
Konzernverantwortung 2.0: Wie politisch darf Kirche sein?
Wieder werden Unterschriften gesammelt, um international tätige Schweizer Konzerne zur Einhaltung von Menschenrechten zu verpflichten. Das weckt Erinnerungen an hitzige Debatten über das politische Engagement von Kirchen, ausgelöst durch Fahnen an Kirchtürmen. Ein Rückblick und erste Ausblicke.
Dieser Beitrag erschien zuerst im «pfarrblatt» Bern.
Die Konzernverantwortungsinitiative (KVI) nimmt einen neuen Anlauf: Seit dem 7. Januar werden Unterschriften gesammelt. Ziel ist es, die für eine Initiative nötigen 100’000 in Rekordzeit, nämlich innert 30 Tagen zusammenzubringen. «Mit der Rekordsammlung möchten wir ein starkes Zeichen an die Politik senden und zeigen, dass sich Tausende Menschen in einer breiten Bewegung in der Schweiz dafür engagieren, dass Konzerne endlich für Menschenrechte und Umweltzerstörung gerade stehen müssen», begründet die «Koalition für Konzernverantwortung» auf Anfrage des «pfarrbatt» die Eile.
Altes Anliegen, neue Voraussetzungen
Das Kernanliegen ist das gleiche wie bei der ersten Initiative. Diese scheiterte im November 2020 am Ständemehr, das Volk hätte sie knapp angenommen (50,7 Prozent Ja- zu 49,3 Nein-Stimmen). Die Ausgangslage ist 2025 allerdings eine andere: Im Mai letzten Jahres hat die EU eine Sorgfaltsrichtlinie eingeführt, wonach Unternehmen auch für Menschenrechtsverstösse ihrer Tochterfirmen haften. Von einem Alleingang der Schweiz, wie die Gegner/innen der Vorlage 2020 argumentierten, kann also heute keine Rede mehr sein. Neu ist ausserdem, dass kleine und mittlere Unternehmen (KMU) von der Initiative explizit ausgeschlossen sind. (siehe Infobox)
Kirchliches Engagement weckte Unmut
2020 engagierten sich zahlreiche kirchliche Einzelpersonen, Organisationen, Kirchgemeinden und Pfarreien für die Initiative, darunter auch der Basler Bischof Felix Gmür. Die kirchlichen Kräfte waren auf der Website «Kirche für Konzernverantwortung (KVI)» gebündelt. An vielen Kirchtürmen, auch in der Region Bern, hingen Fahnen mit der Ja-Parole zur Abstimmung.
Dies weckte den Unmut sowohl christlicher Gegner/innen als auch bürgerlicher Politiker/innen. Es formierte sich ein «Ethik-Komitee gegen die KVI». Die Luzerner Ständerätin Andrea Gmür (heute Mitte, damals CVP), Schwägerin des Bischofs, initiierte einen «Offenen Brief an die Kirchen», unterzeichnet von «christlichen Frauen aus der ganzen Schweiz». Hauptkritikpunkt des Schreibens: Durch die klare Parteinahme vieler kirchlicher Player werde suggeriert, dass Gegner/innen der Initiative weniger gute Christen/innen seien.
Politik will Kirchen zu Neutralität verpflichten
Die Emotionen kochten auch in der Politik hoch. Kurz vor der Abstimmung vom 29. November 2020 reichten Jungfreisinnige aus vier Kantonen, darunter Bern, eine Stimmrechtsbeschwerde beim Bundesgericht ein: Die Kirchen als öffentlich-rechtliche Körperschaften seien zur politischen Neutralität verpflichtet. In seiner Antwort vom April 2021 ging das Gericht nicht auf die Beschwerde ein, weil die Abstimmung bereits vorüber war.
