Mit Bla­sen, leich­ten Her­zen und einem Ruck­sack vol­ler Wünsche

Mit Bla­sen, leich­ten Her­zen und einem Ruck­sack vol­ler Wünsche

Seit dem 2. Mai mar­schier­te eine Grup­pe unter dem Mot­to «Für eine Kir­che mit den Frau­en» von St. Gal­len nach Rom. Dar­un­ter auch Ire­ne Gas­smann, Prio­rin des Klo­sters Fahr. Vor­ge­stern Diens­tag, am 28. Juni 2016, erreich­te die Grup­pe ihr Ziel und erfuhr, dass Papst Fran­zis­kus der Pil­ger­grup­pe defi­ni­tiv kei­ne Audi­enz gewäh­ren wer­de. Die Jour­na­li­stin und Foto­gra­fin Vera Rüt­ti­mann hat die Frau­en auf Ihrem letz­ten Teil­stück von Cas­pe­ria nach Rom begleitet.Es ist vier Uhr mor­gens in Cas­pe­ria. Der Him­mel über dem male­ri­schen Dorf in der Pro­vinz Rie­ti in der ita­lie­ni­schen Regi­on Lati­um ist noch dun­kel. Schwei­gend wird am gros­sen Holz­tisch des Hotels das Früh­stück ein­ge­nom­men, Pro­vi­ant in die Ruck­säcke ver­packt. Die Wan­der­schu­he wer­den geschürt, damit es vor der gros­sen Hit­ze los­ge­hen kann. Alles geschieht rou­ti­niert, denn das Kern­team mit den Gast­pil­ge­rin­nen hat von St. Gal­len her kom­mend schon 1 000 Kilo­me­ter in den Bei­nen. In den ver­gan­ge­nen acht Wochen wur­den ver­schnei­te Päs­se über­stie­gen, sump­fi­ge Wie­sen über­quert und auf engen Stras­sen Autos aus­ge­wi­chen. Mit Sie­na, Assi­si und Greccio boten aber auch male­ri­sche Städt­chen will­kom­me­ne Rast­mög­lich­kei­ten.

Lei­den für eine stär­ke­re Stel­lung der Frau in der Kirche

Allein um den tou­ri­sti­schen Aspekt geht es den Frau­en jedoch nicht. Das zei­gen ihre Kör­per. Die mei­sten pla­gen schmer­zen­de Bla­sen an den Füs­sen, die Bei­ne sind von Dor­nen zer­kratzt, die Glie­der wir­ken aus­ge­zehrt. Die Pil­ge­rin­nen neh­men die Schmer­zen auf sich, weil sie für ein beson­de­res Anlie­gen unter­wegs sind: Für eine stär­ke­re Stel­lung der Frau­en in der Kir­che — für eine geschwi­ster­li­che und dia­lo­gi­sche Kir­che.

Prio­rin Ire­ne in Wan­d­er­ho­sen und T‑Shirt

Bla­sen pla­gen auch Ire­ne Gas­smann. Die Prio­rin des Klo­sters Fahr läuft seit Assi­si mit. Für die Ordens­frau, die für ein­mal wie ihre Mit­pil­ge­rin­nen in Wan­d­er­ho­sen und T‑Shirt den Weg unter ihre Füs­se nimmt, ist dies eine ganz und gar unge­wöhn­li­che Erfah­rung. Noch nie war sie pil­gern und noch nie ist sie so weit mar­schiert. Die Stra­pa­zen habe sie unter­schätzt, erklärt Ire­ne Gas­smann. Auch das Gefühl, voll­kom­men aus ihrem gere­gel­ten All­tag als Ordens­frau her­aus kata­pul­tiert zu wer­den. Wie die ande­ren schlief Ire­ne Gas­smann in den letz­ten Wochen oft­mals auf der Iso­mat­te in Pfarr­hei­men. Wie die ande­ren Frau­en hat die Prio­rin für ihre Anstren­gun­gen, die sie auf sich nimmt, trif­ti­ge Grün­de: «Ich bin hier dabei, weil ich die­se Kir­che gern habe. Ich bin ein Teil von ihr. Ich lei­de aber auch an ihr, gera­de, weil die Frau­en bei der Gestal­tung von der Kir­che in vie­len Din­gen aus­ge­schlos­sen sind.» Dann zitiert die Ordens­frau einen Pater, den die Grup­pe in sei­ner Ein­sie­de­lei besucht hat­te. Sei­ne Aus­sa­ge, so Ire­ne Gas­smann, gebe ihr Kraft: «Eine Pil­ge­rin muss drei Sachen haben: Aus­dau­er, Geduld und Ent­schie­den­heit. Das ist genau das, was wir für die­ses Pro­jekt brau­chen.»

