Mein Geschenk an die Schweiz

Die Schweiz ver­greist. Gemäss nam­haf­ten Öko­no­men dürf­te unse­rem Land die Zuwan­de­rung hel­fen, den auf­ge­bau­ten Wohl­stand zu hal­ten. In Aar­au zei­gen Flücht­lin­ge im Rah­men einer Aus­stel­lung, was sie kön­nen und bereit sind, einzubringen.Raque­al Ande­mes­kel ist seit drei Jah­ren in der Schweiz. Die 18-Jäh­ri­ge wohnt mit ihren Geschwi­stern in einer Asyl­un­ter­kunft in Köl­li­ken. Am 20. Juni 2015 über­setzt sie an der Ver­nis­sa­ge zur Aus­stel­lung «Mein Geschenk an die Schweiz – Flücht­lin­ge zei­gen ihre Res­sour­cen» in Aar­au für ande­re von Deutsch auf Tig­ri­nya und Ara­bisch. Die jun­ge Eri­treerin ist moti­viert. Umso mehr, als sie vor ein paar Wochen end­lich einen posi­ti­ven Bescheid auf ihr Asyl­ge­such erhal­ten hat. Das ermög­licht es ihr, in der Schweiz ihren Berufs­wunsch zu ver­fol­gen. «Eigent­lich woll­te ich schon immer Ärz­tin wer­den», erklärt Raque­al Ande­mes­kel in nahe­zu flies­sen­dem Deutsch. «Das wird nicht gehen, aber ich habe gute Chan­cen, im Gesund­heits­we­sen Fuss zu fas­sen. Ab August wer­de ich die Kan­to­na­le Schu­le für Berufs­bil­dung besu­chen und mei­ne Aus­bil­dung zur Assi­sten­tin für Gesund­heit und Sozia­les begin­nen.» Nach ihrem Erfolgs­re­zept gefragt, meint Raque­al Ande­mes­kel: «Ich habe stets etwas gemacht, seit ich hier bin. Nicht ein­fach auf mei­nen Asy­l­ent­scheid gewar­tet. Ich besuch­te Deutsch­kur­se, ging ins Bas­ket­ball- und Vol­ley­ball­trai­ning, knüpf­te Kon­tak­te. Auch, um mög­lichst schnell die Spra­che zu ler­nen und Anschluss zu fin­den.»Ein­satz und Aus­dau­er Gemäss Wirt­schafts­exper­ten und Zukunfts­augu­ren sind Men­schen wie Raque­al Ande­mes­kel die künf­ti­gen Stüt­zen unse­rer Gesell­schaft, wäh­rend sich Herr und Frau Schwei­zer aufs Alten­teil zurück­zie­hen. Die zum inter­na­tio­na­len Flücht­lings­tag im Aar­au­er Pfarr­haus lan­cier­te Aus­stel­lung «Mein Geschenk an die Schweiz» zeigt anhand von Kurz­por­träts, was Flücht­lin­ge aus ihren Her­kunfts­län­dern an Res­sour­cen mit­brin­gen, wel­che Moti­va­ti­on und Wün­sche sie mit­brin­gen. «Eure Situa­ti­on ist schwie­rig. Umso wich­ti­ger, dass ihr nicht ver­gesst, was ihr könnt», mahnt Rahel Wun­der­li. Sie hat die Aus­stel­lung im Rah­men des «pro­jektbbb – Asyl mit Bil­dung, Begeg­nung und Beschäf­ti­gung» zusam­men mit Frei­wil­li­gen auf die Bei­ne gestellt. Hin­ter dem Pro­jekt, das seit mehr als zwei Jah­ren Asyl­su­chen­de über gemein­sa­me Akti­vi­tä­ten mit Schwei­ze­rin­nen und Schwei­zern in Kon­takt bringt, steht der Ver­ein Netz­werk Asyl Aar­gau. Gegen 50 Per­so­nen haben sich zur Ver­nis­sa­ge nach Aar­au ein­ge­fun­den. «Hier in der Schweiz brau­chen wir Leu­te, die sich aktiv betei­li­gen. Ihr müsst aber hart­näckig und aus­dau­ernd sein», fährt Rahel Wun­der­li fort. Dann appel­liert