«Kein Dau­men rauf oder runter»
Bild: © Han­nah Olin­ger auf Unsplash

«Kein Dau­men rauf oder runter»

Wer in der Kirche arbeiten möchte, soll ab April eine psychologische Eignungsprüfung durchlaufen müssen. Fachpersonen zeigen sich mit der Entwicklung des Assessments zufrieden. Nun geht es in die Praxis.

Mit dem Dekret der Diö­ze­san­bi­schö­fe vom 27. März ist es offi­zi­ell: Die psy­cho­lo­gi­schen Assess­ments für ange­hen­de Prie­ster, Seel­sor­ge­rin­nen und Seel­sor­ger wer­den in allen Schwei­zer Bis­tü­mern ein­ge­führt. Anfang April star­tet zunächst eine Pilot­pha­se, die bis Ende 2025 dau­ern soll. Die Mass­nah­me war von den Bischö­fen anläss­lich der Ver­öf­fent­li­chung der Vor­stu­die zu Miss­brauch in der Schwei­zer Kir­che im Herbst 2023 ver­spro­chen wor­den. Damit soll bereits bei der Zulas­sung von Mit­ar­bei­ten­den das Risi­ko für Über­grif­fe und schä­di­gen­des Ver­hal­ten redu­ziert wer­den. Bischof Joseph Maria Bonn­emain, der die Miss­brauchs­prä­ven­ti­on in der Schwei­zer Bischofs­kon­fe­renz vor­an­treibt, sagt zu den ver­pflich­ten­den Tests: «Wir schul­den das den Men­schen, die sich der Kir­che anver­trau­en und ein Recht haben, dass ihre Inte­gri­tät aus­rei­chend geschützt ist.» Gleich­zei­tig schul­de man dies aber auch jenen Per­so­nen, die sich für einen kirch­li­chen Dienst aus­bil­den lies­sen. Es gehe dar­um, «ihr Ent­wick­lungs­po­ten­zi­al früh­zei­tig abzu­klä­ren» und sie «gezielt zu fördern».

 Die Kosten für die Tests tra­gen die Bis­tü­mer, für die die jewei­li­gen Kan­di­da­ten und Kan­di­da­tin­nen stu­die­ren. Sie belau­fen sich auf rund 5 000 Fran­ken pro Assess­ment. Für die Pilot­pha­se steht ein begrenz­tes Kon­tin­gent an Tests zur Ver­fü­gung. Gete­stet wer­den sol­len zunächst jene Per­so­nen, die am Ende ihrer Aus­bil­dung ste­hen und ab Herbst 2025 ihre Arbeit im Umfeld Kir­che begin­nen wol­len. Spä­ter­hin will man auch Per­so­nen den Tests unter­zie­hen, die aus dem Aus­land oder aus ande­ren kirch­li­chen Aus­bil­dungs­struk­tu­ren jen­seits der Bis­tü­mer die Arbeit auf­neh­men, so heisst es im Dekret der Bischö­fe. Seel­sor­ge­rin­nen und Seel­sor­ger, die fer­tig aus­ge­bil­det im Ein­satz sind, sol­len nur dann für ein Assess­ment in Betracht gezo­gen wer­den, wenn sie «wäh­rend ihrer pasto­ra­len Tätig­keit Auf­fäl­lig­kei­ten zei­gen» und sich Nach­hol­be­darf in Bezug auf «Basis­kom­pe­ten­zen, psy­chi­sche Ver­fasst­heit, cha­rak­ter­li­che Aus­ge­gli­chen­heit oder affek­ti­ve Rei­fe» zeige.

Bereits 1988 war von der Schwei­zer Bischofs­kon­fe­renz eine Rah­men­ord­nung für die Aus­bil­dung erlas­sen wor­den, die das Ein­ho­len psy­cho­lo­gi­scher Gut­ach­ten vor­sieht. 2016 hat­te das römi­sche Dik­aste­ri­um für den Kle­rus fest­ge­legt, dass Bischofs­kon­fe­ren­zen Nor­men zu erlas­sen haben, um die Moda­li­tä­ten dazu zu regeln. Bischof Bonn­emain: «Die psy­cho­lo­gi­schen Abklä­run­gen, die bereits seit Jah­ren Teil der Aus­bil­dung waren, wur­den nun wei­ter­ent­wickelt und neben dem kom­pe­tenz­ori­en­tier­ten durch einen foren­si­schen Blick ergänzt.»

