Men­schen­rech­te ​vor Effizienz
Bild: © Roger Wehrli

Men­schen­rech­te ​vor Effizienz

Jugendliche diskutieren die ethischen ​Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz

Sogenannte Künstliche Intelligenz (KI) kann das Leben der Menschen in vielen Bereichen erleichtern. Sie entwickelt sich in rasantem Tempo – momentan allerdings ohne jegliche ethischen Regelungen. Was macht das mit unserem Alltag, unserem Umgang miteinander, unserem Selbstverständnis? Wir waren dabei, als dieses Thema von denjenigen diskutiert wurde, die es in Zukunft besonders betreffen wird: Jugendlichen. Ein Einblick in das Religionsforum, ein Angebot der kirchlichen Beauftragten an den kantonalen Schulen im Aargau.


Die Aula im Albert-Ein­stein-Haus der alten Kan­tons­schu­le Aar­au ist vol­ler Schü­le­rin­nen und Schü­ler. Aus dem gan­zen Kan­ton sind sie zusam­men­ge­kom­men, um am Reli­gi­ons­fo­rum mit dem The­ma «Mensch, Maschi­ne und Moral. Ethik und Künst­li­che Intel­li­genz» teil­zu­neh­men. Im ersten Teil des der Ver­an­stal­tung hören die Schü­le­rin­nen und Schü­ler einen Vor­trag zum The­ma. Als Gast­red­ner ist Prof. Dr. Peter G. Kirch­schlä­ger ein­ge­la­den. Er schärft die Defi­ni­tio­nen der Begrif­fe «Künst­li­che Intel­li­genz» und «Men­schen­rech­te», spricht über die Pro­ble­ma­tik, dass KI momen­tan ethisch unge­re­gelt ent­wickelt und genutzt wird, prä­sen­tiert den Jugend­li­chen ein mög­li­ches Zukunfts­sze­na­rio unse­rer Gesell­schaft mit KI und plä­diert für die Schaf­fung einer inter­na­tio­na­len Agen­tur zur Durch­set­zung der Menschenrechte.

Im Inter­view mit Peter G. Kirch­schlä­ger auf den Sei­ten 6 und 7 ver­tie­fen wir die­se Themenpunkte.

Jugend­li­che im Aus­tausch zum The­ma «Künst­li­che Intelligenz»

Im Anschluss an den Vor­trag fin­den sich die Jugend­li­chen in Grup­pen zusam­men und tau­schen ihre Gedan­ken und Fra­gen zum The­ma aus.

Wo ist KI im Leben der Jugend­li­chen momen­tan prä­sent, wofür nut­zen sie KI? «Ich nut­ze es, wenn ich zum Bei­spiel eine Haus­auf­ga­be nicht ver­ste­he. Dann fra­ge ich ChatGPT», erzählt eine Schü­le­rin. Ihr Sitz­nach­bar nutzt es vor allem zur Recht­schreib­kon­trol­le. Ande­re befra­gen KI, wenn sie in ihrem All­tag schnel­le Ant­wor­ten auf Fra­gen benö­ti­gen, bei­spiel­wei­se, wie das Ver­hält­nis von Was­ser und Reis beim Kochen sein muss.

Auf die Fra­ge, ob sie sich vor­stel­len könn­ten, einen Pfle­ge­ro­bo­ter für ihre Gross­el­tern anzu­schaf­fen, ant­wor­ten alle Schü­le­rin­nen und Schü­ler, die sich zu Wort mel­den mit «nein». Empa­thie und ech­ter Aus­tausch sei­en für ihre Gross­ma­mis und Gross­pa­pis sehr wich­tig. Die Über­le­gun­gen der Jugend­li­chen gehen von die­sem Punkt aus wei­ter, sie fra­gen sich, wer denn von Robo­tern statt mensch­li­chen Dienst­lei­sten­den pro­fi­tiert. «Ich glau­be, es ist vor allem ein Vor­teil für Berufs­tä­ti­ge, die haben bei der Arbeit schon den gan­zen Tag sozia­len Stress und fin­den es dann, zum Bei­spiel, ange­neh­mer und schnel­ler, abends selbst die Ein­käu­fe zu scan­nen», sagt eine Schü­le­rin. «Aus­ser­dem kön­nen Men­schen ja auch nega­ti­ve Gefüh­le auf ande­re über­tra­gen. Wenn eine gestress­te Kas­sie­rin vor einem steht, kann sich das auch auf einen selbst übertragen.»