sie an die Ein­hei­mi­schen: «Die Leu­te hier, die kön­nen etwas. Schaut her!»Die Jun­gen im Vor­teil Ein Rund­gang durch die Aus­stel­lung sowie ver­schie­de­ne Gesprä­che machen deut­lich: Nicht alle haben so gute Kar­ten, sich in der Schweiz eine Exi­stenz auf­zu­bau­en wie Raque­al Ande­mes­kel. Jugend­li­che wie der 18-jäh­ri­ge Moham­mad Hin­na­wi könn­ten es am ehe­sten schaf­fen. Jun­ge Leu­te fin­den rasch Anschluss, ler­nen die Spra­che schnell. Seit einem Jahr ist der Syrer in der Schweiz und kann sich bereits auf Deutsch ver­stän­di­gen. Dank einem posi­ti­ven Asyl­ge­such kann sich Moham­mad Hin­na­wi für eine Lehr­stel­le bewer­ben. Ver­su­chen will er es als Maschi­nen­me­cha­ni­ker. Sein Onkel Ayman sowie des­sen Lands­mann Nozad haben es da schon schwie­ri­ger. Die bei­den sind bereits über 50 Jah­re alt. Die­ser führ­te in der Hei­mat zwei Geschäf­te, jener war Anwalt. Mit der Inte­gra­ti­on in der Schweiz hapert es, bei­de war­ten noch auf ihren Asyl­be­scheid, tun sich schwer mit Deutsch.Den Men­schen sehen «Die Aus­stel­lung in Aar­au soll dazu bei­tra­gen, dass wir Flücht­lin­ge nicht län­ger auf ihren Sta­tus als Flücht­lin­ge redu­zie­ren», meint Rolf Gei­ser, Initia­tor des «pro­jektbbb». Es gehe pri­mär um Men­schen, nicht um Arbeits­kräf­te. Ein illu­so­ri­sches Ziel in einem Land wie der Schweiz, in dem sich die Mehr­heit über Arbeit, Lei­stung und Sta­tus defi­niert? «Nicht unbe­dingt», glaubt Rolf Gei­ser. Den Job auf Lebens­zeit gebe es nicht mehr. In den letz­ten Jah­ren habe es in der Arbeits­welt Ver­än­de­run­gen gege­ben, die zu einem Umden­ken geführt hät­ten. «Wir defi­nie­ren uns daher stär­ker über das, was uns als Men­schen aus­macht, was wir in unse­rer Frei­zeit tun. Ent­spre­chend soll­ten wir auch in einem Flücht­ling den lie­ben­den Vater erken­nen oder den lebens­hung­ri­gen, jun­gen Mann. Und wenn eine Frau aus Eri­trea bei uns die Chan­ce bekommt, sich in der Pfadi mit Kin­dern zu enga­gie­ren, so kann ihr das bei der Job­su­che viel­leicht eine Türe öff­nen und feh­len­de Zer­ti­fi­ka­te kom­pen­sie­ren.»Hohe Hür­den für Flücht­lin­ge Der Weg in die Erwerbs­ar­beit ist für Asyl­su­chen­de in der Schweiz lang und stei­nig. «Wenn Per­so­nen in der Schweiz Asyl bean­tra­gen, erhal­ten sie ein Dach über dem Kopf, eine Kran­ken­ver­si­che­rung und etwas Geld. Zehn Fran­ken am Tag, um sich Essen und Klei­der lei­sten zu kön­nen», erklärt Rahel Wun­der­li. «Die Men­schen sind vor­erst in Sicher­heit und ihre grund­le­gend­sten Bedürf­nis­se gedeckt.» Für ein akti­ves und erfüll­tes Leben rei­che das jedoch nicht. «Theo­re­tisch kann ein Flücht­ling ab dem drit­ten Monat sei­nes Auf­ent­halts eine Arbeit anneh­men», weiss Rolf Gei­ser. Der Arbeit­ge­ber muss dann aber nach­wei­sen kön­nen, dass er die Stel­le nicht an jeman­den mit einem