Lei­tung tei­len – Macht teilen
Limburger Dom
Bild: © pixabay.com

Lei­tung tei­len – Macht teilen

Im deutschen Bistum Limburg wurden in den letzten Jahren über 60 Massnahmen umgesetzt, um sexuellen Missbrauch zu verhindern. Peter Platen, Mitgestalter in der Bistumsleitung, erläutert den Prozess und die Resultate.

Wer spürt die Aus­wir­kun­gen der umge­setz­ten Mass­nah­men am deutlichsten?

Peter Pla­ten: Begon­nen bei der Lei­tung des Bis­tums über die kirch­li­che Ver­wal­tung bis zu den Haupt- und Ehren­amt­li­chen – alle. Wich­tig ist aller­dings, dass wir auch Betrof­fe­ne errei­chen und sie sich ermu­tigt füh­len, Kon­takt mit uns aufzunehmen.

Wo zeigt sich die Wir­kung im Alltag?

Zum Bei­spiel bei der Auf­stel­lung unse­rer Bis­tums­ku­rie, also der Lei­tungs­kräf­te. Hin­ter Miss­brauch ver­birgt sich nicht sel­ten der Miss­brauch von Auto­ri­tät. Wir haben eine Sen­si­bi­li­tät ent­wickelt für ein­sa­me Ent­schei­dun­gen und haben, wo es orga­ni­sa­to­risch mög­lich ist, geteil­te Lei­tun­gen ein­ge­setzt. Dies gilt auch für die Lei­tung des Bischöf­li­chen Ordi­na­ri­ats, den Gene­ral­vi­kar. An der Sei­te des Gene­ral­vi­kars steht aber kein zwei­ter Gene­ral­vi­kar, son­dern eine bischöf­lich bevoll­mäch­tig­te Person.

Wie sieht das beim Bischof aus?

Das funk­tio­niert so nicht (lacht).

War­um nicht?

Wir haben eine bischöf­lich ver­fass­te Kir­che. Dar­aus folgt, dass es den einen Bischof gibt, der an der Spit­ze der Diö­ze­se steht. Eine geteil­te Lei­tung ent­spricht nicht dem Amt und der Stel­lung des Bischofs und wür­de den Rah­men des­sen über­schrei­ten, was vom Kir­chen­recht her mög­lich ist. Die­sen Rah­men des Mög­li­chen ver­su­chen wir nach mei­ner Wahr­neh­mung im Bis­tum Lim­burg zu bespie­len. Die beson­de­re Stel­lung des Bischofs bedeu­tet aber nicht, dass der Bischof ein «ein­sa­mer Ent­schei­der» wäre. Der Bischof ist ein­ge­bun­den in den Rat und die Emp­feh­lung ver­schie­de­ner Gre­mi­en, in man­chen Fäl­len bedarf der Bischof sogar der Zustim­mung von Gre­mi­en, um sei­ner­seits han­deln zu können.

Peter Pla­ten

Der deut­sche katho­li­sche Theo­lo­ge ist eine der bei­den Lei­tungs­per­so­nen des Bereichs Auf­sicht und Recht sowie Kanz­ler der Kurie im deut­schen Bis­tum Lim­burg. An der Uni­ver­si­tät Mün­ster ist er als aus­ser­plan­mäs­si­ger Pro­fes­sor für Kir­chen­recht tätig.

Leitung teilen – Macht teilen - Lichtblick Römisch-katholisches Pfarrblatt der Nordwestschweiz 2
Peter Pla­ten © zVg

Wie wur­den die Mass­nah­men erar­bei­tet und umgesetzt?

Nach­dem 2018 die MHG-Stu­die ver­öf­fent­licht wor­den war, die alle deut­schen Bis­tü­mer betraf, gab es ein Fol­ge­pro­jekt im Bis­tum Lim­burg, bei dem in ver­schie­de­nen Teil­be­rei­chen über­legt wur­de, wel­che Kon­se­quen­zen die Ergeb­nis­se der Stu­die haben müss­ten. Bei der Abschluss­ver­an­stal­tung des Lim­bur­ger Fol­ge­pro­jek­tes hat unser Bischof auch vor anwe­sen­den Betrof­fe­nen ver­spro­chen: «Ich set­ze das um. Und wenn es nicht dem Buch­sta­ben nach geht, dann dem Gei­ste nach.» Bischof Bät­zing hat dann einen Beauf­trag­ten für drei Jah­re ein­ge­setzt, um die Pro­jekt­er­geb­nis­se zu imple­men­tie­ren. Er war der «Trei­ber», der uns allen sozu­sa­gen «Feu­er gemacht» hat. Es gab zudem ein aus­ge­zeich­ne­tes Pro­jekt­con­trol­ling, mit regel­mäs­si­gen Reportings in den Bis­tums­gre­mi­en, und es gab ein Ampel­sy­stem. Es war wirk­lich uner­freu­lich, wenn man selbst eine gel­be oder gar rote Ampel hin­ter sei­nem Pro­jekt­teil hat­te und gefragt wur­de: Wie kann das sein? Es gab die Not­wen­dig­keit, das zu erläutern.

