Markt­trei­ben und Gänsebraten

Der hei­li­ge Mar­tin von Tours ist vor mehr als 1600 Jah­ren gestor­ben. Das Brauch­tum rund um sei­nen Gedenk­tag aber ist bis heu­te leben­dig. Zu erle­ben zum Bei­spiel am kom­men­den Mitt­woch, 11. Novem­ber in Rohrdorf.Es waren die Gän­se, die den hei­li­gen Mar­tin ver­rie­ten. Das sagt zumin­dest eine jün­ge­re Legen­de: Danach war Mar­tin im Jahr 372 dazu aus­er­se­hen wor­den, Bischof von Tours zu wer­den. Aus Beschei­den­heit und aus Respekt vor dem hohen Amt soll er sich jedoch in einem Gän­se­stall ver­steckt haben, um der Auf­ga­be zu ent­ge­hen. Doch das Geschnat­ter der Tie­re offen­bar­te sein Ver­steck. Der Hei­li­ge Mar­tin war in der latei­ni­schen Kir­che der erste, der nicht durch sei­nen Tod als Mär­ty­rer, son­dern durch sein vor­bild­haf­tes Leben Hei­lig­keit erreich­te. Vor mehr als 1600 Jah­ren, am 8.11.397, ist der Bischof von Tours gestor­ben. Aus dem Latei­ni­schen «dies Sanc­ti Mar­ti­ni» — «Tag des Hei­li­gen Mar­tin» ist die Bezeich­nung für den Fest­tag des Hei­li­gen am 11. Novem­ber abge­lei­tet. «Mar­ti­ni» fei­ern wir an dem Tag, an dem Mar­tin beer­digt wur­de.Far­bi­ges Volks­fest in Rohr­dorf Rund um den Fest­tag des Hei­li­gen Mar­tin von Tours hat sich ein rei­ches Brauch­tum ent­wickelt und bis heu­te erhal­ten. Zum Bei­spiel in der Pfar­rei Rohr­dorf. Sie fei­ert am 11. Novem­ber das Fest ihres Kir­chen­pa­trons als fröh­lich-far­bi­ges Volks­fest. Den Auf­takt zu den Rohr­dor­fer Mar­ti­ni-Fei­er­lich­kei­ten bil­det der öku­me­ni­sche Got­tes­dienst in der Kir­che St. Mar­tin. Schü­ler aus Ober­rohr­dorf und Remet­schwil sowie Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner vom «Haus Mor­gen­stern» in Widen gestal­ten jeweils den Got­tes­dienst mit. Die Legen­den um das Leben des Hei­li­gen haben im Got­tes­dienst eben­falls Platz.Jesus in Gestalt des Bett­lers Die berühm­te­ste Mar­tins-Legen­de ist die Man­tel­tei­lung. Im Alter von 15 Jah­ren war Mar­ti­nus in das römi­sche Heer ein­ge­tre­ten. In einem beson­ders kal­ten Win­ter traf er mit ande­ren Sol­da­ten an einem Stadt­tor auf einen Bett­ler. Der Legen­de nach küm­mer­te sich kei­ner von Mar­tins Beglei­tern um den frie­ren­den Mann. Mar­tin jedoch woll­te hel­fen. Da er außer Uni­form und Schwert nichts dabei hat­te, teil­te er kur­zer­hand sei­nen Man­tel in zwei Stücke und gab eines davon dem Bett­ler. Das soll ihm den Spott sei­ner Mit­sol­da­ten ein­ge­bracht haben. Doch Mar­tin ließ sich nicht beir­ren: In der fol­gen­den Nacht erschien ihm Jesus im Traum und dank­te ihm für die gute Tat. Denn in der Gestalt des Bett­lers habe Mar­tin dem Got­tes­sohn selbst gehol­fen: «Mar­ti­nus, der noch nicht getauft ist, hat mich mit die­sem Man­tel