Kör­per­pfle­ge als Zei­chen der Menschenwürde

Kör­per­pfle­ge als Zei­chen der Menschenwürde

Mar­kus 14,3–9Als Jesus in Beta­ni­en im Haus Simons des Aus­sät­zi­gen zu Tisch war, kam eine Frau  mit einem Ala­ba­ster­ge­fäss voll ech­tem, kost­ba­rem Nar­den­öl, zer­brach es und goss das Öl über sein Haupt. … Jesus aber sag­te: … Auf der gan­zen Welt, wo das Evan­ge­li­um ver­kündet wird, wird man auch erzäh­len, was sie getan hat, zu ihrem Gedächtnis.Ein­heits­über­set­zung 2016 

Kör­per­pfle­ge als Zei­chen der Menschenwürde

Auf Distanz blei­ben und sogar bei Begrüs­sung und Ver­ab­schie­dung Kör­per­kon­takt ver­mei­den ist in den letz­ten sechs Mona­ten zum sozia­len Stan­dard­ver­hal­ten gewor­den. Coro­na hat uns bei­gebracht, min­de­stens einen Meter fünf­zig Abstand zu wah­ren. Ob uns das auf die Dau­er gut bekommt? Aller Digi­ta­li­sie­rung und vir­tu­el­len Schein­wel­ten zum Trotz sind wir nach wie vor Wesen aus Fleisch und Blut, die nicht bloss von Luft und Lie­be leben, son­dern die auch Nähe und Zuwen­dung, Füh­len und Spü­ren, Tasten und Strei­cheln brau­chen. Die momen­ta­ne Ent­wick­lung stürzt uns je län­ger je mehr in ein unge­müt­li­ches Dilem­ma.Vere­na ist, was die Sicher­heits­mass­nah­men der Coro­na­zeit betrifft, höchst unzeit­ge­mäss und alles ande­re als ein Vor­bild. Denn die­se prak­tisch den­ken­de, wenig zim­per­li­che Frau, die es von den Ufern des Nils im Schlepp­tau der The­bäi­schen Legi­on auf die Alpen­nord­sei­te ver­schlug, steht für kör­per­na­he Zuwen­dung, für berüh­rungs­in­ten­si­ve Mit­mensch­lich­keit, für zugrif­fi­ge Näch­sten­lie­be. Ihre bei­den Attri­bu­te, die Zei­chen also, mit denen sie in der Kunst dar­ge­stellt wird, sind Kamm und Was­ser­krüg­lein. Die Legen­de weiss zu berich­ten, dass die Chri­sten­frau Vere­na kran­ke, arme, hilf­lo­se und ver­wahr­lo­ste Men­schen auf­such­te, um ihnen im Namen ihres men­schen­freund­li­chen Got­tes unkom­pli­ziert und hand­fest zu hel­fen, wo immer es nötig war. In Solo­thurn und Zurz­ach erzählt man den Kin­dern bis heu­te davon.Zu die­sem Lie­bes­dienst gehör­te damals wie heu­te die Sor­ge für den Leib, die Kör­per­pfle­ge: Die ver­schmutz­ten Glie­der waschen, die drecki­ge Wäsche sau­ber machen, die Wun­den rei­ni­gen und ver­bin­den, die Haa­re käm­men und bür­sten, ohne Scheu und ohne Berüh­rungs­äng­ste, ein­fach so, dass der Mensch sich wohl­fühlt in sei­ner Haut. Offen­bar wuss­te die­se Frau, dass jeder Mensch, auch die Pest­kran­ken, auch die Flücht­lin­ge und Kriegs­ver­sehr­ten, die Aus­sät­zi­gen und Rand­stän­di­gen, die vom Coro­na­vi­rus Infi­zier­ten und die HIV-Posi­ti­ven, jeder stin­ken­de, dahin­sie­chen­de, ver­un­stal­te­te Mensch den Samen der Gott­eben­bild­lich­keit und das Ver­lan­gen nach Schön­heit in sich trägt. Wie die namen­lo­se Frau im Evan­ge­li­um, die mit ver­schwen­de­ri­scher Geste Jesus den Kopf salb­te, brach­te Vere­na die im Men­schen schlum­mern­de Schön­heit zum Strah­len und ver­brei­te­te durch das Öl der Freu­de, wie es in Psalm 45 heisst, eine fri­sche, hei­te­re Stim­mung.Welch schö­ne Über­ra­schung! Selbst ein Kamm kann Trä­ger der Fro­hen Bot­schaft sein, wenn er, wie bei Vere­na, von geschick­ten, fein­füh­li­gen Fin­gern geführt wird. Den Men­schen, denen ande­re tun­lichst aus dem Weg gehen und vor denen uns ekelt, über­mit­telt sie mit die­sem all­täg­li­chen Gegen­stand etwas Zärt­lich­keit und Hilfs­be­reit­schaft, setzt ein Zei­chen kon­kre­ter Men­schen­wür­de. Mit ihrem Tun mani­fe­stiert sie glaub­wür­dig, dass der Mensch als Kind Got­tes beru­fen ist, leib­haf­tig teil­zu­ha­ben an der Schön­heit sei­nes Schöp­fers. Viel­leicht ist das der Grund, war­um Vere­na eine aus­ge­prägt öku­me­ni­sche Aura umgibt. Popu­lär und beliebt bei Katho­li­ken und Pro­te­stan­tin­nen, wird sie auch von den ortho­do­xen Kop­ten Ägyp­tens wie­der­ent­deckt als eine der Ihren.Unsanft und nach­hal­tig ruft uns die Coro­na­kri­se in Erin­ne­rung, dass des Men­schen Schön­heit zer­brech­lich, hin­fäl­lig, sterb­lich ist. Doch wo nasen­rümp­fen­de Pes­si­mi­sten und gries­grä­mi­ge Nörg­ler nur Ver­gäng­lich­keit, Fäul­nis und Moder­ge­ruch wahr­neh­men, ver­brei­tet Vere­na mit Kamm und Krug den Wohl­ge­ruch der Hoff­nung, den Duft der Schön­heit, das Par­füm einer ver­schwen­de­ri­schen Lie­be, eine gran­dio­se Bot­schaft – das Evan­ge­li­um!Peter von Sury, Abt des Bene­dik­ti­ner­klo­sters Mariastein
Redaktion Lichtblick
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