MHG-Stu­­die

Die MHG-Stu­­die war ein For­schungs­pro­jekt, das sexu­el­len Miss­brauch in der römisch-katho­­li­­schen Kir­che in Deutsch­land erfass­te und unter­such­te. Die Stu­die wur­de 2018 ver­öf­fent­licht und ist benannt nach den betei­lig­ten Insti­tuts­stand­or­ten Mann­heim, Hei­del­berg und Giessen.

Das klingt nach viel Eigen­ver­ant­wor­tung. Brauch­te es nicht auch Rom?

Nein, wie­so? Wie gesagt, wir haben uns bei allem im Rah­men des gel­ten­den Rechts bewegt und die­sen Rah­men genützt und aus­ge­stal­tet. Man­che Vor­ha­ben erga­ben aller­dings Schnitt­men­gen mit dem syn­oda­len Weg in Deutsch­land, die­se konn­ten wir vor Ort nicht lösen.

Sie sind in der Bis­tums­ver­wal­tung als Kir­chen­recht­ler tätig. Haben Sie Anpas­sun­gen am Par­ti­ku­lar­recht vorgenommen?

Ja. Wir haben die Vor­ge­hens­wei­se bei Miss­brauchs­mel­dun­gen aus­ge­stal­tet und kon­kre­ti­siert, wir haben Anpas­sun­gen dar­an vor­ge­nom­men, wie unse­re Bis­tums­ku­rie auf­ge­stellt ist und wir haben etwa die Aus­bil­dungs­ord­nung für Prie­ster, Dia­ko­ne und pasto­ra­le Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter verändert.

Wie hat der Pro­zess die Rol­le des Bischofs verändert?

Dies kann und möch­te ich nicht beur­tei­len. Ich den­ke aber, dass wir grund­sätz­lich auf allen Ebe­nen ein höhe­res Bewusst­sein ent­wickelt haben, von ein­sa­men Lei­tungs­ent­schei­den wegzukommen.

Las­sen sich Mass­nah­men gegen Miss­brauch ergrei­fen, ohne die hier­ar­chi­sche Struk­tur zu verändern?

Wir haben die Ver­fas­sung der Kir­che nicht ver­än­dert in dem Mas­se, dass etwas anders wäre, als es im kirch­li­chen Gesetz­buch ermög­licht wäre. Dass man­ches anders gelebt wird, ist kei­ne Infra­ge­stel­lung der Auto­ri­tät, son­dern ein Zutrau­en an ande­re, eben­falls Ver­ant­wor­tung wahr­zu­neh­men. Unmiss­ver­ständ­lich bleibt das Gan­ze rück­ge­bun­den an den Bischof, die Rechts­kraft von Ent­schei­den hängt von der Zustim­mung des Bischofs ab. Aber im Nor­mal­fall wird der Letzt­ver­ant­wort­li­che gut bera­ten sein, dem pro­fun­den Votum eines Krei­ses Ver­ant­wort­li­cher zu folgen.

Man­che argu­men­tie­ren, dass auf die­sem Weg alte Reform­wün­sche «durch die Hin­ter­tü­re» doch noch durch­ge­setzt würden.

Es gibt den – wie ich fin­de – bösen Vor­wurf, der­ar­ti­ge Pro­zes­se sei­en eine Instru­men­ta­li­sie­rung von Miss­brauch zu eige­nen kir­chen­po­li­ti­schen Zwecken. Gleich­wohl muss man vor-sich­tig sein: Wenn etwa in der MHG-Stu­die Risi­ko­fak­to­ren benannt wer­den, dann dür­fen die­se nicht ein­fach mit Ursa­chen für Miss­brauch gleich­ge­setzt wer­den. Der Zöli­bat ist zum Bei­spiel ein Risi­ko­fak­tor, das heisst aber nicht, dass er im Sinn einer stren­gen Kau­sa­li­tät eine Ursa­che für Miss­brauch ist. Dar­über hin­aus ist es wich­tig, dass wir nicht nur über Betrof­fe­ne reden, son­dern vor allem auch mit Betrof­fe­nen. Die­se haben, davon bin ich über­zeugt, ein waches Gespür dafür, ob es tat­säch­lich um Mass­nah­men geht, die hof­fent­lich zukünf­tig Miss­brauch ver­hin­dern – oder ob ande­re Agen­den ver­folgt werden.

«Mass­nah­men gegen Miss­brauch. Ein Jahr nach der Pilotstudie»

Anläss­lich des ersten Jah­res­tags der Ver­öf­fent­li­chung der Miss­brauchs­stu­die in der Schweiz kommt Peter Pla­ten nach Zürich für ein Podi­ums­ge­spräch in der Pau­lus Akademie.

Peter Pla­ten im Gespräch mit Ste­fan Lopp­a­cher, Lei­ter der natio­na­len Dienst­stel­le «Miss­brauch im kirch­li­chen Kon­text», mit der Betrof­fe­nen Vre­ni Pete­rer und mit Lea Hol­len­stein von der Zür­cher Hoch­schu­le für ange­wand­te Wissenschaften.