Allerdings hielt das Gericht fest, dass «ein gewisses Interesse an der Klärung der Zulässigkeit von Interventionen von Landeskirchen und Kirchgemeinden im Vorfeld von Volksabstimmungen besteht». Die Frage der Zulässigkeit könne aber nur geprüft werden, wenn sich die kirchlichen Interventionen tatsächlich auf den Ausgang der Abstimmung ausgewirkt hätten. Dies sei nicht der Fall gewesen. Die Jungfreisinnigen drohten dennoch mit erneuten rechtlichen Schritten, wenn die öffentlich-rechtlich anerkannten Kirchen aus dem Abstimmungskampf über die KVI keine Lehren ziehen wollten.
Maulkorb für die Kirchen knapp verhindert
Auch im Kanton Bern ging die Debatte weiter. Mit nur einer Stimme Differenz scheiterte an der Herbstsession vom September 2024 ein Antrag im Berner Kantonsparlament. Dieser hatte gefordert: Die Kirchen hätten «sich politisch neutral zu verhalten und insbesondere keine Abstimmungs- oder Wahlempfehlungen öffentlich kundzutun». SVP-Kantonsrat Hans Schori nahm in seinem Votum explizit Bezug auf die KVI . Das knappe Resultat zeigt, dass die Frage, ob und in welcher Form Kirchen sich politisch engagieren dürfen, die Gemüter nach wie vor bewegt.
In Anbetracht dieser Debatten erstaunt es, dass eine Vox-Analyse des GFS Bern zur Abstimmung vom November 2020 kaum medialen Widerhall fand. Dabei zeigte sie, dass Konfessionslose eher für die Konzernverantwortungsinitiative (62%) stimmten als Kirchenmitglieder (45%). Ein möglicher Effekt wurde allein bei praktizierenden Reformierten festgestellt: 68 Prozent derjenigen, die mindestens einmal pro Monat einen Gottesdienst besuchten, hätten ja gestimmt. Bei Katholiken/innen sei kein solcher Effekt erkennbar (40% Zustimmung), so die Untersuchung.
Hilfswerke fordern politische Kirche
Dass Kirche dennoch politisch sein will, zeigt die Mitwirkung vieler kirchlicher Organisationen in der «Koalition für Konzernverantwortung» auch in der Neuauflage 2025. Caritas Schweiz, Fastenaktion, der Schweizerische Katholische Frauenbund, Justitia et Pax, Heks und andere sind hier aufgeführt. Bernd Nilles, Geschäftsführer von Fastenaktion, begrüsst das kirchliche Engagement bei der Unterschriftensammlung sehr, «denn jede Stimme, die sich für die Schwächsten auf der Erde einsetzt, ist eine wichtige Stimme», sagt er gegenüber dem «pfarrblatt». Für das katholische Hilfswerk geht es um ein Kernthema seiner Tätigkeit: «Immer wieder kommt es vor, dass Menschen im Globalen Süden durch Aktivitäten von Konzernen von ihren Feldern vertrieben, ausgebeutet und in ihrer Existenz bedroht werden», so Nilles.
Eine Plattform «Kirche für KVI» sei seines Wissens in der aktuellen Phase nicht geplant, zumal auch eine Lösung über einen Gegenvorschlag denkbar sei, sodass es vielleicht gar nicht zur Abstimmung komme.
«Wir heissen nicht nur «Iustitia et Pax», also Gerechtigkeit und Frieden, sondern das ist unser Auftrag», begründet Wolfgang Bürgstein, Generalsekretär der bischöflichen Kommission «Justitia et Pax», deren Engagement. «Die Menschenrechte gelten überall, warum sollen ausserhalb der Schweiz andere Massstäbe gelten als in der Schweiz?» Die Frage, ob Kirchen sich politisch engagieren sollen, bejaht er klar. «Ob Banner an Kirchtürmen die richtige Form dafür sind, müssen die Leute vor Ort, in den Kirchgemeinden und Pfarreien entscheiden.»
