Lügen­for­schung mit der Leserschaft

  • Hori­zon­te lud sei­ne Lese­rin­nen und Leser ins neue Stap­fer­haus am Lenz­bur­ger Bahn­hof. 18 Inter­es­sier­te hat­ten sich ange­mel­det und genos­sen einen exklu­si­ven Rund­gang durch die neue Aus­stel­lung «Fake. Die gan­ze Wahr­heit» samt Apéro.
  • Anne Burg­mer von Hori­zon­te und Alain Glo­or vom Stap­fer­haus-Team beglei­te­ten die Leser­grup­pe durch die Räum­lich­kei­ten. Als Gast berich­te­te Bea­tri­ce Bucher vom Ver­ein der vom Zöli­bat betrof­fe­nen Frau­en (Zöf­ra) aus ihrem Leben an der Sei­te eines katho­li­schen Priesters.
 Für die Hori­zon­te-Leser­grup­pe wur­de das Aus­stel­lungs­the­ma rund um Lüge und Wahr­heit eigens mit kirch­li­chem Kon­text in Ver­bin­dung gebracht. «Die Kir­che hat Regeln pro­du­ziert, die dazu füh­ren, dass plötz­lich das Leben von Men­schen zu einem Lügen­ge­bil­de wird», mein­te Anne Burg­mer vor der ver­sam­mel­ten Grup­pe, als sie das Wort an Bea­tri­ce Bucher vom Ver­ein Zöf­ra über­gab.

Bezie­hung zum Prie­ster als Berg- und Talfahrt

«Ich habe mit einem katho­li­schen Prie­ster in einer Bezie­hung gelebt», begann Bea­tri­ce Bucher. Eine regel­rech­te Berg- und Tal­fahrt in ihrem Leben sei das gewe­sen – 12 Jah­re lang.«Nach dem Tod mei­nes ersten Man­nes hat­te er sich unre­gel­mäs­sig erkun­digt, wie es mir gehe. Wir kann­ten uns schon von frü­her her – er hat­te auch mich und mei­nen Mann getraut», erzähl­te Bea­tri­ce Bucher wei­ter. Man habe sich her­nach öfter getrof­fen und ganz lang­sam sei da eine beson­de­re Bezie­hung erwacht. Er habe stets gel­tend gemacht: «Ich darf das nicht — was nicht sein darf, gibt es nicht». Ein schlech­tes Gewis­sen habe er oft gehabt, denn er sei stets kor­rekt, auf­rich­tig und ehr­lich gewe­sen.

«Er konn­te ja nicht anders»

Gleich­wohl habe man zuein­an­der gefun­den, die Bezie­hung ver­steckt. «In den letz­ten 3 bis 4 Jah­ren unse­rer ver­steck­ten Bezie­hung habe ich ihn am Sonn­tag öfters gefah­ren, wenn er zu Aus­hilfs­got­tes­dien­sten unter­wegs war. Als Chauf­feu­se bin ich dann vor­ge­stellt wor­den», erin­nert sich die ZöF­ra-Vor­stands­frau. «Ich fand das schon schä­big, aber er konn­te ja nicht anders, denn er arbei­te­te als Leh­rer an einem Kol­le­gi­um. Wenn er als Prie­ster zu mir gestan­den wäre, hät­te man ihn gemel­det und er hät­te nicht mehr unter­rich­ten dür­fen.»Wäh­rend Jah­ren reif­te der Ent­schluss, zur Bezie­hung zu ste­hen. Nach Gesprä­chen mit den Ordens­obe­ren stand fest, «der Aus­tritt stand an. Den­noch, zwei Wochen vor die­sem Ter­min – Ein erneu­ter Rück­zie­her. Schatz, ich schaff das nicht», eröff­ne­te er ihr. Für Bea­tri­ce Bucher brach eine Welt zusam­men und sie konn­te vor­über­ge­hend nicht mehr arbei­ten. Auch er zog sich für eine Aus­zeit mit fach­li­cher Beglei­tung in ein Klo­ster zurück und kommt doch zu einem Ent­scheid: Für die Bezie­hung.

