Neben der «Action» braucht es das «Chill out»

Neben der «Action» braucht es das «Chill out»

Mat­thä­us 9,35–38Jesus zog durch alle Städ­te und Dör­fer, lehr­te in ihren Syn­ago­gen, ver­kün­de­te das Evan­ge­li­um vom Reich und heil­te alle Krank­hei­ten und Lei­den. Als er die vie­len Men­schen sah, hat­te er Mit­leid mit ihnen; denn sie waren müde und erschöpft wie Scha­fe, die kei­nen Hir­ten haben. Da sag­te er zu sei­nen Jün­gern: Die Ern­te ist gross, aber es gibt nur wenig ­Arbei­ter. Bit­tet also den Herrn der Ern­te, ­Arbei­ter für sei­ne Ern­te auszusenden.Ein­heits­über­set­zung 2016 

Neben der «Action» braucht es das «Chill out»

«Lebst Du noch, oder wohnst Du schon?» – Die­ser fre­che Slo­gan eines Möbel­hau­ses spielt dar­auf an, dass es noch etwas mehr gäbe als zu leben. Eine Blas­phe­mie auf unser Leben?In Zei­ten von Trau­er oder Krank­heit kann tat­säch­lich das Gefühl auf­kom­men, dass wir zwar leben, aber nicht so, wie wir es eigent­lich möch­ten. Viel­leicht ist die Lebens­qua­li- tät durch die Krank­heit der­mas­sen ein­ge­schränkt und fremd­be­stimmt, oder wir füh­len uns durch die Trau­er leer und ohne Kraft, dass wir uns nach einem «Mehr» an Leben seh­nen.Es mag jedoch sein, dass ich gesund bin und mein Leben in ganz geord­ne­ten Bah­nen ver­läuft. Mir scheint, als woh­ne eine gewis­se Rast- und Ruhe­lo­sig­keit in mir. Als sei etwas in mir, das mich antreibt und im Leben nach vor­ne bringt. Es ent­steht das Gefühl, noch nicht ange­kom­men zu sein und die­ses Mehr noch ent­decken zu müs­sen. Ich fra­ge mich, ob die­ses Gefühl nur einem Mitt­vier­zi­ger inne­wohnt, oder ob es auch Men­schen fort­ge­schrit­te­nen Alters ken­nen? Viel­leicht ist es etwas Urmensch­li­ches, den Ein­druck zu haben, im Leben noch nicht dort zu sein, wo ich möch­te oder sein könn­te.Wenn ich das Leben des Hei­li­gen Fri­do­lin betrach­te, dann sehe ich einen Mann, der stets unter­wegs war und des­sen Lebens­ver­lauf eine gewis­se Ruhe­lo­sig­keit ver­mit­telt: Er stamm­te aus Irland und zog – ver­mut­lich gröss­ten­teils zu Fuss – von Irland über das heu­ti­ge Frank­reich nach Chur. Er bau­te – aus heu­ti­ger Sicht schwer nach­voll­zieh­bar – über­all auf sei­nen Lebens­sta­tio­nen Kir­chen und Klö­ster. Sein Leben erscheint mir rast- und ruhe­los. Was hat ihn ange­trie­ben? Fühl­te er sich in sei­nem Leben jemals ange­kom­men?Als Mönch ver­kör­pert Fri­do­lin eine klö­ster­li­che Tra­di­ti­on, die im begin­nen­den 5. Jahr­hun­dert in Ita­li­en ihren Ursprung hat. Nebst dem Unste­ten und Vor­wärts­stre­ben­den, latei­nisch «actio» genannt – «Action» also! – kennt sie auch die «con­tem­pla­tio», das «In-sich-gekehrt-Sein», Betrach­tung genannt.Auch im Leben Jesu wer­den die­se bei­den Pole immer wie­der sicht­bar. Er geht unter die Leu­te, ist aktiv, ermahnt sei­ne Jün­ge­rin­nen und Jün­ger, um noch mehr Arbei­ter zu bit­ten. Auf der ande­ren Sei­te zieht er sich zurück in die Ein­sam­keit und Stil­le.Das Leben in der gegen­wär­ti­gen Gesell­schaft ist oft sehr ein­sei­tig. «Action» wird gesucht und «Lei­stung» ist gefor­dert. Gele­gent­lich habe ich den Ein­druck, dass wir eben­so «müde und erschöpft» sind wie die Men­schen, denen Jesus begeg­net.Die christ­li­che Ant­wort auf die Fra­ge, ob wir noch leben oder nicht schon woh­nen, lau­tet in mei­nen Augen, dass es dar­um geht, weder mit einem «Mehr» an Kon­sum, noch mit einem «Mehr» an Lei­stung und Ansporn das Leben ein­zu­ho­len, son­dern es kon­tem­pla­tiv ein­zu­fan­gen. Kon­tem­pla­ti­on hat zum Ziel, ganz im Hier und Jetzt zu sein, als Modus viven­di. Es geht dar­um, wie­der den Müs­sig­gang zu ler­nen und gele­gent­lich nichts zu tun, son­dern ein­fach zu sein. Gön­nen wir uns nebst der «Action» immer wie­der das «Chill out» und ent­decken auf die­se Art, dass es nicht mehr braucht als zu leben!Mathi­as Jäg­gi, Theo­lo­ge und Sozi­al­ar­bei­ter, arbei­tet als Berufs­schul­leh­rer und Fachhochschuldozent
Redaktion Lichtblick
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