beklei­det», sag­te Jesus zu Mar­tin.Vom Sol­dat zum Bischof Von da an war das Leben von Mar­tin ganz vom christ­li­chen Glau­ben geprägt. Er ließ sich tau­fen und trat aus dem Mili­tär aus. Er wur­de Prie­ster und leb­te zunächst als Ein­sied­ler. In der Nähe des fran­zö­si­schen Poi­tiers grün­de­te er das erste Klo­ster des Abend­lan­des. In sei­ner zwei­ten Grün­dung, Mar­mou­tier, fan­den sich bald Gleich­ge­sinn­te, die mit ihm ein Leben in Ein­fach­heit, Gebet und Besitz­lo­sig­keit leb­ten. Mar­tin wur­de als Rat­ge­ber und Not­hel­fer bekannt. Als eini­ge Jah­re spä­ter ein neu­er Bischof von Tours gesucht wur­de, waren sich die Men­schen schnell einig, dass es Mar­tin wer­den soll­te. Mar­tin starb erst im hohen Alter von 81 Jah­ren. Aus­ge­hend von Frank­reich brei­te­te sich sei­ne Ver­eh­rung schnell aus. Dort soll es schon bis Ende des Mit­tel­al­ters mehr als 3500 Mar­tins­kir­chen gege­ben haben. Sein Grab in der Kathe­dra­le von Tours ist eine bedeu­ten­de Wall­fahrts­stät­te.In Rohr­dorf zieht der Herold durchs Dorf In Rohr­dorf zieht nach dem Got­tes­dienst der Herold von der Kir­che aus durch das Dorf. Er trägt die Fah­ne mit dem Abbild des hei­li­gen Mar­tin, die Got­tes­dienst­ge­mein­de folgt ihm zum Schul­haus Hin­ter­bäch­li. Dort ste­hen rund ums Schul­haus die Markt­stän­de für den Mar­ti­ni-Märt, wo Schü­ler Selbst­ge­ba­stel­tes und Gebacke­nes ver­kau­fen, die Frau­en­ge­mein­schaft, der Fami­li­en­treff und diver­se wei­te­re Teil­neh­mer ihr Ange­bot aus­brei­ten. Die refor­mier­te und katho­li­sche Kirch­ge­mein­de von Rohr­dorf, die poli­ti­sche Gemein­de sowie die Schu­len von Ober­rohr­dorf und Remet­schwil orga­ni­sie­ren das fröh­li­che Mar­ti­ni-Volks­fest gemein­sam. Feder­füh­rend ist die Mar­ti­ni-Grup­pe, in denen Ver­tre­ter aller Orga­ni­sa­tio­nen sit­zen.Bas­ler Herbst­mes­se und Ber­ner Zibele­mä­rit Märk­te an Mar­ti­ni haben lan­ge Tra­di­ti­on. Sowohl der Zibele­mä­rit in Bern und die Herbst­mes­se in Basel gehen auf For­men des Mar­ti­ni-Mark­tes zurück. Die Herbst­mes­se von Basel als älte­ster und gröss­ter Jahr­markt der Schweiz ist offi­zi­ell eröff­net, wenn das Glöck­lein der Bas­ler Mar­tins­kir­che sie ein­ge­läu­tet hat. Mar­ti­ni war bis in die Neu­zeit ein wich­ti­ger Rechts- und Wirt­schafts­ter­min. An Mar­ti­ni ende­te das Wirt­schafts­jahr des Bau­ern, an die­sem Datum began­nen und ende­ten Pacht­ver­trä­ge, Zins­fri­sten und Lohn­ver­hält­nis­se. An das Per­so­nal wur­den die Löh­ne bezahlt, Knech­te und Mäg­de konn­ten auf einem der Märk­te einen neu­en Arbeit­ge­ber suchen. Wenn der Obrig­keit der so genann­te «Zehn­te» abge­lie­fert wer­den muss­te, gehör­ten auch Gän­se zu den Abga­ben. Die «Gans-Abhau­et», die im luzer­ni­schen Sur­see