Menschenfreundliche Musik zur Ehre Gottes
Gewohnheiten sind hartnäckig. So hört und liest man immer noch die Aussage «Der Chor hat die Messe musikalisch umrahmt», obschon sie seit 50 Jahren nicht mehr stimmt. Es gibt wohl keine Religion, die in ihrem Wesenskern, ihren Riten und ihrem Gottesdienst ohne Musik auskäme. Musik und religiöse Feier gehören untrennbar zusammen. Das ist auch im Christentum so. Josef Anton Willa beleuchtet einmal mehr einen Aspekt der Liturgie.In der katholischen Kirche war die Verbindung von Gottesdienst und Musik lange Zeit nicht mehr selbstverständlich. Man meinte, Liturgie könne ohne Musik auskommen. Die vom Priester allein vollzogene sogenannte Privatmesse galt als Grundform der Eucharistie. Für die Spendung der Sakramente genügten das Zeichen und die Formel. Und das offizielle Gebet der Kirche, die Stundenliturgie, konnten Kleriker und Ordensleute auch allein für sich beten.In dieser Schrumpfform war der Gottesdienst keine Feier mehr, sondern bloss noch ein Rechtsakt. Musik schien verzichtbar zu sein. Wo sie vorkam, legte sie sich über die Liturgie wie das Sahnehäubchen auf den Kaffee; schmückendes Beiwerk.
Kirchenmusik als notwendiger Bestandteil
Das Zweite Vatikanische Konzil hat diese Sichtweise korrigiert. Das erste Konzilsdokument, die Liturgiekonstitution, bezeichnet die Kirchenmusik als «notwendigen und integrierenden Bestandteil» der Liturgie, deren Ziel die «Ehre Gottes und die Heiligung der Gläubigen» ist. Die alte vorkonziliare Praxis wirkte allerdings lange nach. Zu Kindheitserinnerungen gehört, dass der Pfarrer während der ganzen Messe am Altar stand und die Texte mitsprach, die der Chor sang. Diese Parallelität ist nach heutigem Verständnis weder nötig noch sinnvoll. Der Chor und andere Musizierende leisten einen «wahrhaft liturgischen Dienst». Das Singen und das Zuhören sollen und können Ausdruck des Gebetes sein.
Keine «Zum-Lieder» mehr
Seit der jüngsten Liturgiereform gibt es darum keine «Zum-Lieder» mehr: Wir singen nicht mehr «zum Gloria» irgendein schönes Lied, sondern das Gloria selbst. Und wo das Gloria durch ein Loblied ersetzt wird, ist es kein Gloria mehr. Wir singen keinen «Zwischengesang» mehr als eine Art Auflockerung zwischen zwei Lesungen, wir singen einen Psalm, der ebenso biblisch und liturgisch ist wie die Lesungen. Musik wird nicht länger in die bestehende Liturgie gestreut; sie ist selber Liturgie. Sie erklingt nicht im Gottesdienst, sondern als Gottesdienst, ist ein Teil des Ganzen und muss zum Ganzen passen.
Aktives Zuhören
Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten. Jeder Musikstil und jede Art des Musizierens kann zum Gottesdienst werden, sofern sie der christlichen Gemeinde hilft, die Beziehung zu Gott zu leben und zu vertiefen. Die Kirchenmusik zeichnet sich durch «Menschenfreundlichkeit» aus. Die Gottesdiensteilnehmer sollen sich im Singen und Musizieren, im aktiven Zuhören, als von Gott angenommene, erlöste und zur Freiheit berufene Menschen artikulieren und erleben. So verdeutlicht die Kirchenmusik, was schon Irenäus von Lyon im 2. Jahrhundert formulierte: «Die Ehre Gottes ist der lebendige Mensch.»Josef-Anton Willa/aj