Merkzeichen, die zum Innehalten gemahnen
- «Das christliche Kreuz prägt Lebensentwürfe», sagt der Theologe und Religionspädagoge Alfred Höfler.
- «Es sind stille Merkzeichen in der Landschaft, welche uns dann und wann zum Innehalten gemahnen», findet der Kantonale Denkmalpfleger Reto Nussbaumer.
- «Wegkreuze sind für mich Zeichen der Besinnung», findet die 95-jährige Horizonte-Leserin Bernadette Erni-Ursprung.
Denkmalpfleger Reto Nussbaumer
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Nach dem Lizentiat in Kunstgeschichte an der Universität Zürich war Reto Nussbaumer als freier Kunsthistoriker und Publizist tätig. 2002 schloss er ein Nachdiplomstudium in Denkmalpflege an der ETH Zürich ab und ist seit 2004 Denkmalpfleger des Kantons Aargau. «So ‘altmodisch’ die Wegkreuze heute vielleicht erscheinen mögen, sind sie doch beredte Zeugen des christlichen Lebens in unserer Gesellschaft», sagt Reto Nussbaumer zum Thema Wegkreuze und fährt fort: «Es sind stille Merkzeichen in der Landschaft, welche uns dann und wann zum Innehalten gemahnen – etwas, was uns allen vielleicht ganz gut tut. Ganz gleich, an was oder wen man nun glaubt.»
Sind Wegkreuze wirklich typisch katholisch oder gibt es auch reformierte Bezüge?
Reto Nussbaumer: Aus meiner Praxis kenne ich keine reformierte Wegkreuze – sie würden ja auch entgegen der Idee des reformierten Glaubens sprechen, wo prinzipiell nur «das Wort» gelten soll.
Welche Kriterien sind massgebend, damit ein Wegkreuz unter kantonalen Denkmalschutz gestellt wird?
Die früheren Unterschutzstellungen sind meist nach Fertigstellung der Kunstdenkmäler-Bände geschehen. Dies im Sinne einer Reihenunterschutzstellung aller wichtigen Objekte der damals behandelten Gemeinden. Sonst gelten bei Unterschutzstellungen immer die Kriterien wie: Historischer Wert, künstlerischer Wert, typologischer Wert und die Standortqualität.
Könnten Sie Aussagen machen zur Gestaltung und Symbolik der Elemente an Wegkreuzen?
Viele der Elemente wie die Gestirne sind ständig wiederkehrende Motive, die mit der christlichen Ikonographie verbunden sind. Zum Beispiel stehen Sonne und Mond als ikonographisches Attribut der Kreuzigung Christi.
Gibt es Empfehlungen von Seite Denkmalpflege, wenn ein Wegkreuz in kommunaler Zuständigkeit versetzt werden muss, zum Beispiel wegen einem Kreiselbau?
Hier müssen wir unterscheiden zwischen kantonalem Schutz (Zuständigkeit liegt bei der Denkmalpflege) und kommunalem Schutz, wo die Zuständigkeit bei der Gemeinde liegt. Versetzen von Wegkreuzen gibt es immer wieder mal, speziell bei Verkehrsführungen. Man versucht dann jeweils, dem Kreuz einen adäquaten Standort zu geben, dass es immer noch «den Weg» markiert.
«Ein 50-jähriger Autolenker fuhr mit seinem Seat auf der Zentralstrasse von Muri Richtung Wohlen, als ein unbekanntes dunkles Auto von links aus der Mühlegasse auf die Zentralstrasse einmündete und dabei den Vortritt des Seat missachtet haben dürfte. Der Seatlenker wich dem einmündenden Fahrzeug aus und kollidierte mit einem geschützten Kreuz auf der rechten Strassenseite.» Mittlerweile sind es vor allem Zeitungsmeldungen wie diese von Anfang November, die Wegkreuze für einen Augenblick in die öffentliche Wahrnehmung rücken. Sonst aber treten die sakralen Bauten am Wegrand in hiesiger Gegend meist nur noch als stumme Zeugen jahrhundertelangen Geschehens in Erscheinung.
Zeichen der Hoffnung
Nicht so im Wallis. «Als sich die Menschen vor allem zu Fuss fortbewegten, da wurden Strassen, Wege und Stege nachgerade zu einem Stück ihres Lebens», heisst es etwa in der Rubrik «Wegkreuz» auf der Website der politischen Gemeinde Saas-Fee. «Sie kannten jeden Stein, jede Unebenheit, jedes Gefälle, sie wussten um die Leichtigkeit einzelner Strecken, um beschwerliche Aufstiege und gefährliche Abstiege. Sie kannten jeden Ruheplatz für gross und klein. So war es begreiflich, wenn sie längs der Strasse, vor allem an Wegkreuzungen – wo es galt, Entscheidungen zu treffen – Kreuze aufstellten, damit sie durch die Kraft des Gekreuzigten von Unheil bewahrt und zugleich ermahnt wurden, täglich das Kreuz auf sich zu nehmen.»
