«Man müss­te mehr dar­über nach­den­ken, ob es noch Sinn macht, alte Kir­chen­bau­ten zu renovieren»

  • Zum 175-jäh­ri­gen Bestehen der Kir­che in Täge­rig wird ein Archi­tek­tur­wett­be­werb lan­ciert. Die Teil­neh­men­den dür­fen den Sakral­raum Ihrer Vor­stel­lung erschaffen.
  • Mit­ma­chen dür­fen auch Inter­es­sier­te aus­ser­halb des Pasto­ral­raums Mel­lin­gen. Anmel­de­schluss ist der 6. März. Mate­ria­li­en wer­den zur Ver­fü­gung gestellt. Die Model­le müs­sen bis Ende Mai fer­tig sein.
  • Hori­zon­te sprach mit Dia­kon Johan­nes Zür­cher, der die Idee zu die­sem aus­ser­ge­wöhn­li­chen Wett­be­werb hatte.

Herr Zür­cher, zum 175-Jahr-Jubi­lä­um der Kir­che Täge­rig, das Ende Juni gefei­ert wird, gibt es einen Archi­tek­tur­wett­be­werb. Wor­um geht es da?
Johan­nes Zür­cher: Der Mensch als homo sapi­ens hat­te schon immer das Bedürf­nis, über­na­tür­li­che Wesen zu ver­eh­ren. Sei es auf einem hei­li­gen Stein, sei es in Bäu­men, sei es in Tem­peln. Und das Ziel war, von Unheil, Krank­hei­ten und Kata­stro­phen ver­schont zu blei­ben. Auch heu­te ken­nen vie­le Men­schen in ihrer intui­ti­ven Natur den Wunsch, die­sen höhe­ren Wesen oder die­sem einen Gott einen wür­di­gen Platz zu ver­schaf­fen. Aus die­sem Urtrieb her­aus, aus die­sem Ver­lan­gen nach Ver­bin­dung mit Gott, mit dem All-Einen, oder wie man es immer nen­nen mag, ent­stand die Idee, Model­le zu bau­en, die dem Wunsch nach Tran­szen­denz, nach dem Über­schrei­ten eige­ner Gren­zen gerecht wer­den und zwar nicht nach vor­ge­ge­be­nem Kri­te­ri­en, son­dern nach eige­nen Vor­stel­lun­gen und Herzenswünschen.

Es geht also um Model­le. Wie gross dür­fen bezie­hungs­wei­se sol­len die­se sein?
Alle, die am Wett­be­werb teil­neh­men haben die Mög­lich­keit, sich für ein «Bau­ma­te­ri­al» zu ent­schei­den. Zur Aus­wahl ste­hen Modell­kar­ton, wie es die Archi­tek­ten ver­wen­den, wei­ter ist Ton und Ytong ver­füg­bar. Je nach Mate­ri­al wird das Modell klei­ner oder grös­ser sein. Für alle Mate­ria­li­en gibt es ein Grund­brett, das die Grös­se vorgibt. 

Wer darf alles mitt­ma­chen? Auch Per­so­nen aus ande­ren Pfar­rei­en?
Kir­che sein heisst auch immer offen sein. Das ist ihre Chan­ce, das ist ihr Lebens­eli­xier. Wer sich ver­schliesst, kann zusam­men­packen und gehen. Inso­fern wäre es ein Affront zu sagen, der Wett­be­werb beschrän­ke sich auf die Gren­zen des Pasto­ral­raums und auf kir­chen­na­he Leu­te. Des­halb gilt: Selbst Men­schen, die sich von der Kir­che distan­ziert haben – aber sehr wohl auf der Suche nach dem Gött­li­chen sind – wer­den ein­ge­la­den, mit­zu­ma­chen. Oft geschieht genau bei die­sen aus­sen­ste­hen­den Per­so­nen eine inten­si­ve Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Unfass­ba­ren und Geheimnisvollen. 

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Bis wann muss man sich anmel­den und bis wann müs­sen die Model­le fer­tig sein?
Eine Anmel­dung erwar­ten wir bis zum 6. März an das katho­li­sche Pfarr­amt in Täge­rig. Am besten geschieht das über die Home­page: www.pastoralraum-mellingen.ch. Anschlies­send wird infor­miert, wo und wann das «Bau­ma­te­ri­al» abge­holt wer­den kann. Ein­zu­rei­chen sind die Model­le dann bis Ende Mai.

Nach wel­chen Kri­te­ri­en wer­den die Model­le bewer­tet?
Jeder Bau hat eine beson­de­re, eine eige­ne Spra­che. Bei Sakral­bau­ten ist es die Ver­bin­dung von Him­mel und Erde, das Inein­an­der­flies­sen von Mensch und Gott, von Pro­fan und Hei­lig. Kri­te­ri­en sind hier nicht Alt­her­ge­brach­tes, son­dern Ori­gi­nel­les, Neu­es, wo der Mensch zur Ruhe und zur Ein­kehr fin­det. Der Sakral­bau soll das aus­strah­len, wonach sich der Mensch im Letz­ten sehnt, nach dem Myste­ri­um, nach dem Einswer­den mit Gott. 