Fach­li­che Exper­ti­se für die Assessments

So war der Schwei­zer Psy­cho­lo­ge und Foren­si­ker Jérô­me Endrass an der Ent­wick­lung des Assess­ments feder­füh­rend betei­ligt. Der stell­ver­tre­ten­de Lei­ter des Amtes für Justiz­voll­zug und Wie­der­ein­glie­de­rung des Kan­tons Zürich gilt als Spe­zia­list im Bereich der Risi­ko­ein­schät­zung bei Gewalt- und Sexu­al­straf­tä­tern. Die Zusam­men­ar­beit mit der Kir­che hat er als «nur posi­tiv» erlebt, nun müs­se man das Ergeb­nis testen und Erfah­run­gen damit sam­meln. «Ob sich erfüllt, was sich die Ver­ant­wort­li­chen erhof­fen und ob es für sie einen Mehr­wert gibt, muss die Kir­che ent­schei­den.» Ein Urteil dar­über tref­fen zu kön­nen erwar­tet er in drei bis vier Jah­ren. Endrass hält fest, dass es bei psy­cho­lo­gi­schen Assess­ments nicht um «Dau­men rauf oder run­ter» gehe. So gebe es auch kein bestehen oder nicht bestehen, im Gegen­teil: «Man über­prüft, wie gut eine Per­son mit den gefor­der­ten Grund­kom­pe­ten­zen über­ein­stimmt und hat eine Mög­lich­keit, das zu objek­ti­vie­ren.» Objek­ti­vie­ren, also kon­kre­te, ver­gleich­ba­re Wer­te zu Eigen­schaf­ten einer Per­sön­lich­keit vor­le­gen zu kön­nen und eine exter­ne Ein­schät­zung zu erhal­ten gilt als Mehr­wert von psy­cho­lo­gi­schen Assess­ments. «Wir legen Ergeb­nis­se vor, geben aber kei­ne direk­ti­ve oder gar bin­den­de Emp­feh­lung ab. Die Anstel­lungs­ent­schei­dung liegt ein­zig beim Arbeit­ge­ber.» Durch­ge­führt wird das Assess­ment von psy­cho­lo­gi­schen Gut­ach­te­rin­nen, die posi­ti­ve wie nega­ti­ve Aspek­te erfas­sen: Im Posi­tiv-Assess­ment gehe es dar­um, Poten­zia­le und Fähig­kei­ten einer Per­son zu eru­ie­ren, im nega­ti­ven Bereich um die Abklä­rung von Risi­ken. «Das Ziel ist nicht pri­mär, Men­schen aus­zu­schlies­sen, die Pro­ble­me mit­brin­gen, son­dern viel­mehr her­aus­zu­fin­den, wer sich wofür beson­ders gut eige­nen könnte.» 

Und was, wenn kirch­li­che Ver­ant­wort­li­che Ergeb­nis­se und Ein­sich­ten aus den Tests unter den Tisch fal­len lies­sen? Endrass rela­ti­viert: «Die­ses Pro­blem beschränkt sich bei wei­tem nicht auf die Kir­che.» Er sieht die Ein­füh­rung der psy­cho­lo­gi­schen Assess­ments als «ersten Schritt, um mehr Trans­pa­renz zu schaf­fen». Nun müs­se man der Kir­che die Chan­ce geben, einen Umgang damit zu finden.

Wie geht die Kir­che mit den Test­ergeb­nis­sen um?

Ste­fan Lopp­a­cher, Lei­ter der Dienst­stel­le Miss­brauch im kirch­li­chen Kon­text, sieht in der Fra­ge nach dem Umgang mit den Test­ergeb­nis­sen «eine der gros­sen Her­aus­for­de­run­gen, die noch nicht abschlies­send geklärt» sei. Er ver­weist auf «ver­schie­de­ne Rechts­gü­ter», die sen­si­bel gegen­ein­an­der abge­wo­gen wer­den müss­ten: einer­seits das Inter­es­se an Trans­pa­renz und pro­fes­sio­nel­ler Per­so­nal­füh­rung, ande­rer­seits etwa der Per­sön­lich­keits­schutz und der Schutz der Inte­gri­tät der Auszubildenden.

