Neue Hei­mat für ein Flüchtlingskind

Im Rah­men der Akti­on «Inegüx­le» bie­tet die Römisch-Katho­li­sche Lan­des­kir­che Aar­gau Inter­es­sier­te Ein­blicke in ver­schie­de­ne The­men­fel­der rund ums «Fremd­sein». Mög­lich ist bei­spiels­wei­se der Besuch bei einer Fami­lie, die ein Flücht­lings­kind bei sich auf­ge­nom­men hat.«Sie ist der Rie­sen­glücks­pilz bei uns. Wer mit ihr zusam­men jasst, gewinnt immer», erzählt die 11-jäh­ri­ge Flu­ri­na. Choe­zin (Name von der Redak­ti­on auf Wunsch geän­dert) lächelt etwas ver­le­gen. Seit Novem­ber 2016 lebt die 15-jäh­ri­ge Tibe­te­rin bei Fami­lie Wal­ker-Fröh­lich. Rad­fah­ren und Schwim­men habe sie schon gelernt, erzählt sie in noch etwas unbe­hol­fe­nem Deutsch.

«Wir woll­ten etwas tun»

«Choe­zin ist für unse­re Fami­lie eine gros­se Berei­che­rung», schwärmt auch Flu­r­i­nas Mut­ter Rahel. Die stu­dier­te Theo­lo­gin arbei­tet unter ande­rem als katho­li­sche Seel­sor­ge­rin in einer psych­ia­tri­schen Kli­nik im Kan­ton Solo­thurn. Sie habe schon viel gese­hen und erlebt, wie schwie­rig es sei, Men­schen unter gewis­sen Umstän­den Halt und Rich­tung fürs Leben zu geben. «Bei jun­gen Flücht­lin­gen in der Fami­lie hin­ge­gen sieht man, dass sich etwas bewegt und ent­wickelt.» Sie kön­ne das jedem nur emp­feh­len, das sei etwas Sinn­vol­les. Ursprüng­lich habe die Fami­lie nach einer Iran­rei­se einer Stu­den­tin aus Tehe­ran ein Aus­land­se­me­ster in der Schweiz ermög­li­chen wol­len. Das habe jedoch nicht funk­tio­niert. «Dann waren da fort­wäh­rend die Berich­te aus Syri­en – vom Krieg. Wir woll­ten etwas tun. War­um also kein Flücht­lings­kind auf­neh­men?»Rahel Wal­ker-Fröh­lich nahm Kon­takt auf mit den Behör­den. «Du kannst eine Prä­fe­renz hin­sicht­lich des Geschlechts ange­ben, mehr aber nicht. Schon kur­ze Zeit spä­ter kam ein Anruf : Ob wir ein 15-jäh­ri­ges Mäd­chen aus Tibet auf­neh­men woll­ten (Asy­l­ent­scheid: Vor­läu­fig auf­ge­nom­men). Drei Wochen nach unse­rer Zusa­ge – ein Tref­fen vor­ab gibt es nicht – zog Choe­zin bei uns ein.»

Kein ein­fa­cher Start

Es sei schön gewe­sen zu sehen, wie Choe­zin rasch ein Teil der Fami­lie gewor­den sei, erklärt Rahel Wal­ker-Fröh­lich. «Sie macht alles mit, hilft im Haus­halt und ver­steht sich sehr gut mit mei­ner Toch­ter.» Klar, zu Beginn habe das mit der Spra­che Schwie­rig­kei­ten berei­tet – kein Deutsch, nur etwas Eng­lisch, und Choe­zin sei sehr schüch­tern gewe­sen. «Das Mäd­chen war bis anhin nie in einem Muse­um, wuss­te nichts über unse­re Geschich­te und Kul­tur».Es habe eini­ge Zeit gedau­ert, bis sie sich getraut habe, ihre Bedürf­nis­se anzu­mel­den. «Doch bin­nen eines knap­pen Jah­res hat die jun­ge Tibe­te­rin gros­se Fort­schrit­te gemacht. Nicht nur sprach­lich, sie ist auch selbst­be­wuss­ter gewor­den. Choe­zins Pfle­ge­fa­mi­lie will sie auch auf ihrem wei­te­ren Weg unter­stüt­zen. Bald steht die Lehr­stel­len­su­che an. Für ein Flücht­lings­kind eine gros­se Her­aus­for­de­rung. «Sie kennt das Bil­dungs­sy­stem hier ja nicht, weiss nicht, wie das läuft», erklärt Rahel Wal­ker-Fröh­lich.