Ein Pro­fes­sor als «leben­des GPS»

Auf dem Weg zum näch­sten Dorf, Labo­ro, geht es vor­bei an halb ver­fal­le­nen Kir­chen, Pini­en und ein­fa­chen Land­häu­sern. Oft ist nur das Atmen der Pil­ger, das Zir­pen der Gril­len und das Klackern der Wan­der­stöcke zu hören. Beson­ders, wenn in der Grup­pe bewusst geschwie­gen wird und manch einer in sich hin­ein­horcht und sich fragt, wo er gera­de steht in sei­nem Leben — oder mit die­sem Pro­jekt. Franz Mali, der die Wan­der­grup­pe wie ein «leben­des GPS» anführt, fin­det jeweils stets den rich­ti­gen Weg. Selbst wenn die­ser durch Brom­beer­sträu­cher geht. Der Pro­fes­sor für Patri­stik, das ist die Geschich­te der Alten Kir­che und der christ­lich-ori­en­ta­li­schen Spra­chen, an der Theo­lo­gi­schen Fakul­tät Fri­bourg war mit Hil­de­gard Aepli und Esther Rüthe­mann schon in Jeru­sa­lem und bringt einen rei­chen Erfah­rungs­schatz mit sich.Das Kern­team erlebt in die­sen Tagen immer wie­der auch Dis­kus­sio­nen um die Ziel­aus­rich­tung in der Grup­pe mit. Nicht alle sind ein­ver­stan­den mit einem umsich­ti­gen Dia­log, der mit den Kir­chen­obe­ren über die Rol­le der Frau in der Kir­che ange­strebt wer­den soll. Es gibt wel­che, die jetzt und sofort das Frau­en­prie­ster­tum ein­for­dern möch­ten.

Unter­wegs in einem «Ener­gie­feld»

Hin­der­nis­se gibt es auch auf der Stras­se. Ire­ne Gas­smann erlebt an die­sem Mor­gen mit, wie Mari­et­te, eine Mit­pil­ge­rin, im Asphalt ein gros­ses Loch über­sieht, unglück­lich stürzt und sich den Unter­arm bricht. Per Zufall fährt gleich neben­an eine Poli­zei­strei­fe vor­bei, die eine Ambu­lanz auf­bie­tet. Erschüt­tert bil­den die Pil­ge­rin­nen einen Kreis um die Mitt­sech­zi­ge­rin, die von St. Gal­len bis hier­hin gelau­fen war. Auch in die­sem Moment zeigt sich der beson­de­re Zusam­men­halt der Frau­en unter­ein­an­der. Eine Gemein­schaft ist da gewach­sen. Alle hal­ten sich an den Hän­den, sin­gen gemein­sam und spre­chen sich Mut zu.Lea Stocker, die per­fekt ita­lie­nisch spricht, beglei­tet Mari­et­te in den Spi­tal. Ire­ne Gas­smann nimmt die wei­te­ren Stra­pa­zen auf sich, weil sie merkt, dass in die­sem Pro­jekt Kraft steckt. Sie sagt: «Ich habe das noch sel­ten so erlebt, wie im Zusam­men­hang mit die­sem Pro­jekt. Es ist auch die Kraft der Men­schen, die gegen­sei­tig stärkt. Das ist für mich auch Kir­che.» Das gemein­sa­me Gehen erlebt die Aar­gaue­rin wie ein «Unter­wegs-Sein in einem Ener­gie­feld».

