«Nicht in unserem Namen»
Eine Reaktion auf die Missbrauchsstudie der Pfarrei Oberdorf BL
In der Pfarrei Bruder Klaus in Oberdorf BL hat eine Plakat-Aktion den Menschen geholfen, ihren Reaktionen auf die Veröffentlichung der Pilotstudie zum Missbrauch einen Ausdruck zu geben. Folgeaktionen bringen das Thema Missbrauch immer wieder zur Sprache.
Sabine Brantschen mag sich an die intensiven Diskussionen im Pfarreirat nach der Veröffentlichung der Pilotstudie zum Missbrauch in der katholischen Kirche Schweiz gut erinnern. «Es war nicht so, dass die Resultate völlig überraschend gewesen sind. Es wäre blauäugig gewesen zu meinen, in der Schweiz sei es anders als in anderen Ländern», sagt die leitende Seelsorgerin der Pfarrei Bruder Klaus in Oberdorf BL. Dennoch sass der Schock tief. Solidarität mit den Missbrauchsbetroffenen, Wut gegen die Täter und Täterinnen, Scham und Traurigkeit, einer Kirche anzugehören, in der sexueller Missbrauch System hat, waren in der Pfarrei spürbar. Wie darauf reagieren? «Wir wollten dem Bischof keinen Brief schreiben, der dann in einer Schublade versorgt wird», sagt Sabine Brantschen. Der Pfarreirat in Oberdorf/Waldenburgertal wollte etwas tun für die Menschen in der Pfarrei. Viele von ihnen hätten die Schlagzeilen und Berichte über den sexuellen Missbrauch mit der Kirche, in der sie sich selbst wohl und aufgehoben fühlen, nicht zusammenbringen können. Im Pfarreirat regte sich Widerstand: «Ich will den Tätern die Kirche nicht überlassen.» «Was geschehen ist, geschah nicht in meinem Namen.» Die Idee für die Aktion «Nicht in unserem Namen – darum bleiben wir!» war geboren.
Aus dem Herzen gesprochen
Der Pfarreirat organisierte eine Plakatsäule und stellte sie in die Kirche Bruder Klaus. Daneben stand ein Tisch mit Papier und Schreibzeug. Hier konnten die Menschen ein persönliches Statement schreiben. Die Statements wurden dann mit Klebstreifen an die Säule geklebt. Drei Mitglieder des Pfarreirats machten den Anfang. Fünf weitere Statements von Menschen aus der Pfarrei folgten. «Es waren nicht viele Statements, aber jedes einzelne war persönlich und hat vermutlich vielen Besucherinnen und Besuchern der Kirche aus dem Herzen gesprochen», sagt Sabine Brantschen. Die Rückmeldungen zur Aktion waren durchwegs positiv.
Warum bleibe ich?
Die Verfasserinnen und Verfasser der Statements brachten ihre Gefühle zum Ausdruck, legten aber auch dar, warum sie in ihrer Kirche bleiben wollten. In einem Statement hiess es: «Ich bin nicht einverstanden, ich möchte nicht, dass meine Religion in den Dreck gezerrt wird, und ich möchte, dass den Betroffenen Gerechtigkeit widerfährt.» Nach einem guten halben Jahr wurde die Säule wieder entfernt.
Missbrauch zum Thema machen
An Ostern lasen zwei der Verfasserinnen und Verfasser anstelle der Lesung ihr Statement, das sie an die Säule geklebt hatten, vor. «Wir nannten es Lesung aus dem Alltag und wollten damit den Missbrauch wieder zum Thema machen. Gleichzeitig war es auch eine Art Glaubensbekenntnis», sagt Sabine Brantschen. Die Reaktionen waren unterschiedlich, führten aber zu angeregten Gesprächen nach dem Gottesdienst. Eine weitere Folgeaktion werde demnächst vom Pfarreirat geplant. «Mit den Aktionen ist es uns gelungen, die schlechte Energie, das schlichte Klagen zu verwandeln und der Ohnmacht etwas entgegenzusetzen», sagt Sabine Brantschen.
Haltung reflektieren
AbsatIn der täglichen Arbeit in der Pfarrei hat sich für Sabine Brantschen seit der Veröffentlichung der Pilotstudie nichts verändert. «In unserer Arbeit müssen wir uns immer bewusst sein, dass wir in einer Machtposition und dass wir Projektionsflächen sind», sagt die Seelsorgerin. Dieses Wissen sei ihr in ihrer Ausbildung nicht vermittelt worden, darum habe sie sich selbst psychologisch weitergebildet. Seit einigen Jahren gebe es mit den verbindlichen Kursen zu Nähe und Distanz hilfreiche Angebote von Seiten des Bistums.
Frauenstimmen
Im Vorfeld hatte das Bistum die Pfarreien über die Veröffentlichung der Studie informiert. Danach folgten verschiedene Hilfestellungen, etwa ein Musterbrief, wie auf Kirchenaustritte zu reagieren sei. Sie seien regelmässig auf dem Laufenden gehalten worden, sagt Sabine Brantschen. Hätte sie sich mehr Unterstützung vom Bistum erhofft? «Ich wünsche mir, dass das Bistum zu diesem Thema mehr Frauen zu Wort kommen lässt.»