
«Jeder Mensch kann die Welt verändern»
- ThoÂmas ZurÂbuÂchen war von 2016 bis 2022 WisÂsenÂschaftsÂdiÂrekÂtor der Nasa.
- ZusamÂmen mit seiÂnem Team hat er das James-Webb-TeleÂskop erfolgÂreich ins All gebracht, das uns mit unglaubÂliÂchen BilÂdern neue ErkenntÂnisÂse eröffnet.
- Im InterÂview spricht ZurÂbuÂchen über den Blick zurück in die VerÂganÂgenÂheit und das StauÂnen, das mit zunehÂmenÂdem WisÂsen noch grösÂser wird.
Wir haben Sie gebeÂten, uns ein Foto mitÂzuÂbrinÂgen, das mit dem James-Webb-TeleÂskop aufÂgeÂnomÂmen wurÂde. Was ist darÂauf zu sehen?
ThoÂmas ZurÂbuÂchen: Nur zwei PunkÂte sind SterÂne, jeder andeÂre Punkt auf dem Bild ist eine eigeÂne GalaÂxie. Dass andeÂre GalaÂxien überÂhaupt exiÂstieÂren, wisÂsen wir erst seit Anfang des 20. JahrÂhunÂderts. InterÂesÂsant an dem Bild ist, dass eine GalaÂxie, die darÂauf zu sehen ist, über 13 MilÂliÂarÂden JahÂre alt ist.[esf_wordpressimage id=47953 width=half float=right][/esf_wordpressimage]
Sie könnÂte also ganz am Anfang des UniÂverÂsums entÂstanÂden sein.
Das ist die erste GeneÂraÂtiÂon der GalaÂxien. Ich zeiÂge dieÂses Bild einerÂseits, weil es uns den Blick erweiÂtert und uns das UniÂverÂsum in seiÂner TieÂfe erschliesst. AndeÂrerÂseits hat es einen emoÂtioÂnaÂlen Wert, weil es das erste ist, das wir mit dem James-Webb-TeleÂskop gemacht haben. Wir wussÂten, dass es funkÂtioÂniert und es damit erstaunÂlich einÂfach ist, ganz alte GalaÂxien zu sehen.
Was meiÂnen Sie, wenn Sie von der TieÂfe des UniÂverÂsums spreÂchen?
Dann spreÂche ich von der Zeit. UnseÂre GalaÂxie hat eine AusÂdehÂnung von 100 000 JahÂren, so lanÂge braucht das Licht vom einen bis zum andeÂren Ende. Wir sehen auf dem Bild zurück in die Zeit und damit DinÂge, die älter sind als unseÂre Galaxie.
Das bedeuÂtet, dass wir GalaÂxien sehen, die es gar nicht mehr gibt?
AbsoÂlut. Die meiÂsten, die wir auf dem Foto sehen, sind nicht mehr dort, aber ihr Licht ist immer noch unterÂwegs zu uns. Das WichÂtigÂste ist: Das Bild zeigt uns einÂfach, dass das UniÂverÂsum noch viel schöÂner ist, als wir gedacht haben.
Ist SchönÂheit mit Blick auf das UniÂverÂsum ein ästheÂtiÂscher Begriff oder spielt das WisÂsen eine RolÂle?
BeiÂdes. Ich habe bei der Nasa immer KalenÂder gemacht und gesagt, die BilÂder müsÂsen auch für MenÂschen schön sein, die nichts über das UniÂverÂsum wisÂsen. Aber wenn WisÂsen dazuÂkommt, wird es noch schöÂner. Seit ich etwa weiss, dass die SonÂne ein Stern ist, der stänÂdig MateÂriÂal ausÂwirft und auf desÂsen OberÂfläÂche StürÂme toben, wird sie für mich jeden Tag schöÂner. VorÂher war sie einÂfach eine leuchÂtenÂde ScheiÂbe, jetzt ist sie ein lebenÂdiÂger Stern, über den ich immer wieÂder staune.
WisÂsen Sie nicht längst zu viel, um noch stauÂnen zu könÂnen?
Ich stauÂne heuÂte sogar noch mehr, wenn ich in den SterÂnenÂhimÂmel blicke – geraÂde weil ich mehr darÂüber weiss. Jedes Kind verÂsteht, was es bedeuÂtet, über die Natur zu stauÂnen. Und sogar in der Bibel steht, dass Jesus gesagt haben soll: «WerÂdet wie die KinÂder» (Mt 18,3). Um die SchönÂheit zu geniesÂsen, neuÂgieÂrig zu sein und FraÂgen zu stelÂlen, ohne zu denÂken, das sei peinÂlich, müsÂsen wir wieÂder kindÂlich werÂden. So könÂnen wir ZusamÂmenÂhänÂge erfasÂsen, die viel grösÂser sind als wir.
