Man sieht nur mit dem Herzen gut
Epheserbrief 1,17–19Der Gott Jesu Christi, unseres Herrn, der Vater der Herrlichkeit, gebe euch den Geist der Weisheit und Offenbarung, damit ihr ihn erkennt. Er erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr versteht, zu welcher Hoffnung ihr durch ihn berufen seid, welchen Reichtum die Herrlichkeit seines Erbes den Heiligen schenkt und wie überragend gross seine Macht sich an uns, den Gläubigen, erweist durch das Wirken seiner Kraft und Stärke. Einheitsübersetzung 2016 Man sieht nur mit dem Herzen gut
Ich sehe etwas, was du nicht siehst … und das ist blau – oder grün oder rosa. Als Kinder haben wir das gespielt. Einer sucht sich einen Gegenstand aus, den die anderen erraten müssen. Als Hilfe wird wenigstens die Farbe angegeben. Die anderen Mitspieler versuchen dann herauszufinden, was denn der andere wohl sehen mag.Ich sehe etwas, was du nicht siehst … Eine solche Aussage könnte auch von Gott stammen. Er könnte es sein, der das zu uns Menschen sagt. Wir sehen wahrscheinlich tatsächlich so manches nicht, was Gott sieht. Der Mensch sieht, was vor den Augen ist, der Herr aber sieht das Herz (1 Sam 16,7). Er sieht das Verborgene, das Innere, das Eigentliche. Für ihn zählen nicht unsere Erfolge und das, was gelungen ist oder was in menschlichen Augen glänzt. Er weiss vielmehr um unseren Einsatz, unser Bemühen, unsere Möglichkeiten und unsere Absichten. Gott ist die Liebe, und sein Blick ist ein Blick voller Liebe und Verständnis. Er schaut uns mit seinem Herzen an und sieht, was Menschen manchmal eben nicht sehen. Der französische Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry lässt es den «kleinen Prinzen» so sagen: «Man sieht nur mit dem Herzen gut – das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.»Die Geschichte der seligen Sibylle Biscossi ist ein wunderbares Beispiel einer Frau, die gelernt hat, mit dem Herzen zu sehen. Bereits als 12-Jährige verlor sie ihr Augenlicht. Mit den Augen konnte sie nicht mehr sehen. Aber die vielen Menschen, die bei ihr Rat und Trost gefunden haben, zeugen davon, dass ihr Herz wohl sehr viel «gesehen» hat.Wie oft übersehen wir doch das, was wirklich zählt? Wie oft haben wir uns verstrickt, sind in uns selbst verfangen und sehen nichts anderes mehr? Sind die Augen unseres Herzens blind geworden?Mit dem Herzen sehen – eine Einladung Gottes, es ihm nachzutun?! Vielleicht lassen wir uns – gerade jetzt, in der Fastenzeit – von ihm zum Spiel auffordern: Ich sehe etwas, was du nicht siehst! Komm, ich zeige es dir! Es ist etwas Schönes und Spannendes! Es ist das Leben in seiner ganzen Buntheit! Und wenn du es willst, dann werde ich dir die Augen dafür öffnen! Ich lehre dich, mit dem Herzen zu sehen und die Welt hinter der Welt zu entdecken!Gott braucht «Mitspieler». Er möchte uns das zeigen, was er sieht. Und wenn wir uns darauf einlassen, dann werden wir die Welt, das Leben und die Menschen so sehen, wie er sie sieht und erkennen, zu welcher Hoffnung wir berufen sind (vgl. Eph 1,18).Die Einladung Gottes steht: Ich sehe etwas, was du nicht siehst …
Nadia Miriam Keller, Theologin, arbeitet als Spitalseelsorgerin i.A. am St. Claraspital in Basel