«Jesus war der erste Head-Hunter»

«Jesus war der erste Head-Hunter»

  • Der kirch­li­che Per­so­nal­markt ist aus­ge­dünnt. Per­so­nal­ex­per­ten raten der Kir­che, Head-Hun­ter ein­zu­set­zen und die Hür­den für poten­ti­el­le Quer­ein­stei­ger zu senken.
  • Aber es krankt auch anders­wo: Per­so­nal­ex­per­te Mat­thi­as Möl­len­ey beklagt eine feh­len­de Stra­te­gie, das Bis­tum Basel ärgert sich über das eigen­wil­li­ge Vor­ge­hen der Kirch­ge­mein­den und letz­te­re bemän­geln unkla­re Stellenprofile.
  • Immer­hin: Die 2013 lan­cier­te Kam­pa­gne «Chan­ce Kir­chen­be­ru­fe» sorgt für stei­gen­de Stu­die­ren­den­zah­len im Bereich Theologie.
 Die Zah­len spre­chen eine kla­re Spra­che: Stan­den 1983 schweiz­weit noch knapp 2000 Seel­sor­ger im kirch­li­chen Dienst, sind es heu­er noch rund 1750. Nahe­zu jede ach­te Seel­sor­ge­stel­le ist ver­schwun­den. Zwar konn­te der Ein­bruch der Prie­ster­zah­len durch die grös­se­re Zahl von Lai­en­theo­lo­gen und ‑theo­lo­gin­nen zu einem gros­sen Teil kom­pen­siert wer­den, doch auch die­ses Wachs­tum stösst nun an Gren­zen. Denn neben der tra­di­tio­nell über­schau­ba­ren Grup­pe hei­mi­scher Seel­sor­ger ver­siegt auch der Zustrom deut­scher Lai­en­theo­lo­gen zuse­hends. «Im Bis­tum Basel kommt auf eine Pasto­ral­as­si­sten­ten­stel­le meist nur ein Bewer­ber — wenn über­haupt», schreibt der Per­so­nal­ver­ant­wort­li­che des Bis­tums Basel, Fabi­an Berz.Neu­es Per­so­nal ist also drin­gend gesucht. Nicht umsonst läuft seit 2013 die Kam­pa­gne «Chan­ce Kir­chen­be­ru­fe»: Ein­mal jähr­lich wer­ben Kir­chen­leu­te auf Pla­ka­ten in öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln für die ver­schie­de­nen Beru­fe – von der Ordens­frau bis zum Armee­seel­sor­ger. Die Kam­pa­gne, die auch mit einer Home­page prä­sent ist und jähr­lich 300‘000 Fran­ken kostet, zei­tigt durch­aus Wir­kung: So ist die Zahl der Theo­lo­gie­stu­die­ren­den seit 2013 leicht stei­gend. «Das war ein erklär­tes Ziel der Kam­pa­gne», sagt Tho­mas Leist von der Infor­ma­ti­ons­stel­le für Kirch­li­che Beru­fe (IKB). In abso­lu­ten Zah­len: Im Stu­di­en­jahr 2016–2017 ent­stie­gen den deutsch­spra­chi­gen theo­lo­gi­schen Fakul­tä­ten von Luzern, Fri­bourg und Chur 18 voll­aus­ge­bil­de­te Theo­lo­gen.

