Mit unse­rem Reb­stock ver­bun­den bleiben

Mit unse­rem Reb­stock ver­bun­den bleiben

Johan­nes­evan­ge­li­um 15,1–5Ich bin der wah­re Wein­stock und mein Vater ist der Win­zer. Jede Rebe an mir, die kei­ne Frucht bringt, schnei­det er ab und jede Rebe, die Frucht bringt, rei­nigt er, damit sie mehr Frucht bringt. (…) Wie die Rebe aus sich kei­ne Frucht brin­gen kann, son­dern nur, wenn sie am Wein­stock bleibt, so auch ihr, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Wein­stock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich blei­be, der bringt rei­che Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.Ein­heits­über­set­zung 2016 

Mit unse­rem Reb­stock ver­bun­den bleiben

Ich will nicht dar­an glau­ben, dass es in der katho­li­schen Kir­che nur die kano­ni­schen Hei­li­gen gibt, die wir im Hei­li­gen­ka­len­der erfasst haben und derer wir an ihren Fei­er­ta­gen geden­ken. Ich will viel­mehr dar­an glau­ben, dass es in der Chri­sten­heit noch vie­le hei­li­ge Frau­en und Män­ner gibt, die wir nicht ken­nen und von denen wir nicht ein­mal wis­sen. Ich glau­be, dass es vie­le «anony­me Hei­li­ge» gibt, die der Kir­che nament­lich nicht bekannt, jedoch durch ihr Leben und ihren Glau­ben ganz nah bei Gott sind.Der Kon­zils­theo­lo­ge Karl Rah­ner präg­te den Begriff des «anony­men Chri­sten­tums», des­sen Theo­lo­gie teils in die Kon­zils­tex­te des 2. Vati­ka­nums Ein­gang gefun­den hat. Dabei ging es ihm um das Ver­hält­nis des Chri­sten­tums zu den ande­ren Reli­gio­nen. Die Fra­ge, ob es auch aus­ser­halb des Chri­sten­tums Got­tes Heil gibt, beant­wor­te­te er damit posi­tiv.Über­tra­gen wir die­ses Ver­ständ­nis auf die «anony­men Hei­li­gen», dann müss­ten wir zum Schluss kom­men, dass es aus­ser­halb der Kir­che und ihres Hei­lig­spre­chungs­pro­zes­ses Men­schen gibt, die ein Leben geführt haben, das wir als hei­lig bezeich­nen und ver­eh­ren wür­den.Mein Leh­rer und Pro­fes­sor der Theo­lo­gie, Hein­rich Pompey, ver­such­te uns stets die Sen­si­bi­li­tät für die Bedeu­tung von Wor­ten zu ver­mit­teln. Auf sei­ne ety­mo­lo­gi­sche Akri­bie ent­fuhr sei­ner Zuhö­rer­schaft so manch ein «Aha!». So ging er ein­mal der Fra­ge nach, woher das Wort «hei­lig» stammt. «Hei­lig» tra­ge den Wort­stamm «heil» in sich, was nichts ande­res bedeu­te als «nicht ent­zweit», son­dern «ganz» oder «intakt», «heil» eben. Hei­lig bedeu­tet, danach zu stre­ben, «ganz zu sein» und «nicht ent­zweit».Was ist nun eine Hei­li­ge oder ein Hei­li­ger? Soll­ten wir nicht alle danach stre­ben, «hei­lig» zu blei­ben, oder wenn wir mei­nen, es noch nicht zu sein, so min­de­stens hei­lig wer­den zu wol­len?Erst seit ich eine Win­zer­toch­ter gehei­ra­tet habe, ver­ste­he ich das Gleich­nis vom Wein­stock. Durch die Mit­ar­beit im Reb­berg habe ich die Bezeich­nun­gen gelernt, mit denen das Gleich­nis eine Weis­heit ins Bild rückt, die mit unse­rem The­ma des Hei­lig­wer­dens zu tun hat. Da gibt es den Wein­stock, tief ver­wur­zelt im Erd­reich, und aus ihm her­aus spros­sen die Reben. Im Win­ter schnei­det der Win­zer die Reben des Vor­jah­res ab und lässt nur eine ste­hen, die er an die Dräh­te anbin­det. Die­se Rebe blüht im Früh­ling und setzt Trau­ben an. Mehr­mals müs­sen die zahl­rei­chen neu­en Trie­be zurück­ge­schnit­ten wer­den.Hei­lig zu leben und hei­lig zu wer­den bedeu­tet also das ste­te Bemü­hen, mit Jesus in Kon­takt zu sein, aus ihm, dem Reb­stock, unse­re Kraft zu bezie­hen. Nicht von ihm «ent­zweit» zu sein, son­dern mit ihm «ganz» und ver­bun­den zu blei­ben. Der Win­zer höchst­per­sön­lich bemüht sich dann, dass die Rebe Frucht brin­gen wird.Mathi­as Jäg­gi, Theo­lo­ge und Sozi­al­ar­bei­ter, arbei­tet als Berufsschullehrer   
Christian von Arx
mehr zum Autor
nach
soben