Wann und in wel­chem Rah­men erfolgt die Prä­mie­rung?
Noch hängt die Pan­de­mie-Glocke über uns. So bleibt im Moment vie­les unsi­cher. Was aber jetzt schon gesagt wer­den kann: Die Prä­mie­rung wird vor dem 26. Juni in einem wür­di­gen Rah­men stattfinden. 

Offen­bar inter­es­sie­ren Sie sich per­sön­lich sehr für Sakral­ar­chi­tek­tur
Ich sel­ber woll­te schon immer auch Archi­tekt wer­den. Lei­der muss­te ich dies ans Bein strei­chen. Die Begei­ste­rung für Archi­tek­tur aber blieb. Als ich dann 2018 in Locar­no eine Aus­stel­lung über Mario Bot­tas Sakral­bau­ten besuch­te, ent­flamm­te in mir die­ser Wunsch wie­der neu. Nun möch­te ich die­ses Feu­er für Sakral­bau­ten in vie­len Per­so­nen ent­fa­chen. Denn gera­de heu­te scheint es mir wich­tig zu sein, dass der Mensch sei­ne Spi­ri­tua­li­tät in einem Raum leben kann, der ihn per­sön­lich anspricht und ihm eine Gebor­gen­heit ver­mit­telt, wie es lei­der vie­le Kir­chen nicht mehr vermögen.

Wie sieht denn für Sie ein zeit­ge­mäs­ser Sakral­bau aus?
Ein Sakral­bau soll mich öff­nen für das, was ich nicht rich­tig benen­nen kann: das Unsicht­ba­re, das Grös­se­re, das Geheim­nis­vol­le. Und das Gebäu­de soll mich ein­la­den, wie über eine Brücke zu gehen, um so an das fer­ne Ufer zu gelan­gen, auch hin­ab­zu­stei­gen in das Dunk­le und Myste­riö­se, um dann end­lich dem Licht ent­ge­gen­zu­ge­hen, das alles über­strahlt und das mich auf­fängt in sei­ner Wär­me und Bewoh­nung. Im gei­sti­gen Auge sehe ich die­sen Sakral­bau vor mir. Wer weiss, viel­leicht auch Sie!

Gibt es denn Kir­chen, die man durch einen Neu­bau erset­zen soll­te?
Die Men­schen seh­nen sich, unge­ach­tet der kirch­li­chen Ent­frem­dung, nach Spi­ri­tua­li­tät. Und dafür braucht es Bau­ten, die der See­le Raum bie­ten und die nicht die glor­rei­chen Zei­ten der Kir­chen­ge­schich­te her­auf­be­schwö­ren. Schlich­te Räu­me, die aber das Wesent­li­che der Gott­su­che zum Aus­druck brin­gen: das Fas­zi­no­sum und Tre­men­dum, das Stau­nen und Erschau­dern. Inso­fern besteht aller­dings ein Bedürf­nis nach Zel­len des Sich-Fin­dens im Ewi­gen. Viel­leicht müss­te man tat­säch­lich mehr dar­über nach­den­ken, ob es noch Sinn macht, alte Kir­chen­bau­ten für teu­res Geld zu renovieren.

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Als vor zwei Jah­ren Not­re Dame in Paris abbrann­te, gab es im Anschluss hoch­flie­gen­de Plä­ne für zeit­ak­tu­el­le Anpas­sun­gen mit Stahl- und Glas Kon­struk­tio­nen. Alles wur­de wie­der ver­wor­fen. Es wird das Ori­gi­nal 1:1 rekon­stru­iert. Eine ver­ta­ne Chan­ce aus Ihrer Sicht?
Nein, da bin ich klar der Mei­nung, dass die­ser goti­sche Bau ein Juwel des Kirch­baus ist und in sei­ner histo­ri­schen Grös­se auf­er­ste­hen soll. Ich weiss natür­lich sehr wohl, dass jede kunst­ge­schicht­li­che Epo­che in die Kir­chen ein­drang, sei es die Gotik, die Renais­sance, der Barock, das Roko­ko oder der Klas­si­zis­mus. Schliess­lich woll­te man punk­ten und bei den Leu­ten sein. Für mich aber gibt es immer auch das Kri­te­ri­um der Stil­rein­heit nach dem Mot­to: Schu­ster, bleib bei dei­nem Lei­sten! Für mich hat das auch mit Respekt gegen­über frü­he­ren Gene­ra­tio­nen zu tun. Ich den­ke, bewah­ren und erneu­ern ist immer ange­sagt. Die Fra­ge ist nur, wo dies gesche­hen soll.

Andreas C. Müller
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