Es geht also nicht um ein naiÂves StauÂnen, das durch das WisÂsen entÂzauÂbert wird, sonÂdern die ErkenntÂnisÂse verÂgrösÂsern das StauÂnen?
Genau. Mit meiÂnem WisÂsen stauÂne ich auf einer höheÂren EbeÂne. Zudem sind KinÂder ja nicht naiv. KinÂder sind hungÂrig nach Wissen.
Mit dem WisÂsen wächst allerÂdings auch die Angst: Wer den Zustand der Erde kennt, macht sich grosÂse SorÂgen.
Ich trenÂne zwei Arten von Angst. Ich weiss, dass in ferÂner Zeit unseÂre GalaÂxie auf eine andeÂre trifft und zerÂstört wird. Da halÂte ich mich an die StoiÂker: Ich beschreiÂbe es und lege es zur SeiÂte. Und dann gibt es ÄngÂste, die wir beeinÂflusÂsen könÂnen: durch die Art, wie wir leben, was wir essen, wie wir mit unseÂrer UmgeÂbung umgeÂhen. DieÂse Angst sollÂten wir als TreibÂstoff nutÂzen für gute Taten und poliÂtiÂsche VerÂänÂdeÂrunÂgen. LähÂmenÂde Angst ist nicht gut. GenauÂso schlimm ist ResiÂgnaÂtiÂon. Es gibt LeuÂte, die ich nie in mein Team aufÂnehÂmen würÂde. ZyniÂker sind solÂche MenÂschen. Mit KriÂtik habe ich kein ProÂblem, aber wer zynisch ist, hat aufÂgeÂgeÂben. Ich will mit MenÂschen arbeiÂten, die darÂan glauÂben, dass wir die Welt verÂänÂdern könÂnen. Und das könÂnen wir, jeder Mensch kann das. Auch davon erzählt die Bibel.
HinÂter dem James-Webb-TeleÂskop steht eine unglaubÂliÂche Team-LeiÂstung. Wie funkÂtioÂniert ein gutes Team?
Zuerst braucht es ein WarÂum. Alle BeteiÂligÂten müsÂsen sehr genau wisÂsen und verÂsteÂhen, warÂum sie tun, was sie tun müsÂsen. Und dass sie VerÂantÂworÂtung tragen.
Wie vieÂle MenÂschen waren das beim James-Webb-TeleÂskop?
InsÂgeÂsamt etwa 10’000. Gebaut haben es dann rund 2’000.
10’000 MenÂschen mussÂten also wisÂsen, warÂum?
Genau. Zudem ist zenÂtral, wie wir mitÂeinÂanÂder umgeÂhen. Wir dürÂfen keiÂne Angst haben, FehÂler zuzuÂgeÂben. Ein Team hat dann Erfolg, wenn alle FehÂler machen dürÂfen, ohne dass dieÂse FehÂler das ErgebÂnis gefährÂden. Das bedeuÂtet: Wenn jemand einen FehÂler macht, finÂdet die NächÂste es herÂaus – und umgeÂkehrt. Zudem ist die ArbeitsÂgeÂschwinÂdigÂkeit wichÂtig. Wie beim MaraÂthon: Zu schnell renÂnen ist verÂheeÂrend, zu langÂsam jedoch auch. Als Chef muss ich die GeschwinÂdigÂkeit richÂtig einÂstelÂlen. Vom Büro aus kann ich das nicht, ich muss raus, mit den LeuÂten spreÂchen. Und dann kann etwas MagiÂsches passieren.
WorÂin liegt dieÂse Magie?