bes­se­ren Auf­ent­halts­sta­tus ver­ge­ben kann, was de fac­to unwahr­schein­lich ist.» Die «vor­läu­fig Auf­ge­nom­me­nen», also jene, die aus unter­schied­li­chen Grün­den nicht zurück­ge­schickt wer­den kön­nen, dürf­ten zwar Arbeit suchen, aber auch hier erschwe­ren büro­kra­ti­sche Hür­den meist das Inter­es­se der Arbeit­ge­ber. Chan­cen auf dem Arbeits­markt habe eigent­lich nur, wer defi­ni­tiv in der Schweiz blei­ben kön­ne, meint Rolf Gei­ser. Wobei es dann immer noch schwer genug sei. Nebst der Sprach­hür­de blie­ben oft hohe Anfor­de­run­gen an die Qua­li­fi­ka­ti­on. «Men­schen, die in ihren Her­kunfts­län­dern als Ärz­te, Leh­rer oder Anwäl­te gewirkt haben, arbei­ten hier allen­falls als Rei­ni­gungs­fach­kräf­te oder Taxi­fah­rer.» Des­halb wol­le man die Flücht­lin­ge dar­in bestär­ken, sich ihrer Fähig­kei­ten und Bega­bun­gen bewusst zu blei­ben, meint Rahel Wun­der­li. Wich­tig sei es auch, sich mit der Fra­ge aus­ein­an­der­zu­set­zen, wie man trotz ein­ge­schränk­ter Hand­lungs­mög­lich­kei­ten an die­ser Gesell­schaft par­ti­zi­pie­ren kön­ne.Eine Zukunft für die Kin­der Sri Sub­aji­ni stammt aus Sri Lan­ka. In ihrer Hei­mat erwarb die mitt­ler­wei­le 37-Jäh­ri­ge innert drei Jah­ren die Aus­bil­dung zur Pfle­ge­fach­frau und liess sich her­nach zur Heb­am­me aus­bil­den. Als Geburts­hel­fe­rin kann Sri Sub­aji­ni 6 Jah­re Berufs­er­fah­rung aus­wei­sen. Bis zu ihrer Flucht arbei­te­te die Tami­lin 4 Jah­re als diplo­mier­te Lehr­per­son für Pfle­ge­per­so­nal. Ob sie in der Schweiz je auf einem die­ser ange­stamm­ten Beru­fe wird arbei­ten kön­nen, wird sich zei­gen. Seit zwei­ein­halb Jah­ren war­tet Sri Sub­aji­ni bereits auf ihren Asyl­be­scheid. Wäh­rend die­ser Zeit ist sie nicht untä­tig geblie­ben. Sie lern­te häkeln und stricken, trat einem Chor sowie einer Turn­grup­pe bei, lern­te Deutsch. Ger­ne möch­te sich die moti­vier­te Frau mehr in der Schwei­zer Gesell­schaft inte­grie­ren, sich ein­brin­gen, etwas zurück­ge­ben. Damit ist sie nicht allein, wie die Wort­mel­dun­gen der an der Ver­nis­sa­ge zur Aus­stel­lung «Mein Geschenk an die Schweiz» anwe­sen­den Flücht­lin­ge zei­gen. Die Men­schen wol­len arbei­ten dür­fen, einen Beruf ler­nen. Und vor allem wol­len sie, dass ihre Kin­der in der Schweiz etwas ler­nen und eine gesi­cher­te Zukunft haben. «Die Freu­de und der Stolz am Schen­ken», das «Sich-Ein­brin­gen-Wol­len» sei auch in den Por­träts der Aus­stel­lung spür­bar, beschreibt es Rahel Wun­der­li. Die Aus­stel­lung20 Por­träts von Asyl­su­chen­den und aner­kann­ten Flücht­lin­gen. Tex­te und Bil­der über den Wunsch, die eige­nen Fähig­kei­ten und Bega­bun­gen ein­zu­brin­gen.Kath. Pfarr­haus Aar­auLau­ren­zen­vor­stadt 80Noch bis am 7. August 2015Mo 17–22 Uhr, Di-Fr 8–22 Uhr
Andreas C. Müller
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