Mit­mi­schen in homöo­pa­thi­schen Dosen

Sicht­lich bewegt stell­ten die Anwe­sen­den Fra­gen: Wie das her­nach finan­zi­ell gegan­gen sei? Ob die­se gan­ze Geschich­te für Bea­tri­ce Bucher Aus­wir­kun­gen auf ihren Glau­ben und ihre Bezie­hung zur Kir­che gehabt habe? Sie sei schon eini­ge Male kurz davor gewe­sen, aus­zu­tre­ten, erklär­te Bea­tri­ce Bucher. «Wenn ich aber nicht dabei blei­be, kann ich auch nicht auf­ste­hen und für das ein­tre­ten, was mir wich­tig ist. Dann kann ich auch nicht mit­mi­schen», sagt sie.Ob sie denn wirk­lich glau­be, mit­mi­schen zu kön­nen, woll­te eine Lese­rin wis­sen. Bea­tri­ce Bucher hielt kurz inne, bevor sie ant­wor­te­te: «Ja – zumin­dest in homöo­pa­thi­schen Dosen.» Und ergänz­te dann: «An die Kir­che als Insti­tu­ti­on glau­be ich schon lan­ge nicht mehr, aber dar­an, dass die­ses Macht­ge­wächs von Män­nern irgend­wann zusam­men­bricht und sich etwas ändert.»

Wann sind Lügen okay?

Nebst die­sem nach­denk­lich stim­men­den Zugang zum Aus­stel­lungs­the­ma konn­te sich die Hori­zon­te-Leser­grup­pe aber auch sehr spie­le­risch mit der Bedeu­tung von Wahr­heit und Lüge aus­ein­an­der­set­zen. Als «Amt für die gan­ze Wahr­heit» ist die Aus­stel­lung in unter­schied­li­che Räu­me geglie­dert, in wel­chen die Besu­che­rin­nen und Besu­cher sich inter­ak­tiv mit dem The­ma aus­ein­an­der­set­zen kön­nen. «Ein Staat wie der uns­ri­ge funk­tio­niert ja nicht ohne Insti­tu­tio­nen», so Alain Glo­or vom Stap­fer­haus-Team. «So kamen wir dar­auf, die Aus­stel­lung als Amt auf­zu­bau­en.» Es sei aber kein gewöhn­li­ches Amt, son­dern eines, das sei­ne Besu­che­rin­nen und Besu­cher «braucht». Schliess­lich wol­le das Stap­fer­haus-Team mehr über die Bezie­hung der Men­schen zu Lüge und Wahr­heit erfah­ren und wer­tet an ver­schie­de­nen Sta­tio­nen die Inter­ak­tio­nen der Aus­stel­lungs­be­su­cher aus.In der «Zen­tra­len Lügen­an­lauf­stel­le» bei­spiels­wei­se lern­ten die Anwe­sen­den ver­schie­de­ne Lügen­ge­schich­ten ken­nen und durf­ten beur­tei­len, inwie­weit sie die geschil­der­ten Aus­flüch­te und Täu­schun­gen als tole­rier­bar betrach­te­ten. «Das habe ich auch gemacht», quit­tier­te unter ande­rem eine Hori­zon­te-Lese­rin eine Erzäh­lung, gemäss der ein jun­ges Mäd­chen beim Beich­ten dem Prie­ster nicht erzähl­te, was sie wirk­lich ange­stellt hat­te. «Das kann man machen». 

Flun­kern üben im Labor

Im «Labor für Lügen­er­ken­nung» durf­te man sich im Lügen ver­su­chen, bezie­hungs­wei­se dar­in, das Gegen­über beim Flun­kern zu ertap­pen. Die Auf­ga­be bestand dar­in, her­aus­zu­fin­den, ob das Gegen­über wahr­heits­ge­treu beschrieb, was auf einem Kärt­chen abge­bil­det ist?Eine Hori­zon­te-Lese­rin bekann­te, sie habe mit Lust gelo­gen. Das gebe sie gern zu, aber mit ihrem Namen wol­le sie nicht zitiert wer­den. Ob sie sich denn dafür schä­me, dass sie gern lüge? «Nein», lau­te­te die Ant­wort: «Aber dafür, es zuge­ben zu müs­sen.» Und wann darf man denn lügen? Um jeman­dem nicht weh zu tun, bekann­te Arlet­te Mar­ti aus Biber­stein, nach­dem sie den Lügen­de­tek­tor aus­pro­biert hat­te.«Megas­pan­nend» sei das alles gewe­sen, mein­te Moni­ka Schwe­re aus Ober­rohr­dorf zum Ende des Rund­gangs. «Vie­le lebens­na­he Geschich­ten». Sie wol­le bestimmt noch­mals in die Aus­stel­lung kom­men. «Am mei­sten bewegt hat mich der Vor­trag von Frau Bucher: Das war so berüh­rend und stark!» 
Andreas C. Müller
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