Bischof Bonn­emain möch­te die Ergeb­nis­se der Assess­ments ernst neh­men, selbst im Fall eines bela­sten­den Resul­tats: «Wenn die psy­cho­lo­gi­schen Fach­per­so­nen bei einer bestimm­ten Per­son klar von einer künf­ti­gen Beschäf­ti­gung als Seel­sor­ger oder Seel­sor­ge­rin abra­ten, wer­de ich mich an die­se Emp­feh­lung hal­ten.» Für ihn sei das Assess­ment ein «sehr wich­ti­ges, aber nicht das ein­zi­ge» Entscheidungselement.

Ins­ge­samt zeigt sich Bonn­emain «sehr zufrie­den» damit, wie die Tests nun kon­zi­piert sei­en und dass man für die Erar­bei­tung inter­na­tio­nal aner­kann­te Fach­leu­te gewin­nen hät­te kön­nen. Lopp­a­cher sieht dar­über hin­aus einen Mei­len­stein erreicht, sei doch die Zusam­men­ar­beit zwi­schen Reli­gi­on und Psy­cho­lo­gie in den letz­ten Jahr­hun­der­ten «kei­ne Erfolgs­sto­ry» gewe­sen. Hier nun sei es gelun­gen, Über­set­zungs­ar­beit zu lei­sten und theo­lo­gi­sche, kirch­li­che Spra­che in die der Psy­cho­lo­gie zu über­set­zen. Jérô­me Endrass nennt ein Bei­spiel: «Die kirch­li­chen Fach­per­so­nen haben die Fähig­keit zur Selbst­kri­tik als not­wen­di­ge Qua­li­fi­ka­ti­on genannt. Wir haben das ope­ra­tio­na­li­siert in Intro­spek­ti­ons­fä­hig­keit – die­se lässt sich mit psy­cho­lo­gi­scher Metho­dik erfassen.»

Inter­dis­zi­pli­när ent­wickel­tes Qua­li­fi­ka­ti­ons­pro­fil als Basis

Grund­la­ge für die Arbeit der Psy­cho­lo­gin­nen und Psy­cho­lo­gen war ein Qua­li­fi­ka­ti­ons­pro­fil für Seel­sor­ge­rin­nen und Seel­sor­ger, das der Bil­dungs­rat der katho­li­schen Kir­che in der Deutsch­schweiz bereits 2023 erar­bei­tet hat­te. Man habe Syn­er­gien nüt­zen kön­nen, freut sich Lopp­a­cher. Eine Arbeits­grup­pe unter der Lei­tung von Jérô­me Endrass hat­te seit Früh­jahr 2024 die Ent­wick­lung vor­an­ge­trie­ben. Neben Endrass gehör­ten die foren­si­sche Psy­cho­lo­gin Astrid Ros­seg­ger und die Fach­psy­cho­lo­gin für Lauf­bahn- und Per­so­nal­psy­cho­lo­gie Rahel Bader dem Team an; von kirch­li­cher Sei­te waren dabei Gene­ral­vi­kar Mar­kus Thü­rig als Prä­si­dent des Bil­dungs­ra­tes, Bischof Bonn­emain, Dani­el Krieg und Nico­las Glas­son als Regen­ten, also Lei­ter von Prie­ster­se­mi­na­ren, Céli­ne Ruf­fieux als bischöf­li­che Beauf­trag­te für die Bis­tums­re­gi­on des Kan­tons Frei­burg, dar­über hin­aus Bri­git­ta Minich und The­res Küng, die als Seel­sor­ge­rin­nen im Dienst des Bis­tums Basel ste­hen, Juli­an Miotk vom Reli­gi­ons­päd­ago­gi­schen Insti­tut, Ste­fan May­er als refor­mier­ter Bereichs­lei­ter Seel­sor­ge der Lan­des­kir­che Aar­gau sowie Ste­fan Lopp­a­cher als Lei­ter der Dienst­stel­le Miss­brauch im kirch­li­chen Kontext.

Veronika Jehle
mehr zum Autor
nach
soben