma. Er gedenkt der Lei­den­den in Krie­gen, lädt ein, freund­lich zu sein und Wär­me zu ver­brei­ten. Dann kün­digt er die Kar­frei­tags­an­dacht am näch­sten Abend an. In Tai­zé wird jede Woche Ostern gefei­ert, denn alle sol­len mit Hoff­nung heim­keh­ren können.
Nach einer Stun­de erhe­ben sich die Brü­der, ein Teil ver­lässt die Kir­che, der ande­re setzt sich für Zwei­er­ge­sprä­che mit Gästen auf Stüh­len bereit. Ich lau­fe zwi­schen vie­len sin­gen­den Men­schen hin­aus. Der Platz, die Gebäu­de, die Bäu­me – alles ist in mil­chi­ges Voll­mond­licht getaucht.
[…]
Als ich am Abend durch das Dorf neben dem Anwe­sen der Gemein­schaft spa­zie­re, höre ich aus einer Kapel­le lei­sen Gesang. Vor­sich­tig öff­ne ich die Tür. In einer Ecke sit­zen etwa fünf 16-Jäh­ri­­ge und sin­gen ein Tai­­zé-Lied. Sie nicken kichernd, als ich fra­ge, ob ich zuhö­ren dür­fe, und sin­gen wei­ter. Eine Jun­ge trifft nicht alle Töne, und trotz­dem klingt es wun­der­schön. Berührt lau­sche ich den fra­gi­len Stim­men. Die Kraft, die in Tai­zé wirkt, spü­re ich deut­li­cher denn je.

Anouk Hol­thui­zen
zuerst erschie­nen in «refor­miert.»; Aus­zug; den gan­zen Arti­kel sowie ein Inter­view mit dem Pri­or lesen Sie hier.

Neu­es monasti­sches Leben im Pfarrblattgebiet

Tai­zé ist zu weit weg? Auch im Ver­brei­tungs­ge­biet von Licht­blick Nord­west­schweiz gibt es (ehe­ma­li­ge) Klö­ster, die neue For­men des Ordens­le­bens aus­pro­bie­ren, bei­spiel­wei­se das Stadt­klo­ster Basel. Seit der Grün­dung 1988 leb­ten hier bis 2017 jeweils drei bis fünf Schwe­stern der «Com­mu­ni­tät El Roi» als evan­ge­li­sche Ordens­ge­mein­schaft zusam­men. Nach der Schlies­sung erar­bei­te­te eine Grup­pe von Freun­din­nen und Freun­den der Kom­mu­ni­tät ein neu­es Kon­zept für das Haus. Es wur­de ein Ver­ein gegrün­det, neue Bewoh­ne­rin­nen zogen ein, aber die Ange­bo­te soll­ten ähn­lich blei­ben. Im April 2018 ging es los – mit einem neu­en Namen: Huus am Brun­ne El Ro’i. Hier leben heu­te drei Frau­en in einer klei­nen Gemein­schaft zusam­men. Sie gestal­ten ver­bind­lich gemein­sam ihren All­tag, und jede von ihnen bringt sich ein, wenn es dar­um geht, Ange­bo­te zu pla­nen und durch­zu­füh­ren. Jede und jeder kann hier unter ande­rem an lit­ur­gi­schen Gebe­ten, Got­tes­dien­sten, Medi­ta­tio­nen und Exer­zi­ti­en teil­neh­men oder geist­li­che Beglei­tung in Anspruch neh­men.
(gemäss Web­site: huus-am-brunne.ch)

Leonie Wollensack
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