
Menschenrechte vor Effizienz
Jugendliche diskutieren die ethischen Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz
Sogenannte Künstliche Intelligenz (KI) kann das Leben der Menschen in vielen Bereichen erleichtern. Sie entwickelt sich in rasantem Tempo – momentan allerdings ohne jegliche ethischen Regelungen. Was macht das mit unserem Alltag, unserem Umgang miteinander, unserem Selbstverständnis? Wir waren dabei, als dieses Thema von denjenigen diskutiert wurde, die es in Zukunft besonders betreffen wird: Jugendlichen. Ein Einblick in das Religionsforum, ein Angebot der kirchlichen Beauftragten an den kantonalen Schulen im Aargau.
Die Aula im Albert-Einstein-Haus der alten Kantonsschule Aarau ist voller Schülerinnen und Schüler. Aus dem ganzen Kanton sind sie zusammengekommen, um am Religionsforum mit dem Thema «Mensch, Maschine und Moral. Ethik und Künstliche Intelligenz» teilzunehmen. Im ersten Teil des der Veranstaltung hören die Schülerinnen und Schüler einen Vortrag zum Thema. Als Gastredner ist Prof. Dr. Peter G. Kirchschläger eingeladen. Er schärft die Definitionen der Begriffe «Künstliche Intelligenz» und «Menschenrechte», spricht über die Problematik, dass KI momentan ethisch ungeregelt entwickelt und genutzt wird, präsentiert den Jugendlichen ein mögliches Zukunftsszenario unserer Gesellschaft mit KI und plädiert für die Schaffung einer internationalen Agentur zur Durchsetzung der Menschenrechte.
Im Interview mit Peter G. Kirchschläger auf den Seiten 6 und 7 vertiefen wir diese Themenpunkte.
Jugendliche im Austausch zum Thema «Künstliche Intelligenz»
Im Anschluss an den Vortrag finden sich die Jugendlichen in Gruppen zusammen und tauschen ihre Gedanken und Fragen zum Thema aus.
Wo ist KI im Leben der Jugendlichen momentan präsent, wofür nutzen sie KI? «Ich nutze es, wenn ich zum Beispiel eine Hausaufgabe nicht verstehe. Dann frage ich ChatGPT», erzählt eine Schülerin. Ihr Sitznachbar nutzt es vor allem zur Rechtschreibkontrolle. Andere befragen KI, wenn sie in ihrem Alltag schnelle Antworten auf Fragen benötigen, beispielweise, wie das Verhältnis von Wasser und Reis beim Kochen sein muss.
Auf die Frage, ob sie sich vorstellen könnten, einen Pflegeroboter für ihre Grosseltern anzuschaffen, antworten alle Schülerinnen und Schüler, die sich zu Wort melden mit «nein». Empathie und echter Austausch seien für ihre Grossmamis und Grosspapis sehr wichtig. Die Überlegungen der Jugendlichen gehen von diesem Punkt aus weiter, sie fragen sich, wer denn von Robotern statt menschlichen Dienstleistenden profitiert. «Ich glaube, es ist vor allem ein Vorteil für Berufstätige, die haben bei der Arbeit schon den ganzen Tag sozialen Stress und finden es dann, zum Beispiel, angenehmer und schneller, abends selbst die Einkäufe zu scannen», sagt eine Schülerin. «Ausserdem können Menschen ja auch negative Gefühle auf andere übertragen. Wenn eine gestresste Kassierin vor einem steht, kann sich das auch auf einen selbst übertragen.»
Glauben die Jugendlichen, dass die Menschen durch KI weniger einsam sein werden? Hier sehen sie in bestimmten Situationen Vorteile. Sich mit einem Chatbot zu unterhalten kann kurzfristig der Einsamkeit entgegenwirken, wenn jemand gerade ein kleines soziales Umfeld hat. «Aber wir Menschen haben Gefühle, das hat die KI nicht. Sie kann sie simulieren, weil sie es durch die Daten, mit denen sie trainiert wurde, so gelernt hat, aber das sind keine echten Gefühle. Ausserdem lernen wir Menschen von Anfang an, wie wir miteinander umgehen müssen, damit das Zusammenleben funktioniert. Das ist bei einer KI auch nicht so.»
KI schlägt Menschen in vielen Bereichen und kann Arbeiten effizienter erledigen, da sie keine Pausen und keinen Schlaf braucht und nie krank ist. Was löst dieser Gedanke, dass die Berufsauswahl in einigen Jahren sehr beschränkt sein könnte und Menschen von KI ersetzt werden könnten, in den Schülerinnen und Schülern aus? Nach dieser Frage herrscht im Raum nachdenkliches Schweigen. «Ich finde es schade, dass das Ziel, alles immer günstiger erledigen zu können, über den Menschen gestellt wird», resümiert eine Schülerin die Stimmung im Raum.
Die Situation, in der KI genutzt und entwickelt wird, stellt sich momentan als ein beinahe «ethikfreier» Raum dar. Glauben die Jugendlichen, dass das Interesse an Ethik und Geisteswissenschaften deswegen in Zukunft zunehmen wird? «Ich denke, dass wird so eine Wellenbewegung sein, wie wir sie ja auch schon in der Vergangenheit gesehen haben», teilt ein Schüler seine Gedanken. «Erst mal wird es ein grösseres Interesse geben. Dann, wenn sozusagen die Nachfrage gesättigt ist, wird das Interesse wieder zurück gehen. Solange, bis die Situation so schlecht ist, dass es wieder gebraucht wird. Und dann geht das Interesse wieder hoch.»
Auch beim Thema Social Media zeigen sich die Jugendlichen kritisch-hinterfragend. Sie haben auf dem Schirm, dass soziale Medien süchtig machen können, die Aufmerksamkeitsspanne senken und ihnen auf ihr Nutzungsverhalten angepasste Werbung anzeigen. Einige legen aktiv von Zeit zu Zeit Social-Media-Pausen ein. «Oft ist es auch einfach nur Zeitverschwendung», resümiert ein Schüler.
Am Ende, bei einer Abstimmung mit geschlossenen Augen, meldet sich etwa die Hälfte der Gruppe bei der Frage, ob sie in Zukunft das eigene Verhalten in Bezug auf Social Media und Künstlicher Intelligenz verändern werden/möchten.


Bilder: © Roger Wehrli
Das Religionsforum ist ein Angebot der kirchlichen Beauftragten an den kantonalen Schulen, finanziert von der Aargauer Konferenz der Religionen AKOREL.