Kein Ausweg aus der Konfliktschleife
Die Kirche hat ein Problem. Ein trinitarisches, wenn man so will. Eines, in dem getrennte Aspekte unlösbar miteinander verbunden sind. Eines, das mit schöner Regelmässigkeit wiederkehrt. Eines, das sich in den vergangenen Tagen erneut bemerkbar machte.Einerseits im Fall von Simon Spengler, dem überraschend gekündigten Informationsbeauftragten und geschäftsführenden Sekretär der Kommission für Medien und Kommunikation der Schweizer Bischofskonferenz. Andererseits und anders gelagert im Fall von Pfarrer Wendelin Bucheli, der im Urnerland tat, was Seelsorger überall tun: Segnen. Weil es ein lesbisches Paar war, soll er auf Weisung von Bischof Vitus Huonder die Pfarrgemeinde verlassen.So verschieden die beiden Fälle, so sehr ähneln sich die Reaktionen. Sie orientieren sich an einer Art Gesetzmässigkeit: «etwas» geschieht und wird öffentlich. Es folgen Lagerbildung, Protestaktionen und ‑reaktionen, Protestaustritte, Pressemitteilungen, allgemeines Kopfschütteln; nicht immer werden alle Mittel gewählt, doch der Ton wird im Verlaufe schärfer. Irgendwann scheinen Diskussionen unmöglich. Man könnte es als Konfliktschleife bezeichnen, aus der es keinen Ausweg zu geben scheint.Das ist ein Problem. Ein trinitarisches, denn grob skizziert gibt es drei Aspekte, die unlösbar miteinander verbunden sind. Spricht man vom einen, redet man fast automatisch auch vom anderen. Und: Wie bei der Trinität sieht es auf den ersten Blick ganz einfach aus, bis sich herausstellt, dass es eben nicht einfach ist.
Glaubwürdigkeit und Kommunikation Der Entscheid, Simon Spengler auf die Strasse zu stellen, ist für sich schon erstaunlich. Es nach aussen mit Restrukturierungsmassnahmen zu begründen fragwürdig. Insbesondere deshalb, «weil er während einer laufenden Organisationsanalyse ergangen ist. Noch bevor überhaupt Zwischenergebnisse dazu bekannt gemacht worden sind», sagt Luc Humbel, Aargauer Kirchenratspräsident. Er ordnet es denn auch eher als Glaubwürdigkeitsproblem ein. Andererseits: Warum sollte die Kirche als Arbeitgeber nicht auch Kündigungen aussprechen dürfen?Die Frage ist, wie das geschieht. Die Reaktion war vor allen Dingen Unverständnis, denn die Begründung für die Kündigung ist schwer nachvollziehbar und öffnet Spekulationen Tür und Tor. Es stellt sich die Frage nach einer angemessenen Reaktion; auf Seiten der SBK, auf Seiten der Medienkommission und auf Seiten der Vereine. Ein Rücktritt aus Protest ist sicher ein starkes Zeichen, gleichzeitig trägt es mit dazu bei, dass eine Sache wie der Medienpreis in diesem Jahr ausfällt.Georges Schwickerath, Pfarrer in Muri, wehrt sich gegen Pauschalisierungen. Er sagt jedoch, dass ein Kommunikationsproblem wohl nicht von der Hand zu weisen sei: «Eigentlich erstaunlich, denn unser Kerngeschäft, die Verkündigung, hat mit Kommunikation zu tun. Andererseits tun sich die Leute schwer damit, angemessen zu reagieren. Sie sind von der schieren Geschwindigkeit der Nachrichten heute überrumpelt. Und Kirche ist gefangen in sich selbst und stellt kaum die Frage, wie sie nach Aussen wirkt.»Der Journalist und Kommunikationsfachmann Klaus J. Stöhlker schreibt in einem
Blogbeitrag mit Bezug auf die aktuellen Ereignisse: «Die Schweizerische Bischofskonferenz hat offensichtlich kein Konzept, wie sie die Anliegen der römisch-katholischen Kirche der Schweiz gegenüber der Öffentlichkeit vertreten möchte.»