Stil­ler Ein­zug in die Papst-Stadt

Das letz­te Teil­stück nach Rom geht über wei­te Strecken dem Tiber ent­lang. Es ist 33 Grad. Die Son­ne brennt. Um 14 Uhr erreicht die Grup­pe end­lich die Engels­burg. Die Pil­ge­rin­nen – seit Labo­ro sind 40 Frau­en des Schwei­ze­ri­schen Katho­li­schen Frau­en­bun­des SKF mit dabei – lau­fen die Via del­la Con­ci­lia­zio­ne hin­un­ter, die schnur­ge­ra­de auf den Peters­dom zuführt. Mit dabei ist auch Mari­et­te, die nun mit ein­ge­gip­stem Arm mit­läuft. «Auf­ge­ben war für mich nie eine Opti­on», sagt die West­schwei­ze­rin.

Sym­bol für den Weg der Frau­en in der Kirche 

Der Ein­marsch auf die­ser Pracht­al­lee geschieht still. Auf dem Peters­platz war­ten kei­ne Medi­en­leu­te. Die Jour­na­li­sten rei­sen erst zum gros­sen Anlass am 2. Juli an, um sich alle zu einer Mes­se mit Bischof Mar­kus Büchel im Peters­dom tref­fen. Ire­ne Gas­smann sagt über die Ankunft in Rom: «Die­ses Pro­jekt ist ein Zei­chen. Dass wir hier nicht mit Glocken und Fan­fa­ren emp­fan­ge wor­den sind, zeigt sym­bo­lisch den Weg für uns Frau­en in der Kir­che, der manch­mal stei­nig und hart ist. Wenn Frau­en in der Kir­che jedoch nicht so aus­dau­ernd wären, wüss­te ich nicht, wo die Kir­che ste­hen wür­de.»

Mit einem Sack vol­ler Anlie­gen nach Rom

Der Tag endet mit einer Andacht in der Kir­che Kir­che San­ta Maria del­la Pie­tà auf dem Cam­po San­to Teu­to­ni­co im Vati­kan. Zuerst müs­sen die Pil­ger durch die Sicher­heits­schleu­sen, um in das Inne­re des Vati­kans zu gelan­gen. Auf­merk­sam regi­strie­ren die Schwei­zer­gar­di­sten und die Mon­signo­ri in ihren schwar­zen Sou­ta­nen die Schil­der, die an den Rück­säcken der Pil­ge­rin­nen ange­bracht sind. «Für eine Kir­che mit den Frau­en», steht da. Als die Frau­en sich in die Bän­ke set­zen, erfasst sie die gan­ze Erschöp­fung.Neben den Ruck­säcken wird auch ein roter Beu­tel vor den Altar gelegt. Dar­in sind die ein­ge­sam­mel­ten Anlie­gen und Wün­sche, die Frau­en am Got­tes­dienst in der St. Gal­ler Kathe­dra­le am 2. Mai den Rom-Pil­ge­rin­nen mit auf den Weg gaben. Hil­de­gard Aepli, die Mit­in­itia­to­rin die­ses Pro­jek­tes sagt: «Die Brie­fe wur­den in den letz­ten zwei Mona­ten Tag für Tag mit­ge­tra­gen und die­je­ni­gen, die die Anlie­gen jeweils in ihrem Ruck­sack tru­gen, hat­ten beson­de­re Tage, weil sie auch die Sor­gen, Nöte und Wün­sche der Frau­en mit­tru­gen.»

Der Papst kommt nicht

Am Sams­tag, 2. Juli, fin­det in Rom der Pil­ger­tag statt, an dem das Anlie­gen des Pro­jekts fei­er­lich der Kir­chen­füh­rung über­ge­ben wird. Lan­ge wur­de dar­über spe­ku­liert, ob Papst Fran­zis­kus even­tu­ell nicht doch eine Audi­enz gewäh­ren wür­de. Am 28. Juni, am Abend der Ankunft der Pil­ge­rin­nen, erreicht das Kern­team auf dem Dach ihres Hotels beim Apé­ro eine Nach­richt aus dem Staats­se­kre­ta­ri­at des Vati­kans: Der Papst wis­se um das Pro­jekt «Kir­che mit den Frau­en», er neh­me aber in den Som­mer­mo­na­ten kei­ne offi­zi­el­len Ter­mi­ne wahr. Die Grup­pe ist dar­über nicht bedrückt. Allein der inne­re Weg nach Rom, so Franz Mali, sei frucht­bar. Und für Prio­rin Ire­ne Gas­smann ist das Pro­jekt «Kir­che mit den Frau­en» jetzt schon «ein Abbild dafür, wie die Kir­che sein könnte.»
Andreas C. Müller
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