«Das christliche Kreuz prägt Lebensentwürfe. Es wird nur dann seiner Frohbotschaft gerecht, wenn wir es in unsere täglichen Höhen und Tiefen einbeziehen. Ansonsten bleibt es ein Fremdkörper und eine lästige Angelegenheit für die einen, für andere eine traurige Konzentration allen Leids und letztlich einzig eine brutale Hinrichtungsart», schreibt Alfred Höfler in seinem Buch «Kreuz unser – Zeichen der Hoffnung». Der Theologe und Religionspädagoge weiter: «Immer wieder haben Menschen in der Kreuzbetrachtung Trost und Kraft gefunden. Das überrascht, denn wir sind manchmal weit weg von der revolutionären Betrachtung der Kreuzbotschaft als Heilsbotschaft.» Alfred Höfler erklärt: «Entscheidend ist die österliche Botschaft der Befreiung des Menschen von Tod und Gewalt. Gekreuzigt haben sich Menschen viel zu oft. Diese grausame Realität kehrt die Botschaft von der Auferstehung um zur Erlösung.»
Das grösste Geschenk im Leben
Diese Wirkkraft ist auch aus den verschiedenen persönlichen Rückmeldungen der Horizonte-Leserschaft zum Thema Wegkreuz spürbar. So schrieb Stefanie Leuenberger: «Nach einigen Umbrüchen stellte ich mich einer grossen Herausforderung: Ein neuer Arbeitsplatz, welcher mich fordern und lernen lassen sollte. Ich sass zwischen Umzugskartons und hoffte auf gutes Gelingen. Bereits am ersten Arbeitstag fiel mir die kühle Begrüssung auf, aber der Mut begleitete mich durch die ersten Tage. Die getroffenen Abmachungen schienen jede Gültigkeit verloren zu haben. Gespräche halfen nichts. Der Mut packte seine Koffer. Die Enttäuschung zog ein. Nach einem besonders schlimmen Arbeitstag trottete ich, ohne die Umgebung zu beachten, los. Ich war vom Weg abgekommen! Erschrocken suchte ich nach einem Orientierungspunkt. Ein kurzes Stossgebet später, entdeckte ich ein Wegkreuz. Mein eigenes kleines Kreuz muss ich nicht alleine tragen, erkannte ich damals. Seither erinnern mich Wegkreuze an das grösste Geschenk im Leben.»
Bernadette Erni-Ursprung erzählte: «In besonderer Erinnerung aus meiner Jugendzeit ist mir ein Wegkreuz, das in der Nachbarschaft unserer damaligen Wohnung steht. Es befindet sich am Rande eines Gartens an einer Kreuzung auf dem Weg zum Bahnhof und möchte die Menschen wohl in besonderer Weise ansprechen, damit die bevorstehende Reise einen guten Verlauf nehmen wird. Wenn ich unterwegs einem Kreuz an einem Wegrand oder auf einem Berg begegne, kommt es mir vor, als biete sich hier eine Atmosphäre des Schutzes und des Friedens. Meine Gedanken formen sich gleichsam zu einem Gebet für Menschen in Not und Bedrängnis. Und deren gibt es heute mehr denn je. Und beim Weitergehen in die schützenswerte Natur gilt es zu überlegen: Wie verhalte ich mich verantwortungsvoll gegenüber meiner Umwelt. Wegkreuze sind für mich Zeichen der Besinnung.»
Schliesslich Franziska Schiltknecht Strickler: «In einem atheistischen Elternhaus aufgewachsen, faszinierte mich die Religion schon etwa von meinem fünften Lebensjahr an. Das Wegkreuz, das auf der Krete von Bettwil steht, war für mich ein Ort, wo ich als Kind betete und meine Sorgen deponierte. Einmal nahm ich sogar Wein von meinen Eltern – das schien mir etwas Heiliges zu sein – und ‘opferte’ ihn beim Wegkreuz. Dieses Kreuz war für mich Zuflucht und Ort des Gebets.»
Bremgarten: Das wohl älteste Wegkreuz
Eines der ältesten, kantonal geschützten Wegkreuze im Aargau befindet sich an der Verzweigung Wohler‑, Fischbacherstrasse in Bremgarten. «Das 1553 gemeisselte ‘Hohe Kreuz’ steht bei einer der drei ehemaligen Gerichtsstätten Bremgartens. Es ersetzt offenbar ein 1512 genanntes Steinkreuz.» Reto Nussbaumer, der Kantonale Denkmalpfleger, ergänzt: «Fragen nach dem ältesten oder jüngsten Wegkreuz im Kanton sind für uns immer ganz schwierig zu beantworten – da wir nicht nach diesen Kategorien unter Schutz stellen beziehungsweise stellen lassen. Die grosse Zahl der Kreuze sind im 17. und 18. Jahrhundert entstanden. Gefolgt von den Missionskreuzen Ende des 19. Jahrhundert, welche oft noch im 20. Jahrhundert neue, zusätzliche Einträge von Jahreszahlen erfuhren.»
Das Online-Inventar der kantonalen Denkmalpflege ist öffentlich
Dort werden die Wegkreuze als «Sakrale Bauten und Anlagen» bezeichnet. Die Datenbank unterscheidet zwischen Friedhofkreuz (13 an der Zahl), Wegkreuz (31), Pestkreuz (1) und Missionskreuz (1). Zudem bietet das Inventar Fakten und Geschichten zu den Wegkreuzen. Franziska Schmid-Schärer, Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Leiterin Dokumentation bei der Denkmalpflege des Kantons Aargau, hat für die Horizonte-Leserschaft ein kleine Auswahl an Links zu kantonal geschützten Wegkreuzen zusammengestellt:
Wegkreuz Moosstrasse, Merenschwand
Wegkreuz Bergstrasse, Boswil
Wegkreuz Dorfstrasse, Bünzen