Glau­ben die Jugend­li­chen, dass die Men­schen durch KI weni­ger ein­sam sein wer­den? Hier sehen sie in bestimm­ten Situa­tio­nen Vor­tei­le. Sich mit einem Chat­bot zu unter­hal­ten kann kurz­fri­stig der Ein­sam­keit ent­ge­gen­wir­ken, wenn jemand gera­de ein klei­nes sozia­les Umfeld hat. «Aber wir Men­schen haben Gefüh­le, das hat die KI nicht. Sie kann sie simu­lie­ren, weil sie es durch die Daten, mit denen sie trai­niert wur­de, so gelernt hat, aber das sind kei­ne ech­ten Gefüh­le. Aus­ser­dem ler­nen wir Men­schen von Anfang an, wie wir mit­ein­an­der umge­hen müs­sen, damit das Zusam­men­le­ben funk­tio­niert. Das ist bei einer KI auch nicht so.»

KI schlägt Men­schen in vie­len Berei­chen und kann Arbei­ten effi­zi­en­ter erle­di­gen, da sie kei­ne Pau­sen und kei­nen Schlaf braucht und nie krank ist. Was löst die­ser Gedan­ke, dass die Berufs­aus­wahl in eini­gen Jah­ren sehr beschränkt sein könn­te und Men­schen von KI ersetzt wer­den könn­ten, in den Schü­le­rin­nen und Schü­lern aus? Nach die­ser Fra­ge herrscht im Raum nach­denk­li­ches Schwei­gen. «Ich fin­de es scha­de, dass das Ziel, alles immer gün­sti­ger erle­di­gen zu kön­nen, über den Men­schen gestellt wird», resü­miert eine Schü­le­rin die Stim­mung im Raum.

Die Situa­ti­on, in der KI genutzt und ent­wickelt wird, stellt sich momen­tan als ein bei­na­he «ethik­frei­er» Raum dar. Glau­ben die Jugend­li­chen, dass das Inter­es­se an Ethik und Gei­stes­wis­sen­schaf­ten des­we­gen in Zukunft zuneh­men wird? «Ich den­ke, dass wird so eine Wel­len­be­we­gung sein, wie wir sie ja auch schon in der Ver­gan­gen­heit gese­hen haben», teilt ein Schü­ler sei­ne Gedan­ken. «Erst mal wird es ein grös­se­res Inter­es­se geben. Dann, wenn sozu­sa­gen die Nach­fra­ge gesät­tigt ist, wird das Inter­es­se wie­der zurück gehen. Solan­ge, bis die Situa­ti­on so schlecht ist, dass es wie­der gebraucht wird. Und dann geht das Inter­es­se wie­der hoch.»

Auch beim The­ma Social Media zei­gen sich die Jugend­li­chen kri­tisch-hin­ter­fra­gend. Sie haben auf dem Schirm, dass sozia­le Medi­en süch­tig machen kön­nen, die Auf­merk­sam­keits­span­ne sen­ken und ihnen auf ihr Nut­zungs­ver­hal­ten ange­pass­te Wer­bung anzei­gen. Eini­ge legen aktiv von Zeit zu Zeit Social-Media-Pau­sen ein. «Oft ist es auch ein­fach nur Zeit­ver­schwen­dung», resü­miert ein Schüler.

Am Ende, bei einer Abstim­mung mit geschlos­se­nen Augen, mel­det sich etwa die Hälf­te der Grup­pe bei der Fra­ge, ob sie in Zukunft das eige­ne Ver­hal­ten in Bezug auf Social Media und Künst­li­cher Intel­li­genz ver­än­dern werden/möchten.

Religionsforum KI und Ethik
Religionsforum KI und Ethik Schülerinnen

Bil­der: © Roger Wehrli

Das Reli­gi­ons­fo­rum ist ein Ange­bot der kirch­li­chen Beauf­trag­ten an den kan­to­na­len Schu­len, finan­ziert von der Aar­gau­er Kon­fe­renz der Reli­gio­nen AKOREL.

Leonie Wollensack
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