Jesu Grös­se wird in der Musik erahnbar

Jesu Grös­se wird in der Musik erahnbar

  • An der Tagung «Theo­lo­gie und Musik: Das Leben Jesu», durch­ge­führt an der Uni­ver­si­tät Luzern, stand die Fra­ge im Zen­trum, wie Jesus von Naza­reth in der Musik dar­ge­stellt wird.
  • Das Pfar­rei­blatt der Röm.-Kath. Kir­che im Kan­ton Zug hat aus drei Refe­ra­ten und einem Gespräch mit dem Theo­lo­gen Are­nd Hoyer einen Bei­trag gene­riert, den Hori­zon­te hier wie­der­ge­ben darf.
  • Im Fokus der Tagung und im wis­sen­schaft­li­chen Wir­ken von Are­nd Hoyer stand beson­ders das Werk des Kir­chen­mu­sik­gi­gan­ten Johann Seba­sti­an Bach


Musik kann den Men­schen dort berüh­ren, Inhalt ver­mit­teln und dem Zuhö­rer, der Zuhö­re­rin, Dimen­sio­nen eröff­nen, wo Wor­te an Gren­zen stos­sen. Wie hat Jesus von Naza­reth Ein­zug gefun­den in die Musik, wie wird er inter­pre­tiert? Wie «klingt» er? Gelingt es der Musik, Got­tes Sohn auf eine Art und Wei­se erfahr- oder erahn­bar zu machen, wo die mensch­li­che Spra­che die Grös­se Got­tes nicht mehr aus­zu­spre­chen vermag?

An der Theo­lo­gi­schen Fakul­tät der Uni­ver­si­tät Luzern wid­me­ten sich Mit­te Mai zahl­rei­che Refe­ren­tin­nen und Refe­ren­ten wäh­rend vie­rer Tage die­sen und ähn­li­chen Fra­gen. Die Tagung «Theo­lo­gie und Musik: Das Leben Jesu» war zugleich die Jah­res­ta­gung der Schwei­ze­ri­schen Theo­lo­gischen Gesell­schaft.

«Sei­ten­stück zur Predigt»

Ein beson­de­res Augen­merk galt dem Wir­ken Johann Seba­sti­an Bachs (1685–1750). Der Kom­po­nist war durch die luthe­ri­sche Ortho­do­xie geprägt und wirk­te wäh­rend den Anfän­gen der Auf­klä­rung. Der Theo­lo­ge Are­nd Hoyer* beschreibt den Zeit­punkt von Bachs Wir­ken als «nahe dran an einer nur noch per­so­na­li­sier­ten Fröm­mig­keit, nahe dran am Zusam­men­bruch meta­phy­si­scher Deu­tungs­mo­del­le, nahe dran am Aus­schluss der Kün­ste aus dem Kanon der grund­le­gen­den Wissenschaften.»

Für den öffent­li­chen Got­tes­dienst hat Bach in Form von Kir­chen­kan­ta­ten, Fest­tags­ora­to­ri­en sowie Pas­si­ons­mu­si­ken zahl­rei­che Pas­sa­gen aus dem Evan­ge­li­um in der Funk­ti­on eines «klin­gen­den Sei­ten­stücks zur Pre­digt» ver­tont. Er bedien­te sich dabei Aus­zü­gen aus der Hei­li­gen Schrift sowie lyri­scher Tex­te. Den­noch habe sich Bach nicht als Pre­di­ger ver­stan­den, son­dern als Sprach­rohr der Gemein­de. «Im Erklin­gen des Cho­rals hör­te sich die Gemein­de selbst sin­gen. Es war sozu­sa­gen der Kom­men­tar der Gemein­de als Gegen­über zum Prie­ster-Per­so­nal», sagt Hoyer.

Die Anleh­nung der Kir­chen­mu­sik an die Sonn­tags­le­sun­gen ist eine Ent­wick­lung, die erst nach der Refor­ma­ti­on ein­ge­setzt hat. Bis dahin wur­den Musi­ker dazu ange­hal­ten, die fixen Bestand­tei­le der Mess­fei­er zu ver­to­nen, bei­spiels­wei­se das Glo­ria oder das Kyrie.

Fünf­ter Evan­ge­list oder Exeget?