Schel­te am Vor­ge­hen der Kirchgemeinden

Man muss kein Sta­ti­sti­ker sein, um zu ver­ste­hen, dass dies nicht reicht. Hoch­glanz­pla­ka­te genü­gen nicht, um den per­so­nel­len Ader­lass in der Kir­che zu stop­pen. Was also gilt es zu tun? Auf der Suche nach mög­li­chen Stra­te­gien stösst man auf unter­schied­li­che Ideen und Tem­po­vor­stel­lun­gen. Im Per­so­nal­amt des Bis­tums Basel ver­weist man auf eine gewis­se Ohn­macht ange­sichts infor­mel­ler Arran­ge­ments vor Ort: «Manch­mal besetzt eine Kirch­ge­mein­de ohne unser Wis­sen einen Teil einer vakan­ten Stel­le unter der Hand», bedau­ert Fabi­an Berz. «Dann bleibt nur noch eine Teil­zeit­stel­le, die für unse­re offi­zi­el­le Kan­di­da­tin nicht mehr attrak­tiv ist.» Älte­re Seel­sor­ger wür­den wie­der­um ger­ne die «attrak­ti­ven» Tei­le einer Stel­le wie Lit­ur­gie oder Heim­be­su­che über ihrer Pen­sio­nie­rung hin­aus behal­ten und wenig lukra­ti­ve Rumpf­stel­len hin­ter­las­sen.An der Basis klingt es ähn­lich, nur umge­kehrt: Zu vie­le Stel­len, die das Bis­tum aus­schrei­be, sei­en zu unklar defi­niert. «Die Kir­che redet ungern über Kom­pe­ten­zen. Gera­de bei der Lei­tung von Pasto­ral­räu­men sind wir dar­auf ange­wie­sen, dass die Kom­pe­ten­zen geklärt sind», sagt Dani­el Ric, Kir­chen­pfle­ge­prä­si­dent von Gebens­torf-Tur­gi. Dani­el Ric ist über­zeugt: «Wenn die Seel­sor­ger kla­rer wis­sen, wel­chen Ver­ant­wor­tungs­be­reich sie haben, steigt auch die Zahl der Beru­fun­gen.» Ric, der Volks­wirt­schafts­leh­re stu­diert hat und nun den Master-Lehr­gang «Wirt­schaft — Reli­gi­on — Poli­tik» absol­viert, ist in sei­ner Kirch­ge­mein­de denn auch haupt­säch­lich damit beschäf­tigt, die Stel­len­pro­fi­le zu schär­fen und sei­ne Kirch­ge­mein­de als Arbeit­ge­be­rin à jour zu brin­gen. Zugleich gibt Dani­el Ric zu: «Viel­fach suchen wir sel­ber nach geeig­ne­ten Kan­di­da­ten.» Die Per­so­nal­zen­tra­le in Solo­thurn hat dann das Nach­se­hen.

«Will denn die Kir­che lie­ber rein und edel sterben?»

Einer, der regel­mäs­sig geru­fen wird, wenn die Per­so­nal­decken dünn wer­den, ist Mat­thi­as Möl­len­ey. Der gläu­bi­ge Katho­lik ist Per­so­nal­ex­per­te mit eige­ner Fir­ma und war der letz­te Per­so­nal­chef der Swis­sair. Mat­thi­as Möl­len­ey rela­ti­viert die Per­so­nal­kri­se der Kir­che zunächst: «Mit dem Fach­kräf­te­man­gel ist die Kir­che in guter Gesell­schaft.» Den­noch ver­misst er eine kla­re Per­so­nal­stra­te­gie. Für Mat­thi­as Möl­len­ey müss­te die Kir­che «viel akti­ver pro­mo­ten, dass auch Lai­en Kader­jobs machen kön­nen.» Und: Sie müss­te ihre Stel­len nicht nur pas­siv, son­dern aktiv bewer­ben, so wie es in der Wirt­schaft Usus sei: «Es wäre sehr sinn­voll, wenn die Kir­che mit eige­nen Head-Hun­tern auf Per­so­nal­su­che gin­ge», so Mat­thi­as Möl­len­ey.Head-Hun­ter für die Kir­che? «Der Vor­schlag ist absurd», fin­det Tho­mas Leist. Kaum jemand kön­ne von aus­sen in einen Kir­chen­job hin­ein gelockt wer­den, aus­ser­dem wol­le man doch nicht in Kon­kur­renz zu ande­ren Arbeit­ge­bern tre­ten. Das wie­der­um ver­steht Mat­thi­as Möl­len­ey nicht. «Ja, will denn die Kir­che lie­ber rein und edel ster­ben?» Kir­chen­in­ter­ne Head-Hun­ter könn­ten gezielt nach jenen Berufs­leu­ten in der Lebens­mit­te for­schen, die erfah­rungs­ge­mäss öfters den Sprung in einen kirch­li­chen Beruf wagen, sie könn­ten Daten­ban­ken von Leu­ten anle­gen, die über Erfah­run­gen im sozia­len Bereich ver­fü­gen, pas­sen­de Wei­ter­bil­dun­gen gemacht haben oder in frei­wil­li­ge Ämter gewählt wur­den. «Auch KMUs schreck­ten vor fünf Jah­ren noch vor Head-Hun­ter zurück, heu­te ist das ein Stan­dard­in­stru­ment», so Mat­thi­as Möl­len­ey. Und: «Hat denn Jesus sei­ne Leu­te mit Stel­len­in­se­ra­ten gesucht? Nein, er ist zu einem Petrus hin­ge­gan­gen und hat ihm gesagt: Fol­ge mir nach! Jesus war der erste Head-Hun­ter!»

