Leben weitergeben – auf vielfältige Weise
Genesis 30, 1–8Als Rahel merkte, dass sie Jakob keine Kinder gebären konnte, wurde sie eifersüchtig auf ihre Schwester und sagte zu Jakob: «Verschaff mir Kinder! Wenn nicht, dann will ich sterben.» Da entbrannte der Zorn Jakobs auf Rahel und er sagte: «Bin ich etwa anstelle der Gottheit, die dir Kinder vorenthält?» Sie sagte: «Sieh, da ist meine Sklavin Bilha. Geh zu ihr, dann wird sie auf meinen Knien gebären und ich werde durch sie aufgebaut.» Sie gab ihm ihre Sklavin Bilha zur Frau und Jakob ging zu ihr. Da wurde Bilha schwanger und gebar dem Jakob einen Sohn. Rahel aber sprach: «Recht hat mir die Gottheit verschafft, sie hat auch auf meine Stimme gehört und mir einen Sohn gegeben.» Deswegen gab sie ihm den Namen Dan, ‹Richter›. Noch einmal wurde Bilha, die Sklavin Rahels, schwanger und gebar einen zweiten Sohn für Jakob. Und Rahel sprach: «Kämpfe Gottes habe ich gekämpft mit meiner Schwester und habe es auch gekonnt!» Und sie gab ihm den Namen Naftali, ‹Kampf›.Bibel in gerechter Sprache Leben weitergeben – auf vielfältige Weise
Kämpfe haben sie wahrhaft ausgefochten, die Frauen des Ersten Testaments, die Mütter des Volkes Israel, die Ehefrauen der Patriarchen. Sara, Rebekka, Rahel, Lea. Wie auch die Sklavinnen Hagar, Bilha und Silpa. Von ihnen stammen die zwölf Stämme Israels ab und damit auch Jesus. Diese Frauen waren eingebunden in die patriarchalische Gesellschaft, die ihnen als einzige Aufgabe das Heiraten und Kinderkriegen (natürlich Söhne) zugestand.Wie dramatisch es für die Frauen war, wenn sie unfruchtbar waren, zeigen die Geschichten von Sara und Rahel. Wie Sara wurde auch Rahel nicht schwanger, während Lea, ihre Schwester und Mit-Frau Jakobs, einen Sohn nach dem anderen zur Welt brachte. Trost fand Rahel darin, dass Jakob sie mehr liebte als Lea: Er hatte sich Hals über Kopf in sie verliebt, als er sie das erste Mal am Brunnen sah, hatte sieben Jahre bei ihrem Vater um sie gedient – und bekam bei der Hochzeit die ältere Schwester Lea untergeschoben, da es nicht anging, die jüngere Tochter vor der Älteren zu verheiraten. Rahel durfte er dann erst im zweiten Anlauf heiraten.Es war schwer für Rahel mitzuerleben, dass ihre Schwester Kinder bekam und sie nicht. Gründe für Eifersucht, Streit und Familienzwist. Und wenn dann die Sklavinnen auch noch einbezogen sind, Kinder zur Welt bringen, sind Konflikte unvermeidlich. Da war Beziehungsfähigkeit gefragt. Und so sagt Rahel: «Kämpfe Gottes habe ich gekämpft mit meiner Schwester und habe es auch gekonnt.» Sie sieht Gott an ihrer Seite, nachdem ihr durch ihre Sklavin ein Sohn geboren wurde, so fragwürdig und abwertend für Frauen (und auch für Männer) dieses System auch war. Ihr Wunsch war es, fruchtbar zu sein – auf die Art, wie es damals Frauen eben möglich war, fruchtbar zu sein: indem sie Kinder bekamen.Heute ist uns auf andere Weise möglich, fruchtbar zu sein. Je nach unseren Möglichkeiten und Talenten Leben weiterzugeben. Im Beruf, im freiwilligen Engagement. Zum Glück sind wir nicht mehr so eingebunden und eingesperrt in Konventionen und Vorschriften. Wir dürfen uns entfalten, unsere Talente entwickeln. Wir müssen meist nicht mehr in die Fussstapfen des Vaters treten und die Firma übernehmen, wenn wir doch ganz andere Interessen und Fähigkeiten haben. Weder Frauen noch Männer.Fruchtbar sein. In Beziehung sein zu Gott und den Menschen. Die eigenen Fähigkeiten entfalten, zum Blühen bringen, einsetzen für das, was Freude macht, was Erfüllung und Befriedigung bringt. Und zum Leben beitragen. Rahel, Lea, Rebekka und Sara, die Stammmütter, haben damals auf ihre Weise dazu beigetragen, dass Leben weitergegeben wird. Wir tun dies heute auf unsere Weise.
Dorothee Becker
Theologin und Seelsorgerin,
Gemeindeleiterin der Pfarrei St. Franziskus, Riehen-Bettingen