Kri­tik an der Aar­gau­er Kantonsregierung

Für Betreu­ung und Unter­brin­gung von Choe­zin bekommt die Pfle­ge­fa­mi­lie 65 Fran­ken pro Tag. Das sei sehr gross­zü­gig, erklärt Rahel Wal­ker-Fröh­lich. Sie hät­te das auch gra­tis gemacht, sei nun aber gleich­wohl froh, dass man einen Zustupf erhal­te. Dass von Sei­ten der Regie­rung aus Kosten­grün­den deut­lich weni­ger jun­ge Flücht­lin­ge in Pfle­ge­fa­mi­li­en plat­ziert wür­den, kön­ne sie nicht ver­ste­hen. «Die­se Rech­nung geht doch nicht auf. Wenn die­se jun­gen Leu­te den Anschluss bei uns nicht schaf­fen, kosten sie uns her­nach umso mehr. Mei­nes Erach­tens kann den jun­gen Flücht­lin­gen nichts Bes­se­res pas­sie­ren als von einer Pfle­ge­fa­mi­lie beglei­tet und unter­stützt zu wer­den.Aus wel­chen Grün­den und unter wel­chen Umstän­den Choe­zin in die Schweiz gekom­men ist, lässt sich nicht in Erfah­rung brin­gen. «Dar­über redet sie nicht», erklärt Rahel Wal­ker-Fröh­lich. Über die Zukunft hin­ge­gen schon: Choe­zin träumt davon, Apo­the­ke­rin zu wer­den. «Oder dann Kran­ken­schwe­ster», sagt sie. Am Anfang habe sie schon Unbe­ha­gen ver­spürt, als man ihr eröff­ne­te, dass sie jetzt in eine Fami­lie kom­me. «Wie mache ich das? Ich kann ja kein Deutsch», habe sie sich immer wie­der gefragt. Ihre Pfle­ge­fa­mi­lie habe sie aber sehr freund­lich auf­ge­nom­men. «Sie sind alle nett zu mir, ich bin glück­lich», meint Choe­zin.

Gewöh­nungs­be­dürf­ti­ges Schwei­zer Essen

Was ihr denn am mei­sten Schwie­rig­kei­ten berei­te? Das Mäd­chen über­legt lan­ge, lächelt und erklärt dann, dass sie sich an das Essen in der Schweiz schon habe gewöh­nen müs­sen. Mitt­ler­wei­le schmecke es ihr aber ganz gut. «Und wir kochen jetzt auch ab und zu tibe­tisch, ergänzt Flu­ri­na.Auch zu ande­ren Exil­ti­be­tern hat Choe­zin Kon­takt: «Mit einer Frau aus Aar­au habe ich mich ein paar Mal schon getrof­fen», erklärt sie. «Wir waren auch schon in Rikon im tibe­ti­schen Zen­trum und haben gemein­sam den Geburts­tag des Dalai Lamas gefei­ert.

Chri­sten­tum trifft Buddhismus

Dass bei Fami­lie Wal­ker-Fröh­lich mit Chri­sten­tum und Bud­dhis­mus auch zwei unter­schied­li­che Reli­gio­nen auf­ein­an­der tref­fen, führt eben­falls zu kei­nen Irri­ta­tio­nen. «Klar haben wir uns auch hier­über Gedan­ken gemacht», erin­nert sich Rahel Wal­ker-Fröh­lich. «Wir sind gläu­big, mein Mann ist eben­falls Seel­sor­ger. Vor dem Essen beten wir jeweils». Man habe jedoch rasch gemerkt, dass man da kom­bi­nie­ren kön­ne. «Ab und zu spricht Choe­zin ein Gebet auf Tibe­tisch. Und gemein­sam Weih­nach­ten gefei­ert haben wir auch schon. Akti­on «Inegüx­le«Im Rah­men des Legis­la­tur­ziels «Fremd­sein» bie­tet die Römisch-Katho­li­sche Lan­des­kir­che Aar­gau vom 1.9. ‑30.10.2017 die Mög­lich­keit zum «Inegüx­le» bei Frei­wil­li­gen, die sich für Flücht­lin­ge oder Men­schen mit Behin­de­rung enga­gie­ren. Fami­lie Wal­ker-Fröh­lich lädt am 17.10. um 18 Uhr wie­der zum Besuch. Mehr Infos zu die­sem und allen wei­te­ren Ange­bo­ten fin­den Sie hier sowie auf der Web­sei­te zum The­ma «Fremd­sein». 
Andreas C. Müller
mehr zum Autor
nach
soben