Lebens­lang verbunden

Seit 1992 tref­fen sich ein­mal jähr­lich die ehe­ma­li­gen Aar­gau­er Mit­glie­der von Jung­wacht und Jung­mann­schaft. Die­ses Jahr erzähl­ten die Jung­wäch­ter einer akti­ven Blau­ring­lei­te­rin, wor­über sie heu­te noch lachen und was die Jung­wacht sie fürs Leben gelehrt hat.Anfangs der 1970er-Jah­re in Muri: Kam dem Pöst­ler ein Brief in die Hän­de, der etwas mit «Jugend» zu tun hat­te, warf er die­sen kur­zer­hand in den Brief­ka­sten der Fami­lie Vil­li­ger. Denn Gui­do Vil­li­ger war damals Schar­lei­ter der Jung­wacht Muri, sei­ne Schwe­ster Schar­lei­te­rin im Blau­ring und sein Bru­der Lei­ter des Jugend­fo­rums. Heu­te ist Gui­do Vil­li­ger frisch pen­sio­niert. Noch immer ist er mit der Jung­wacht ver­bun­den und nimmt an den Ehe­ma­li­gen­tref­fen teil. Die­se bestehen jeweils aus einem kul­tu­rel­len Teil, Got­tes­dienst und Nacht­es­sen und fin­den seit 26 Jah­ren an wech­seln­den Orten im Aar­gau statt. Zuletzt ver­gan­ge­ne Woche in Wis­li­kofen.

Der Nach­wuchs fehlt

Mit sei­nen 65 Jah­ren gehört Gui­do Vil­li­ger zu den jun­gen Teil­neh­mern. Die mei­sten Ehe­ma­li­gen sind zehn bis zwan­zig Jah­re älter. Seit Peter Bir­cher aus Wölf­lins­wil, ehe­mals Sekre­tär der Lan­des­kir­che und Natio­nal­rat, im Jahr 1991 das Tref­fen initi­ier­te und 600 Adres­sen sam­mel­te, schrumpft die Adress­kar­tei. Laut Peter Mei­er, der das Tref­fen in den letz­ten zehn Jah­ren orga­ni­sier­te, fehlt der Nach­wuchs. Dabei wäre der Aus­tausch zwi­schen den Gene­ra­tio­nen für bei­de Sei­ten span­nend, wie das Bei­spiel von Hori­zon­te zeigt.

Auf der glei­chen Wellenlänge

Vis-à-vis von Gui­do Vil­li­ger sitzt näm­lich Dina Holen­stein. Die 18-jäh­ri­ge Kan­tons­schü­le­rin ist Lei­te­rin in der Jub­la Bad Zurz­ach und im Auf­trag von Hori­zon­te nach Wis­li­kofen gekom­men, um von den ehe­ma­li­gen Jung­wäch­tern zu erfah­ren, wie’s frü­her war. Eine kur­ze gegen­sei­ti­ge Vor­stel­lung, schon ent­spinnt sich ein Gespräch über Solas, Höck und Grup­pen­stun­den. Man spricht die glei­che Spra­che und ist auf einer ähn­li­chen Wel­len­län­ge, trotz fast fünf­zig Jah­ren Alters­un­ter­schied.

Haus statt Zelt

Die Tisch­run­de um Dina Holen­stein fin­det vie­le Gemein­sam­kei­ten. In den Grup­pen­stun­den hät­ten sie Gelän­de­spie­le gemacht, gewer­kelt, Mor­sen geübt, gesun­gen und Fuss­ball gespielt, erzäh­len die Ehe­ma­li­gen. Ganz ähn­lich kennt Dina Holen­stein es von ihrer Schar. Aber sie erfährt auch Über­ra­schen­des. So ruft Gui­do Vil­li­ger beim Stich­wort Zelt­la­ger: «Ich hät­te mich gewei­gert, ein Zelt­la­ger zu machen!» Auch die ande­ren berich­ten, dass sie vor allem Haus­la­ger orga­ni­siert hät­ten. Weil zu die­ser Zeit der Schar­lei­ter alles allein stemm­te, wäre der Auf­wand für ein Zelt­la­ger zu gross gewe­sen. Dina Holen­stein kennt Zelt­la­ger aus eige­ner Erfah­rung. In ihrer Schar tei­len sich meh­re­re Per­so­nen die Schar- und Lager­lei­tung und Ehe­ma­li­ge hel­fen beim Auf­bau des Lagers.

Bitt­gän­ge und Maiandachten

Ein wei­te­rer Unter­schied gegen­über frü­her zeigt sich in der Bin­dung an die Kir­che. Obwohl auch ihre Schar Pal­men bin­det und am Pfar­rei­le­ben Anteil nimmt, staunt Dina Holen­stein über die Erzäh­lun­gen der Ehe­ma­li­gen. Der 74-jäh­ri­ge Oth­mar Staub­li erin­nert sich, wie er mit der Jung­mann­schaft mehr­mals im Jahr von Muri aus Bitt­gän­ge unter­nahm. Nach Bein­wil, Ari­stau und Mer­en­schwand sei­en sie gepil­gert. Auch die Mai­an­dach­ten zusam­men mit dem Blau­ring fal­len eini­gen Jung­wäch­tern wie­der ein. Aber nicht nur inner­halb der Jung­wacht habe die­se Ver­bin­dung zur Kir­che an Stär­ke ver­lo­ren, son­dern ganz all­ge­mein in unse­rer Gesell­schaft, gibt jemand am Tisch zu beden­ken.