Die Deutungshoheit über die KircheVon der Basis bis zur Ebene der Schweizer Bischofskonferenz und der Bundesverbände entzünden sich Konflikte in den letzten Jahren am richtigen Verständnis von Kirche. Jeder hört mit seinem eher liberalen oder eher konservativen Ohr, was er hören will, argumentiert entsprechend und spricht nicht selten dem Gegenüber die Rechtgläubigkeit ab. Überspitzt formuliert stützen sich Konservative dabei auf die Lehre und Liberale auf die Mehrheit und die Lebenswirklichkeit. In den Pfarreien vor Ort lassen sich drohende Konflikt dahingehend meist lösen: «Wenn ich als Pfarrer vor Ort bemerke, dass es zu einem ernsthaften Konflikt zwischen verschieden überzeugten Pfarrangehörigen kommt, kann ich eingreifen und vermitteln», erklärt Georges Schwickerath.Doch wer vermittelt, wenn Bischöfe und Vereine oder die Basis mit der Spitze aneinandergeraten? In die Medien schaffen es oft nur sehr pointierte oder polemische Aussagen. Alleine schon deshalb, weil sich Kirche nicht mal schnell in allen Einzelheiten erklären lässt. Und wie hilfreich ist es, wenn die Deutungshoheit gen Aussen immer bei einer Handvoll Menschen liegt oder gar immer nur einem Bischof überlassen wird? Lange nicht alle an der Basis sind dessen Meinung. Und schliesslich gibt es nicht ein grosses Bistum Schweiz mit nur einem Bischof an der Spitze.Bischof Felix Gmür äusserte in einem Interview, er streite nicht öffentlich mit seinen Mitbrüdern. Das ist vernünftig. Doch «der Eindruck, den die SBK im Moment macht, ist entweder der, dass sie die Wahrheit gepachtet habe, oder der, dass sie zutiefst gespalten ist. Beides ist schade, denn es nimmt diesem Gremium die Kraft, die es für die wichtigen Themen braucht», sagt Georges Schwickerath. Wenn Kirche nur noch aus ein oder zwei hörbaren Meinungen besteht, ist es verständlich, dass sich viele nicht vertreten fühlen.
Das problematische Verhältnis zwischen Unten und Oben Sowohl für die Schweiz, als auch für den Aargau zeigt sich: Austrittszahlen steigen sprunghaft an, wenn auf der Ebene von Bistümern etwas passiert. Missbrauchsskandale, Bischofsfehltritte – die Basis spürt die Auswirkungen direkt, selbst wenn es im Nachbarland passiert. Wegen der Geschichte um Wendelin Bucheli im Urnerland gibt es Kirchenaustritte, auch im Aargau. Dabei hat er selber dazu aufgerufen nicht aus Protest auszutreten, nicht aus Resignation zu gehen.«Wie ich es wahrnehme ist der grössere Teil der Basis mittlerweile an einem Punkt, wo Vorgänge um Simon Spengler oder Wendelin Bucheli und die mediale Aufarbeitung sie kaum mehr berühren. Sie sind solcher Dinge schlichtweg überdrüssig. Sie erwarten keine Veränderung mehr von Oben nach Unten und wollen Unten einfach eine aktive, lebendige Kirche erleben und feiern. Und das ist längst nicht mehr von einem Bischof abhängig», sagt Beat Niederberger, Gemeindeleiter in Schöftland. Der Fall Wendelin Bucheli macht das deutlich: Die Pfarrgemeinde findet gut, wie ihr Pfarrer arbeitet und die Gemeinde lebendig gestaltet. Die Gemeindemitglieder werfen Bischof Vitus Huonder vor, dieses lebendige Gemeindeleben zu gefährden und wehren sich.Gefragt, ob dem Grossteil der Kirchenmitglieder nicht doch irgendwann die Lust vergeht, sich ständig für Auseinandersetzungen in und mit den höheren Etagen rechtfertigen zu müssen, sagt Luc Humbel knapp: «Es geht wohl weniger um Lust, als um Kraft.»Das ist vielleicht die Erkenntnis die am nachdenklichsten stimmt: Dass die immer wiederkehrenden Auseinandersetzungen die Gefahr bergen, die Katholiken vor Ort auf die Dauer mürbe zu machen. Weil niemand einen Weg aus dieser Konfliktschleife zu finden scheint, in der so komplexe Themenfelder miteinander verwoben sind. Und im Grunde tragisch ist, dass diejenigen, die sich auf allen Seiten einsetzen und sich nicht selten darüber in die Haare geraten, letztlich vom gleichen Wunsch angetrieben sind, nämlich, dass Kirche lebendig weiterbesteht.Anne Burgmer