bis heu­te ein gros­ses Spek­ta­kel dar­stellt, ist ein Bei­spiel dafür.Fest­essen vor dem Advents­fa­sten Auch in Rohr­dorf kommt der Vogt, um bei sei­nen Unter­ta­nen den «Zähn­te» ein­zu­trei­ben. Aller­dings ern­tet er meist nur har­tes Brot, fau­le Kar­tof­feln und noch fau­le­re Aus­re­den. Ein Gau­di für Gross und Klein, die Turn­hal­le ist bis auf den letz­ten Platz besetzt. Ein Glücks­rad, das Schü­ler­lot­to, Wett­be­wer­be und Spie­le bie­ten beste Unter­hal­tung. Dazu kön­nen die Fest­be­su­cher in der Turn­hal­le zu Mit­tag essen. Natür­lich hat auch das Essen an Mar­ti­ni Tra­di­ti­on. Denn frü­her begann um Mar­ti­ni die Schlacht­zeit, die Metz­ge­te, die mit üppi­gen Essen ver­bun­den war, bei denen auch die Mar­tins­gans und der neue Wein auf­ge­tischt wur­den. Die Fest­essen rund um den Mar­tins­tag gehen einer­seits auf Ern­te­fe­ste zurück, ander­seits woll­te man wohl vor dem mit Mar­ti­ni begin­nen­den Advents­fa­sten noch ein­mal rich­tig genies­sen. Vie­le Zünf­te ken­nen heu­te noch das Mar­ti­ni-Mahl, ein inter­ner Anlass, bei dem der im Lau­fe des Jah­res Ver­stor­be­nen gedacht wird und die neu­en Zünf­ter auf­ge­nom­men wer­den.Sie­ben Aar­gau­er Pfar­rei­en fei­ern Patro­zi­ni­um Neben dem Markt­trei­ben und den kuli­na­ri­schen Tra­di­tio­nen kennt man bis heu­te auch Mar­tins­um­zü­ge. In Deutsch­land sind es Kin­der mit Lam­pi­ons, in der Schweiz mit Räbe­liech­t­li, die den Hei­li­gen auf sei­nem Umritt beglei­ten. Die Umzü­ge sind Teil der Licht­sym­bo­lik der katho­li­schen Kir­che, wel­che am Aller­see­len­tag am 2. Novem­ber beginnt und über Advent und Weih­nach­ten bis Licht­mess am 2. Febru­ar führt. Im Aar­gau fei­ern auch die Pfar­rei­en Len­gnau, Ent­fel­den, Mumpf, Nie­der­wil, Witt­nau und Zufi­kon fei­ern am Mar­tins­tag ihr Patro­zi­ni­um. In jeder Pfar­rei fin­det sich ein Stück tra­di­tio­nel­les Brauch­tum. Die Pfar­rei St. Mar­tin Nie­der­wil orga­ni­siert einen Räbe­liech­t­li­um­zug mit dem Rit­ter St. Mar­tin. Bevor der Umzug beginnt, gibt es bei der Kir­che eine Dar­stel­lung zur Legen­de des Hei­li­gen Mar­tin. Auch Witt­nau gedenkt sei­nem Kir­chen­pa­tron mit einem Räbe­liech­t­li­um­zug, bei dem auch das Leben des Hei­li­gen in Erin­ne­rung geru­fen wird. Die Viert­kläss­ler spie­len die Geschich­te des hei­li­gen Mar­tin beim Mar­tins­feu­er auf dem Kir­chen­platz. Und in Zufi­kon schliess­lich kommt der Hei­li­ge am 11. Novem­ber höchst­per­sön­lich vor­bei. Nach einer abend­li­chen Fei­er in der Kir­che besucht St. Mar­tin die Anwe­sen­den, die ihn anschlies­send mit Later­nen, Räbe­liech­t­li oder geschnitz­ten Kür­bis­sen auf sei­nem Umritt begleiten. 
Marie-Christine Andres Schürch
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