Das Podi­um: «Mass­nah­men gegen Miss­brauch. Ein Jahr nach der Pilot­stu­die» fin­det am Don­ners­tag, 12. Sep­tem­ber, von 18.30 bis 20.00 Uhr statt in der Pau­lus Aka­de­mie in Zürich statt.

Mode­ra­ti­on: Vero­ni­ka Jehle

Hier kön­nen Sie sich für die Ver­an­stal­tung anmelden.

 

Leitung teilen – Macht teilen - Lichtblick Römisch-katholisches Pfarrblatt der Nordwestschweiz 1
Bau­stel­le © iStock – Dani­el Avram

Was haben Sie aus all den Anstren­gun­gen gelernt?

Die Pro­jekt­orga­ni­sa­ti­on ist ent­schei­dend, um nicht irgend­wann die Zie­le aus den Augen zu ver­lie­ren. Bestimmt braucht es neben dem Bischof, der unver­zicht­bar ist, ein wirk­li­ches Com­mit­ment der Ver­ant­wort­li­chen. Im Bis­tum Lim­burg haben auch die Ehren­amt­li­chen eine wich­ti­ge Stel­lung. Wir haben hier eine beson­de­re syn­oda­le Ver­fasst­heit im Rah­men des gel­ten­den Kir­chen­rechts. So wur­de das Pro­jekt beauf­tragt vom Bischof zusam­men mit der dama­li­gen Prä­si­den­tin der Diö­ze­san­ver­samm­lung. Dadurch wur­de von Anfang an deut­lich, dass dies hier kein ein­sa­mes Vor­ha­ben des Bischofs ist, son­dern das Bis­tum als Gan­zes betrifft.

Haben Sie auch Feh­ler gemacht?

Die Arbeits­last war mit­un­ter grenz­wer­tig, was dazu führ­te, dass teil­wei­se auch die Bereit­schaft zurück­ge­gan­gen ist. Es braucht daher von Anfang an einen wachen Blick dafür, was von den per­so­nel­len und finan­zi­el­len Res­sour­cen her mach­bar ist und was nicht.

Wie haben ande­re Bis­tü­mer auf die­sen Pro­zess reagiert?

Hier kann ich nur von per­sön­li­chen Wahr­neh­mun­gen spre­chen. Über­all dort, wo ich davon berich­tet habe, habe ich durch­aus Aner­ken­nung wahr­ge­nom­men, viel­leicht auch mit dem Unter­ton: «Seid ihr eigent­lich wahn­sin­nig?» (lacht). Auch wenn jedes Bis­tum ande­re Her­aus­for­de­run­gen hat, wird natür­lich ein Stück weit die Lat­te hoch gelegt, nach dem Mot­to: Wie­so geht das bei uns nicht? Auch an die­sem Punkt bin ich vor­sich­tig. Man muss schau­en, was die spe­zi­fi­schen Vor­aus­set­zun­gen sind, und es lässt sich nicht ein­fach 1:1 kopieren.

Im Bis­tum Lim­burg wur­de eini­ges erreicht. Was ist als näch­stes dran?

Als Kir­chen­recht­ler wür­de ich es begrüs­sen, wenn das Anlie­gen der regio­na­len Ver­wal­tungs­ge­richts­bar­keit end­lich mit Leben erfüllt wür­de. Hier­bei geht es um einen gericht­li­chen Rechts­schutz gegen Mass­nah­men der kirch­li­chen Ver­wal­tung: Wenn zum Bei­spiel ein Bischof bei der Auf­he­bung einer Pfar­rei das Kir­chen­recht nicht beach­ten wür­de, lies­se sich die­ses Gericht anru­fen. Ich erwar­te gar nicht, dass ein der­ar­ti­ges Gericht so viel zu tun hät­te – doch dürf­te allein das Vor­han­den­sein einer Instanz, wel­che die Regel­be­fol­gung der kirch­li­chen Ver­wal­tung ins Auge neh­men kann, bereits einen Bei­trag dazu lei­sten, wie Auto­ri­tät in der Kir­che aus­ge­übt wird. Aus­ser­dem wäre es not­wen­dig, spe­zia­li­sier­te Gerich­te für kirch­li­che Straf­ver­fah­ren zu haben, wie es in Frank­reich und in Eng­land und Wales bereits der Fall ist und auch für die Schweiz ange­strebt wird. Wie die bei­den zuvor genann­ten Punk­te besteht ein wei­te­res Anlie­gen der deut­schen Bischö­fe dar­in, eine Dis­zi­pli­nar­ord­nung für Kle­ri­ker ein­zu­füh­ren, die es erlau­ben wür­de, Dienst­ver­ge­hen mit Dis­zi­pli­nar­mass­nah­men wirk­sam zu sank­tio­nie­ren. Die­se drei Punk­te umzu­set­zen, wäre tat­säch­lich sehr hilfreich.

Veronika Jehle
mehr zum Autor
nach
soben