Juck­pul­ver im Pyjama

Schon frü­her waren die Som­mer­la­ger Jah­res­hö­he­punkt. Toni Zei­er, vor fünf­zig Jah­ren Lei­ter in der Jung­wacht Mel­lin­gen, hat das Som­mer­la­ger «Der Schatz im Schwarz­see» in bester Erin­ne­rung. «Es hat­ten sich so vie­le Kin­der ange­mel­det, dass ich mit dem Auto schon mal vor­aus fuhr und im Mas­sen­schlag mit Krei­de mar­kier­te, wer wie viel Platz brau­chen darf.», erin­nert sich der 73-Jäh­ri­ge. Lobend erwähnt er den «wun­der­ba­ren Prä­ses», den Pfar­rer, der sich beim Nacht­ge­län­de­spiel mit Ketch­up ein­strei­chen liess. Die Kin­der fie­len dar­auf her­ein und mein­ten, der Pfar­rer sei blut­über­strömt. Nach­dem sie den Schreck ver­daut hat­ten, räch­ten sie sich – wie­der mit Hil­fe des Pfar­rers. Sie streu­ten den Lei­tern Juck­pul­ver in die Pyja­mas. Nachts im Wasch­raum tra­fen sich die Geplag­ten, um sich zu «ent­juck­pul­ve­ri­sie­ren», wie Toni Zei­er mit schal­len­dem Lachen berich­tet.

Wert­vol­le Unbeschwertheit

Doch auch brenz­li­ge Situa­tio­nen gab es. Gui­do Vil­li­ger fal­len auf Anhieb eini­ge ein. Die Berg­wan­de­rung über den Gem­mi­pass, wo beim mor­gend­li­chen Auf­bruch plötz­lich Schnee lag. Oder die Wan­de­rung über einen schma­len Berg­grat, wo der jun­ge Lei­ter alle Buben hiess, sich an einem Seil fest­zu­hal­ten. Und ein­mal bei der Papier­samm­lung geriet der Trak­tor mit dem vol­len Anhän­ger berg­ab auf einer Kies­stras­se ins Rut­schen, tou­chier­te eine Tele­fon­stan­ge und warf Papier und Buben in hohem Bogen ins Gras. Gui­do Vil­lig­ers Fazit: «Es pas­siert – auch heu­te — sel­ten etwas Schlim­mes, obwohl ja alle Lei­ter Jugend­li­che sind.» Aber gera­de die­se jugend­li­che Unbe­schwert­heit der Lei­ten­den kön­ne für Kin­der wert­voll sein – frü­her genau­so wie heu­te.

Hin­ste­hen und Far­be bekennen

Wert­voll war die Jung­wacht­zeit auch für die ehe­ma­li­gen Lei­ter. Toni Zei­er wird ernst: «Als Jung­wacht­lei­ter habe ich gelernt, hin­zu­ste­hen und Ver­ant­wor­tung zu tra­gen.» Auch habe ihn der Umgang mit den Buben gelehrt, dass er Vor­bild ist und Far­be beken­nen muss: «Die Kin­der stel­len direk­te Fra­gen. Da muss man als Lei­ter zu sich und sei­ner Mei­nung ste­hen.» So habe ihm die Jung­wacht­zeit im spä­te­ren Leben immer wie­der Türen geöff­net.

Ein jun­ger Bur­sche auf Hausbesuch

Auch die Kin­der lern­ten fürs Leben. Toni Zei­er erin­nert sich, dass ein Leh­rer aus dem Dorf ihn und sei­ne  Jung­wacht­grup­pe ein­mal im Wald besuch­te, als ein Jun­ge aus des­sen Klas­se gera­de sei­nen Jung­wachtgspänd­li das Mor­sen erläu­ter­te. Der Leh­rer, so Toni Zei­er, sei vor lau­ter Stau­nen fast vom Stüeh­li gefal­len, als er sah, wie sein sonst so scheu­er Schü­ler die­se Auf­ga­be mei­ster­te. Auch erin­nert sich Toni Zei­er schmun­zelnd, wie er als jun­ger Lei­ter die Eltern sei­ner Grup­pen­mit­glie­der zu Hau­se besuch­te. Für ein Eltern­ge­spräch. «Ich habe mich mit ihnen hin­ge­setzt und gesagt, was mir an ihrem Buben gefällt, was mir auf­ge­fal­len ist und was nicht so gut läuft…». Er schüt­telt den Kopf und wun­dert sich über sich sel­ber: «Dass ich mich das getraut habe! Ich war ein Ange­fres­se­ner!».

Lebensfreu(n)de

In der Prop­stei Wis­li­kofen folgt noch man­che Epi­so­de aus ver­gan­ge­nen Tagen, manch­mal beglei­tet von der scherz­haf­ten War­nung: «Das dür­fen Sie auf kei­nen Fall schrei­ben!» Die Stim­mung ist hei­ter und der Umgang unter den Ehe­ma­li­gen herz­lich. Es macht ganz den Anschein, dass das Mot­to des 2007 gegrün­de­ten offi­zi­el­len Ehe­ma­li­gen­ver­eins von Jung­wacht Blau­ring Schweiz ins Schwar­ze trifft: Lebensfreu(n)de!
Marie-Christine Andres Schürch
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