Über Fahnen am Kirchturm wird demokratisch entschieden
Edith Zingg, Gemeindeleiterin der Berner Pfarrei Ostermundigen, hatte sich 2020 mit ihrer Pfarrei für ein Ja zur KVI stark gemacht. Am dortigen Kirchturm hing die Ja-Parole. «Meine Grundhaltung zu dieser Initiative hat sich nicht verändert. Ich engagiere mich weiterhin dafür und werde in der Pfarrei sicher Unterschriftenbögen auflegen», sagt sie auf Nachfrage.
Aus ihrer Sicht muss die Kirche auch politisch sein. «Das darf man hören und sehen, zum Beispiel mit Fahnen vom Kirchturm.» Letzteres wäre allerdings eine demokratische Entscheidung von Team und Kirchgemeinderat, sagt Zingg. Für sie ist klar: «Wir können nicht nur «Pflästerlipolitik» betreiben und für «Arme spenden», sondern müssen auch die Ursachen von Ungerechtigkeiten angehen. Genau das will diese Initiative».
Diskussionskultur fördern
Für die Landeskirche Bern ist die Initiative bislang kein Thema, wie Marie-Louise Beyeler, Präsidentin des Landeskirchenrats, mitteilt. Seitens der Landeskirche werde es auch keine Empfehlung zuhanden der Kirchgemeinden geben, wie diese sich verhalten sollen.
Auf reformierter Seite hatte sich EKS-Präsidentin Rita Famos im Nachklang zur Initiative selbstkritisch zu Predigten und Fahnen mit Ja-Parolen gezeigt. Diese Haltung wird auch jetzt spürbar: Die EKS unterstütze das Grundanliegen der Initiative, teilt die EKS auf Nachfrage des «pfarrblatt» mit. «Wir wollen nicht einfach politische Parolen, sondern auch eine lernbereite und offene Diskussionskultur bei den Reformierten fördern». Der Fokus liege darauf, den «Dialog zwischen Unternehmen, Politik und Gesellschaft zu fördern, um verantwortungsvolles Handeln zu stärken.» Am 21. Januar wird der Rat der EKS das Thema diskutieren.
Freiwillige Kirchensteuer für Unternehmen?
Die kirchliche Vorsicht beim zweiten Anlauf der KVI ist nicht unbegründet. Hintergrund sind Bestrebungen, die Kirchensteuer für Unternehmen abzuschaffen. Im Berner Kantonsparlament, dem Grossen Rat prüft der Regierungsrat derzeit die Folgen, wenn diese Steuern freiwillig würden.
Das Postulat, ursprünglich eine Motion, geht zurück auf FDP-Grossrat Carlos Reinhard, es wurde mit grosser Mehrheit angenommen. Laut Reinhard geht es um einen Betrag von rund 40 Millionen Franken, aufgeteilt auf die drei Landeskirchen. Zu einer allfälligen kirchlichen Unterstützung der neuen KVI hat Reinhard eine klare Meinung:
«Wenn die Kirchen sich politisch einseitig einmischen, dann sollen diese Organisationen auch auf Zwangssteuern verzichten», sagt er auf Anfrage des «pfarrblatt». Reinhard erwartet, dass sein Postulat noch dieses Jahr in den Grossen Rat kommen wird. Es dürfte somit für die Kirchen im Kanton Bern ein politisch spannendes Jahr werden.
Die neue Konzernverantwortungsinitiative will international tätige Konzerne mit Sitz in der Schweiz dazu verpflichten, dass sie und ihre Tochterfirmen im Ausland Menschenrechte und Umweltstandards einhalten. Dies gilt für Unternehmen mit mehr als 1000 Angestellten und einem Umsatz von 450 Millionen Franken.
KMU sind von dieser Sorgfaltspflicht ausgenommen. Eine unabhängige Aufsicht soll die Einhaltung dieser Sorgfaltspflicht überprüfen. Die Unternehmen und von ihnen kontrollierte Firmen haften für Schäden, die sie verursachen. Betroffene sollen dies vor einem Schweizer Zivilgericht einklagen können. Die Sammelfrist dauert bis am 7. Juli 2026.