Doch wie ging Bach vor? Woher kam sein Wis­sen, und wie gelang es ihm, die Men­schen durch sei­ne tie­fe Deu­tung des Evan­ge­li­ums mit­tels Wort und Melo­die so stark zu berüh­ren? Darf von ihm gar als einem fünf­ten Evan­ge­li­sten gespro­chen wer­den, wie Bach in der Ver­gan­gen­heit schon bezeich­net wur­de? «Bach schau­te sich die Tex­te sehr genau und sorg­fäl­tig an. Er fühl­te sich dem Evan­ge­li­um ver­pflich­tet, nicht sei­ner Hörer­schaft. Ihn aber als fünf­ten Evan­ge­li­sten zu bezeich­nen, ist über­höht», sagt der Theo­lo­ge Are­nd Hoyer.

Also Bach, der Exeget? «Bach ging exege­tisch vor, was in der For­schung aber als nicht erwäh­nens­wert ein­ge­stuft wird», so Hoyer. «Durch die Unter­su­chung der Wor­te und Rede­wen­dun­gen bemüh­te sich Bach, den Wort­sinn kon­text­be­zo­gen erfas­sen zu kön­nen. Aus­ser­dem unter­zog er die Tex­te bereits einer Art Lite­r­ar­kri­tik. Er ver­glich ver­schie­de­ne Bibel­stel­len auf ihre Wider­spruchs­lo­sig­keit hin, was ein Schlüs­sel­kri­te­ri­um der dama­li­gen Exege­se war und die Ein­heit von Ver­ste­hen und Glau­ben garan­tie­ren soll­te. Schliess­lich ver­glich er sei­ne Inter­pre­ta­ti­on mit jener ande­rer Interpreten.»

Unaus­ge­spro­chen präsent

[esf_wordpressimage id=33281 width=half float=left][/esf_wordpressimage]Während sich ein ande­rer Refe­rent, der Theo­lo­ge und Kir­chen­mu­si­ker Jochen Arnold aus Han­no­ver, dar­auf kon­zen­trier­te, wie Bach den irdi­schen Jesus kon­kret nann­te – Arnold betrach­te­te die Bezeich­nun­gen Arzt, Hir­te, Hei­land und Gelieb­ter –, fokus­sier­te sich Are­nd Hoyer auf das Unaus­ge­spro­che­ne. Bachs Fähig­keit, Jesus anzu­deu­ten und klin­gen zu las­sen, auch ohne ihn nament­lich zu nen­nen. Um eine sol­che Pas­sa­ge zu ver­an­schau­li­chen, bedien­te sich Hoyer des vier­ten Sat­zes der Bach-Kan­ta­te BWV 17, die sich mit den zehn Aus­sät­zi­gen in Lk 17,11–19 auseinandersetzt:

Einer aber unter ihnen, da er sahe, dass er gesund wor­den war, keh­rete um und prei­se­te Gott mit lau­ter Stim­me und fiel auf sein Ange­sicht zu sei­nen Füs­sen und dan­kete ihm, und das war ein Sama­ri­ter. (Lk 17,15–16)

Im Zen­trum steht der Sama­ri­ter, des­sen Bewe­gungs­ab­läu­fe melo­disch auf- und abstei­gend hör­bar gemacht wer­den. Und Jesus? Der ein­zi­ge Hin­weis auf ihn sind die drei Wör­ter «zu sei­nen Füs­sen». Ohne Wor­te erhält der Sohn Got­tes dadurch aus der Per­spek­ti­ve des Sama­ri­ters sei­ne Gestalt. Er steht dem Sama­ri­ter gegen­über, er füllt den Raum, er wird auch für die Zuhö­re­rin­nen und Zuhö­rer spür­bar. «Bach woll­te Jesus durch sei­ne Musik ver­ge­gen­wär­ti­gen. Ohne dog­ma­ti­sche Attri­bu­te tritt Jesus als Mensch her­vor und erhält eine phy­si­sche Gegen­wart, um nicht zu sagen Real­prä­senz», sagt Hoyer. Die Musik habe in unmit­tel­ba­rer Nähe zur bibli­schen Bot­schaft und in deu­ten­der Aus­ein­an­der­set­zung mit ihr Got­tes Gegen­wart unter den Men­schen erwirkt.

