Dank Sil­ja eine Kandidatin

  • Seit Mit­te Mai lebt Judith Sam­son als Kan­di­da­tin im Bene­dik­ti­ne­rin­nen-Klo­ster Fahr.
  • Obwohl sich die 42-Jäh­ri­ge nach wie vor als «Suchen­de» bezeich­net, ist sie über­zeugt, – ganz nach Sil­ja Wal­ter – «ihre Insel» gefun­den zu haben.
  • Es waren Tex­te der schrei­ben­den Non­ne Schwe­ster Hed­wig, wel­che die Nord­deut­sche in die Schweiz führten.

«Die wil­den Enten | schrein überm Fluss | mit den Mor­gen­si­re­nen | zusam­men | vom Gas­werk | nichts wei­ter. | Und Gomer geht sum­mend | hin­aus in die Küche | die Min­ze zu sie­den | nichts wei­ter. | Doch alle Schöp­fung | ihr Herz und die Küche | sind voll sin­gen­den | Feu­ers.» Judith Sam­son legt das Buch von Sil­ja Wal­ter «Der Tanz des Gehor­sams» zur Sei­te, nach­dem sie einen ihrer Lieb­lings­tex­te, «Voll sin­gen­den Feu­ers», dar­aus vor­ge­le­sen hat. Sie, die Kul­tur­wis­sen­schaft mit Schwer­punkt Reli­gi­on stu­diert und in Sozi­al­wis­sen­schaft und Gen­der Stu­dies pro­mo­viert hat, sitzt im Bespre­chungs­zim­mer des Klo­sters Fahr und denkt über die Fra­ge nach: Wer ist Judith Samson?

Mit 28 Jah­ren bereits im Kloster

Judith Sam­son wächst als Ein­zel­kind auf, ver­liert ihre Eltern rela­tiv früh: Die Mut­ter mit 14, den Vater mit 19. Judith Sam­son begei­stert sich seit in ihrer Jugend für Schöp­fungs­the­men. Sie wirkt in einer Umwelt­grup­pe mit, betreibt umsich­tig Recy­cling, kauft im Bio­la­den ein. Vor gut zwan­zig Jah­ren, «im Alter, wo man in der Regel Beru­fung spürt», fällt ihr der ein­gangs erwähn­te «Tanz des Gehor­sams» von Sil­ja Wal­ter in die Hän­de. «Die­se Lite­ra­tur ent­führ­te mich in eine Welt, wo sich das All­täg­li­che und Kos­mi­sche ver­bin­den.» Schon damals fragt sie sich, wo wohl die­ser Ort ist, der Sil­ja Wal­ter der­art inspi­riert. Mit 28 ent­schei­det sie sich für den Ein­tritt in ein süd­deut­sches Bene­dik­ti­ne­rin­nen-Klo­ster. Nach vier Mona­ten als Kan­di­da­tin erkennt sie einer­seits, dass das Leben in die­sem Klo­ster für sie kör­per­lich zu anstren­gend ist und ande­rer­seits, dass «in mir sel­ber noch viel Unru­he herrscht, die zuerst aus­ge­lebt wer­den muss.»

Erneut akut wird das The­ma Klo­ster für Judith Sam­son, als sich die am «Katho­li­schen Forum für Erwach­se­nen- und Fami­li­en­bil­dung Kre­feld und Vier­sen» Täti­ge auf eine Ver­an­stal­tungs­rei­he vor­be­rei­tet. Dabei wäre es eigent­lich um die Fra­ge gegan­gen, wie das Klö­ster­li­che mehr in den All­tag inte­griert wer­den kann. Doch für sich per­sön­lich spürt Judith Sam­son: «Ich möch­te, dass das Klo­ster mein All­tag wird.» Sie lässt sich lei­ten: Von der Web­site des Klo­sters Fahr, die ihr sehr freund­lich erscheint; von Prio­rin Ire­ne Gas­smann, die sich aktiv für Frau­en­an­lie­gen in der Kir­che ein­setzt. Judith Sam­son: «Ich habe mei­ne Kämp­fe mit der römisch-katho­li­schen Kir­che und deren Hier­ar­chie­ver­ständ­nis. Trotz­dem ist mir die­se Kir­che Hei­mat. Ein Klo­ster, das sich expli­zit zu Frau­en­fra­gen äus­sert, über­zeugt mich.»

Voll sin­gen­den Feuers

Judith Sam­son greift zum Tele­fon­hö­rer und wählt die Num­mer des Klo­sters am Ran­de der Stadt. Schwe­ster Michae­la mel­det sich und stellt zügig zur Prio­rin durch, als Judith Sam­son ihr erklärt, dass sie sich für einen Ein­tritt ins Klo­ster inter­es­sie­re. Prio­rin Ire­ne Gas­smann: «Etwas wider­wil­lig nahm ich den Anruf ent­ge­gen und hör­te ein­fach mal zu. Als ich spür­te, dass die Frau nicht schon mor­gen ein­tre­ten möch­te, war ich beru­higt. Sie hat­te also Zeit – und das ist für mich ein gutes Zei­chen. Wir ver­ein­bar­ten, dass sie sich über das Gäste­for­mu­lar für einen Besuch anmel­den soll. Das tat sie denn auch. So lern­ten wir uns etwa zwei Mona­te spä­ter kennen.»

