Kla­ra von Assi­si – von Chri­stus ergriffen

Kla­ra von Assi­si – von Chri­stus ergriffen

Phil­ip­per­brief 3,10–14«Chri­stus will ich erken­nen und die Macht sei­ner Auf­er­ste­hung und die Gemein­schaft mit sei­nen Lei­den, indem ich sei­nem Tod gleich gestal­tet wer­de. So hof­fe ich, auch zur Auf­er­ste­hung von den Toten zu gelan­gen. Nicht dass ich es schon erreicht hät­te oder dass ich schon voll­endet wäre. Aber ich stre­be danach, es zu ergrei­fen, weil auch ich von Chri­stus Jesus ergrif­fen wor­den bin. … Das Ziel vor Augen, jage ich nach dem Sie­ges­preis: der himm­li­schen Beru­fung Got­tes in Chri­stus Jesus.»Ein­heits­über­set­zung 2016 

Von Chri­stus ergriffen

Im lit­ur­gi­schen Kalen­der der Kir­che begeg­nen wir zwi­schen dem 20. Juli und dem 15. August einem bun­ten Kreis von Frau­en, die ein wei­tes Spek­trum christ­li­cher Lebens­ge­stal­tung reprä­sen­tie­ren. Sie rufen in Erin­ne­rung, wel­che Schatz­kam­mer uns in der Gemein­schaft der Hei­li­gen offen steht – Kir­che vom Fein­sten! Mar­ga­re­ta (20. Juli); Mag­da­le­na (22. Juli); Bir­git­ta von Schwe­den (23. Juli); Anna (26. Juli); Mar­tha (29. Juli); Edith Stein (9. August); Kla­ra (11. August); Johan­na Fran­zis­ka von Chan­tal (12. August); Maria in der himm­li­schen Voll­endung (15. August). So unter­schied­lich ihr Leben und ihr Ster­ben auch war, in einem tref­fen sie sich und wir­ken über­zeu­gend bis heu­te: Sie waren von Chri­stus ergrif­fen!Chia­ra von Assi­si, unge­fähr 15 Jah­re jün­ger als Fran­ces­co, wird lit­ur­gisch den «Jung­frau­en» zuge­rech­net. Ein Wort, das Tür und Tor öff­net für Miss­ver­ständ­nis­se und Spe­ku­la­tio­nen, das eher Pein­lich­keit als Bewun­de­rung aus­löst. Was soll man sich schon vor­stel­len unter einer Jung­frau: Die Unschuld vom Land? Ein ase­xu­el­les Wesen von einem frem­den Stern? Tabu­zo­ne für Män­ner? Eine kämp­fe­ri­sche Furie? Oder von allem ein wenig? «Die Jung­frau von Orlé­ans» als ver­stö­ren­des Exem­pel. Mög­li­cher­wei­se lässt die Jung­frau an eine Per­son den­ken, die vom Leben nicht viel ver­steht, die viel ver­passt von dem, was unser Dasein lebens­wert macht.Doch viel­leicht täu­schen wir uns. Viel­leicht ist es ein­fach so, dass die Jung­frau­en in kein Sche­ma pas­sen. Um mir den Zugang zu die­sen unkon­ven­tio­nel­len Frau­en nicht zu ver­bau­en, habe ich es mir so zurecht­ge­legt: Die Jung­frau ist eine Frau, basta. Kei­ne Mut­ter, kei­ne Gat­tin, kei­ne Wit­we, kein Mäd­chen, kei­ne Mär­ty­rin, son­dern Frau. Das reicht. Mehr braucht es nicht, um hei­lig zu wer­den. «Von Chri­stus Jesus ergrif­fen», das ist das Geheim­nis die­ser Frau­en.Kla­ra brauch­te kei­nen Mann. Fran­ces­co war für sie Freund, Gefähr­te, Inspi­ra­tor, Bru­der. Eine Bezie­hung auf Augen­hö­he. Alles ande­re über­liess sie Chri­stus. In einem Brief schrieb sie, vol­ler Anklän­ge ans bibli­sche Hohe­lied: «Himm­li­scher Bräu­ti­gam! Ich will eilen und nicht nach­las­sen, bis du mich in die Hüt­te des Wein­bergs führst, bis dei­ne Lin­ke unter mei­nem Kopf liegt und dei­ne Rech­te mich umfängt, bis du mich küsst mit dem beglücken­den Kuss dei­nes Mun­des!»Mystik? Eksta­se? Sub­li­mie­rung? Wer kann sich ein end-gül­ti­ges Urteil anmas­sen? Chia­ra von Assi­si, in selbst­ge­wähl­ter gröss­ter Armut lebend, etwa vom Jah­re 1225 an bis zu ihrem Tod fast dau­ernd bett­lä­ge­rig und unter schmerz­haf­tem Siech­tum lei­dend, war von Chri­stus ergrif­fen.Die­se Ergrif­fen­heit ver­wan­delt alles, lässt alles in einem neu­en Licht erschei­nen. Die himm­li­sche Beru­fung spie­gelt sich in der irdi­schen Rea­li­tät, Tod und Leben flies­sen inein­an­der, die Macht sei­ner Auf­er­ste­hung und die Gemein­schaft mit sei­nem Lei­den sind die zwei Sei­ten der einen Medail­le, die Chri­stus heisst.Das alles voll­zog sich in der Abge­schie­den­heit eines klei­nen Frau­en­kon­ven­tes in Mit­tel­ita­li­en. Da fand sich kei­ne Spur von fin­ste­rem Mit­tel­al­ter, son­dern strah­lend klar war das Glau­bens- und Lie­bes­zeug­nis Kla­ras.«Chri­stus gab ihr die Kraft mit­ten in Drang­sal, / war ihr im Dun­kel nah, in aller Müh­sal. / Sie trug an ihrem Leib sein Todes­lei­den / und offen­bar­te uns die Auf­er­ste­hung.» So sin­gen wir in Maria­stein in der Ves­per am 11. August. Ich freue mich dar­auf! Und ich freue mich dar­auf, Chia­ra, die Frau mit dem wun­der­schö­nen Namen, per­sön­lich ken­nen­zu­ler­nen, dann, wenn die Zeit dafür reif ist, wenn ich dafür reif bin.Peter von Sury, Abt des Bene­dik­ti­ner­klo­sters Mariastein   
Christian von Arx
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