«Chan­ce Kir­chen­be­ru­fe»: Kein Brückenangebot 

Mat­thi­as Möl­len­ey appel­liert an die Kir­chen, die Hür­den für Quer­ein­stei­ger abzu­bau­en. Er lobt den Ansatz der Refor­mier­ten, ein ver­kürz­tes Stu­di­um für erfah­re­ne Berufs­leu­te anzu­bie­ten (sie­he Kasten). Katho­li­scher­seits fehlt ein ver­gleich­ba­res Ange­bot: Der Stu­di­en­gang des Drit­ten Bil­dungs­wegs (DBW) an der Uni Luzern, der auch Inter­es­sen­ten ohne Matu­ra offen­stand, wur­de 2015 man­gels Stu­die­ren­den ein­ge­stellt. Zwar sind an allen theo­lo­gi­schen Fakul­tä­ten indi­vi­du­el­le Son­der­we­ge für matu­ra­l­o­se Bewer­ber mög­lich, zwar hat die Uni Luzern ein erfolg­rei­ches Fern­stu­di­um auf­ge­baut, das der gerin­ge­ren Mobi­li­tät von Berufs­leu­ten und Müt­tern und Vätern ent­ge­gen­kommt – doch die lan­ge fünf­jäh­ri­ge Stu­di­en­dau­er, die zum kirch­li­chen Dienst berech­tigt, bleibt indes unan­ge­ta­stet. Hin­ter der durch­aus erfolg­rei­chen Wer­be­kam­pa­gne «Chan­ce Kir­chen­be­ru­fe» war­tet also kein Brücken­an­ge­bot für wech­sel­wil­li­ge Quer­ein­stei­ger.Die katho­li­sche Kir­che betreibt per­so­nal­po­li­tisch vor­erst eher Intro­spek­ti­on. So sind die Deutsch­schwei­zer Bischö­fe dar­an, neue Berufs­fel­der zu kre­ieren, zum Bei­spiel im Bereich Frei­wil­li­gen­ar­beit: Künf­tig sol­len Jugend­ar­bei­ter, Kate­che­tin­nen oder Sozi­al­ar­bei­ter eine Wei­ter­bil­dung absol­vie­ren kön­nen, um mit bischöf­li­chem Segen Frei­wil­li­gen­grup­pen — zum Bei­spiel eine Frau­en­ge­mein­schaft — pro­fes­sio­nell zu beglei­ten. Die weni­ger wer­den­den und oft über­ar­bei­te­ten Theo­lo­gen sol­len von die­ser Auf­ga­be zuse­hends ent­la­stet wer­den. «Es ist sicher sinn­voll, mit einer Reform vor­der­hand auf Per­so­nen zu zie­len, die bereits im kirch­li­chen Bereich tätig sind», erklärt Jörg Schwa­ratz­ki, der Geschäfts­füh­rer des Bil­dungs­ra­tes der katho­li­schen Kir­che in der Deutsch­schweiz.

Quer­ein­stei­ger müs­sen warten

Die Katho­li­sche Kir­che rüstet sich also eher defen­siv mit klei­nen Struk­tur­ver­än­de­run­gen für eine Zeit mit noch weni­ger Theo­lo­gen. Eine wei­ter­ge­hen­de Öff­nung kirch­li­cher Beru­fe für Quer­ein­stei­ger bleibt vor­erst Zukunfts­mu­sik. Man könn­te das Vor­ge­hen ange­sichts der kirch­li­chen Per­so­nal­si­tua­ti­on mut­los nen­nen. «Ich wür­de eher sagen, die Bischö­fe sind umsich­tig unter­wegs», wider­spricht Jörg Schwa­ratz­ki. 

Refor­mier­te: «Quest» läuft weiter

An den Uni­ver­si­tä­ten Zürich und Basel schlies­sen im Som­mer die­ses Jah­res die ersten Absol­ven­ten des ver­kürz­ten Theo­lo­gie-Stu­di­ums «Quest» ab. Im Herbst 18 fängt dann der zwei­te Lehr­gang an. «Quest» rich­tet sich an Men­schen mit «Lebens- und Berufs­er­fah­rung», die einen Quer­ein­stieg in den Pfarr­be­ruf suchen. 34 Stu­die­ren­de hat­ten 2015 begon­nen, heu­er neh­men rund 20 Stu­die­ren­de das ver­kürz­te Theo­lo­gie­stu­di­um auf, das ihnen nach 3–4 Jah­ren den Abschluss ein­bringt. «Quest» stellt hohe aka­de­mi­sche Anfor­de­run­gen an Quer­ein­stei­ger: Inter­es­sen­ten müs­sen bereits ein Master­stu­di­um abge­schlos­sen haben: «Damit sind zum Bei­spiel Leh­rer oder Sozi­al­ar­bei­ter nicht zuge­las­sen», sagt «Quest»-Projektleiterin Anne-Marie Helb­ling. Ange­sichts einer sich zuspit­zen­den Nach­wuchs­pro­ble­ma­tik ist nicht aus­ge­schlos­sen, dass die­se hohe Hür­de in Zukunft dis­ku­tiert wird.
Andreas C. Müller
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