Das war im 2019, dem Jubi­lä­ums­jahr zu Sil­ja Wal­ter, das unter dem Mot­to «Voll sin­gen­den Feu­ers» im Klo­ster Fahr began­gen wur­de. Judith Sam­son erin­nert sich an ihren ersten Besuch. «Die Fah­rer Frau­en stel­len sich unab­hän­gig von ihrem Lebens­al­ter den Zeit­fra­gen, zei­gen Inter­es­se an den Men­schen, sind offen und herz­lich. Ich hat­te sofort das Gefühl, zuhau­se zu sein.» Prio­rin Ire­ne und Judith Sam­son geben sich Raum und Zeit. «Ich war schon so lan­ge auf dem Weg, also war­te­te ich, bis mir die Prio­rin das Okay gab.» Prio­rin Ire­ne: «Ein wesent­li­cher Punkt ist die Moti­va­ti­on. Ich habe Judith gebe­ten, die­se auch schrift­lich zu for­mu­lie­ren. Wich­tig war zudem, dass Judith mit Schwe­ster Mar­ti­na, unse­rer Gast­schwe­ster und Novi­zi­ats­be­glei­te­rin, Gesprä­che füh­ren konnte.»

Nach Ankunft ab in die Quarantäne

Das Klo­ster Fahr hat­te schon lan­ge kei­nen Ein­tritt mehr. Dar­um will Prio­rin Ire­ne zur Vor­be­rei­tung im März in Deutsch­land ein Klo­ster besu­chen, in dem meh­re­re Novi­zin­nen leben. «Ich hat­te eine Liste von Fra­gen vor­be­rei­tet. Aber dann wur­den die Gren­zen geschlos­sen. Es muss­te dem­nach nicht sein.» Zusam­men mit Schwe­ster Mar­ti­na erar­bei­tet sie einen Ein­füh­rungs­plan. «Als wir die Zel­le in der Klau­sur für Judith vor­be­rei­ten, ent­stand eine spür­ba­re Vor­freu­de auf die­sen Nach­wuchs», so die Prio­rin. Für Judith Sam­son ist es lock­down-bedingt eben­falls kom­pli­zier­ter, den Abschied vom Gewohn­ten zu regeln und die Über­sied­lung in die Schweiz zu orga­ni­sie­ren. Über­aus glück­lich ist sie, als sie für ihre bei­den Kat­zen ein Ehe­paar fin­det, bei dem es die Samt­pfo­ten wie­der­um sehr gut haben. Schliess­lich geht die Rei­se los. Weil Judith Sam­son bei der Ankunft im Fahr ein Husten plagt, muss sie zuerst zwei Wochen in ein Gäste­zim­mer in Qua­ran­tä­ne. Mitt­ler­wei­le ist sie in die Klau­sur übersiedelt.

Das Smart­phone gibt sie beim Ein­tritt ins Klo­ster bewusst ab, pflegt Kon­takt vor allem per Mail. Mit einem elek­tro­ni­schen Rund­brief berich­tet sie von ihren Erfah­run­gen. «Ange­regt durch mei­nen Ent­scheid, stel­len sich vie­le aus mei­nem Umfeld nun die Fra­ge, was ihnen wirk­lich wich­tig ist im Leben.» Judith Sam­son sel­ber weiss: «Der Ein­tritt ins Klo­ster ist der Anfang eines lan­gen Weges, der eigent­lich nie auf­hört.» Rück­blickend auf die ersten gut 100 Tage im Fahr fin­det sie: «Es tut sich inner­lich viel. Es spricht zu mir. Ich habe es mit der Unge­duld zu tun. Doch es geht dar­um, einen Tag nach dem ande­ren zu neh­men; die Kon­trol­le aus der Hand geben; bereit zu sein, sich auf Neu­es ein­zu­las­sen. Ich übe mich in Geduld. Das ist die Auf­ga­be.» Judith Sam­son greift erneut zum «Tanz des Gehor­sams», schlägt das Buch auf Sei­te 25 auf und liest: «Hin­ter den Wäsche­kör­ben | und Anti­phona­ri­en | und hin­ter der | Dog­ma­tik | dahin­ter, | da ist etwas. | Hin­ter den Pro­zes­sio­nen | durch den geweissel­ten | Kreuz­gang | und hin­ter dem Gan­zen | dahin­ter.» Sie schaut auf, hält inne und sagt dann: «Ich den­ke, ich habe Got­tes Ruf verstanden.»

Andreas C. Müller
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