Auf das Unaus­ge­spro­che­ne respek­ti­ve auf das Unaus­sprech­li­che in der Musik ging auch Mar­kus Enders, Pro­fes­sor für christ­li­che Reli­gi­ons­phi­lo­so­phie in Frei­burg i. Br., in sei­nem Refe­rat ein. Das Unaus­sprech­li­che sei schon als «Myste­ri­um der Musik» bezeich­net wor­den. Vla­di­mir Jan­ké­lé­vitch zitie­rend, sag­te Enders: «Wo es an Wor­ten der mensch­li­chen Spra­che fehlt, beginnt die Musik, wo die Wor­te auf­hö­ren, kann der Mensch nur noch sin­gen.» Musik sei auch ein «spi­ri­tu­el­les Myste­ri­um ange­sichts des augen­blick­haf­ten Auf­blit­zens der Tran­szen­denz in der Imma­nenz und als ‹ver­zau­ber­te Zeitlichkeit›».

Grund­la­ge war die Schöpfungsordnung

Ein nur ange­deu­te­ter Jesus – eine typi­sche Aus­drucks­wei­se Bachs? «Es ist eine Spiel­form und in die­ser Kan­ta­te gewiss spe­zi­ell. Andern­orts erwähnt Bach den irdi­schen Jesus auch nar­ra­tiv», sagt Hoyer. Hier sei die Andeu­tung eine Mög­lich­keit, Jesus so dar­zu­stel­len, wie Bach ihn als Exege­ten ent­deckt und wie er den Text ver­stan­den habe. «Für Bach war Gott bei einer andäch­ti­gen Musik alle­zeit prä­sent. Musik stand für ihn mit der Wahr­heit in direk­ter Ver­bin­dung. Sie war in den Kos­mos, in die Schöp­fungs­ord­nung ein­ge­bun­den.» Als Bei­spiel erwähnt Hoyer den «Klang» Got­tes»: «Wenn Jesu Stim­me erklingt, geschieht dies in der tief­sten Ton­la­ge, im Bass. Der Bass, die Zahl Eins, Gott. Das ist das Grund­ele­ment. Dar­aus ent­steht Musik, die in sich stimmt und kohä­rent ist.»

Die­se Anleh­nung der Musik an die Schöp­fungs­ord­nung sei mit der Auf­klä­rung ver­lo­ren­ge­gan­gen. «Musik ist viel mehr als nur Unter­hal­tung. Sie ist eine Spra­che mit einem rie­si­gen Poten­zi­al», sagt Hoyer. Heu­te wür­den wir im All­tag immer wie­der dar­auf auf­merk­sam gemacht, dass wir ledig­lich als Kon­su­men­ten inter­es­sant sind. Musik aber nur zu kon­su­mie­ren, sei scha­de und am Pro­dukt vor­bei­ge­lebt. «Im Got­tes­dienst oder im Kon­zert ist viel mehr mög­lich. Und zwar für sich etwas zu gewin­nen oder der Musik etwas zu geben.»

Noch haben aber nicht alle Musi­ke­rin­nen und Musi­ker die Anknüp­fung der Musik an die Schöp­fungs­ord­nung ver­ges­sen. So schuf Are­nd Hoyer zum Schluss eine Brücke von Bachs Musik ins Heu­te, indem er den Jazz­pia­ni­sten Nitai Hersh­ko­vits mit einer Aus­sa­ge zitier­te, die die­ser im Rah­men der Bach-Wochen in Thun 2019 getä­tigt hat: «Bach impro­vi­sier­te, bevor er sei­ne Musik nie­der­schrieb. Dabei folg­te er bestimm­ten Regeln – er stütz­te sei­ne Musik auf die Bass­li­nie, wor­über er die Har­mo­nien und am Schluss erst die Melo­die schrieb. Im Jazz funk­tio­niert das genauso.»

*Are­nd Hoyer (1960) ist refor­mier­ter Gemein­de­pfar­rer in Thal­wil und Armee­seel­sor­ger. Sei­ne Dis­ser­ta­ti­on wid­me­te er dem Wir­ken von J. S. Bach.

Christian Breitschmid
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