Im James-Webb-Team war es wie in einem guten SportÂteam: Es gewinnt, bevor es den ersten Match gespielt hat. Es gewinnt im Kopf. Das Team weiss, wir könÂnen gewinÂnen, wir haben alles, was wir brauÂchen, wir haben geübt, und wir verÂsteÂhen, was die andeÂren tun. PlötzÂlich hat man einen Sieg, dann den nächÂsten, und auf einÂmal hat man eine richÂtiÂge SieÂgesÂsträhÂne. Das gibt eine unglaubÂliÂche MotiÂvaÂtiÂon, und das Team wird immer besÂser. Beim James-Webb-TeleÂskop hatÂten wir mit unglaubÂliÂchen ProÂbleÂmen zu kämpÂfen. Zum BeiÂspiel mussÂte sich das TeleÂskop als GanÂzes erst ausÂfalÂten, als es bereits im All war. Kein SpeÂziaÂlist konnÂte mir vorÂausÂsaÂgen, ob das gut gehen würÂde. Das Team mussÂte unerÂwarÂteÂte ProÂbleÂme innerÂhalb von StunÂden oder gar MinuÂten lösen. Das TeleÂskop konnÂte sich perÂfekt ausÂfalÂten. So etwas gehört für mich zu den schönÂsten Erfahrungen.
Sie solÂlen bei der Nasa zwei PerÂsoÂnen angeÂstellt haben, die geraÂde auch Ihnen gegenÂüber als LeiÂter Nein sagen sollÂten. Stimmt das?
Ja, absoÂlut.
Haben Sie solÂche LeuÂte auch jetzt neben sich an der ETH Zürich?
Ich ermunÂteÂre auch hier meiÂne MitÂarÂbeiÂteÂrinÂnen und MitÂarÂbeiÂter, mir zu widerÂspreÂchen. AllerÂdings habe ich momenÂtan nicht jeden Tag EntÂscheiÂde zu trefÂfen, die eine rieÂsiÂge TragÂweiÂte haben und bei denen es auch nicht um so hohe GeldÂsumÂmen geht wie bei der Nasa. Die HitÂze des Gefechts ist geraÂde nicht ganz so gross.
Der Stern von BethÂleÂhem führt in der Bibel MenÂschen auf einen Weg. Haben SterÂne eine BotÂschaft?
Ich weiss es nicht. Für mich nicht. Vor TauÂsenÂden von JahÂren war ReliÂgiÂon tatÂsächÂlich stärÂker verÂbunÂden mit dem Blick in die SterÂne. Für mich allerÂdings macht, astroÂnoÂmisch geseÂhen, die AstroÂloÂgie keiÂnen Sinn. Wenn ich eine BotÂschaft in den SterÂnen lese, dann die von der SchönÂheit der Natur.
Hat der SterÂnenÂhimÂmel also keiÂne spiÂriÂtuÂelÂle BedeuÂtung?
Wenn ich 1’000 AstroÂphyÂsiÂkeÂrinÂnen und AstroÂphyÂsiÂker fraÂge: «Wer ist hier gläuÂbiÂger Christ?», gibt es HänÂde, die hoch gehen. FraÂge ich: «Wer ist AtheÂist?», dann gehen auch HänÂde hoch. TatÂsaÂche ist, gute WisÂsenÂschaft hängt nicht davon ab, ob jemand gläuÂbig ist oder nicht.
Wo würÂde Ihre Hand hochÂgeÂhen?
Wenn ich die Natur anschaue, dann sehe ich Muster und Regeln darÂin, die mir wichÂtiÂger vorÂkomÂmen als jeder EinÂzelÂne und wir alle gemeinÂsam. Ich sage dem nicht unbeÂdingt Gott oder den Namen eines speÂziÂfiÂschen GotÂtes einer ReliÂgiÂon, aber ich kann gut verÂsteÂhen, wie andeÂre das tun. Für mich gibt es dieÂse höheÂre OrdÂnung, die dort ist.
Ihr Vater war ein evanÂgeÂliÂscher PreÂdiÂger. Was von dem, was Sie von ihm gehört und geseÂhen haben, ist für Sie bis heuÂte wesentÂlich?
Mein Vater war unglaubÂlich gut darÂin, MenÂschen davon zu überÂzeuÂgen, an das WarÂum zu denÂken. Er konnÂte MenÂschen auch sehr gut verÂsteÂhen. Und er war absoÂlut ehrÂlich. Er hat immer verÂsucht zu tun, was er sagÂte und preÂdigÂte. An seiÂner BeerÂdiÂgung waren 450 LeuÂte, und vieÂle von ihnen sagÂten mir, mein Vater habe ihr Leben zum PosiÂtiÂven verÂänÂdert. Wenn ReliÂgiÂon so ist, habe ich wirkÂlich kein ProÂblem damit. Für mich hat ReliÂgiÂon viel mehr mit Taten zu tun als mit Worten.
Wird die Erde eines Tages unbeÂwohnÂbar sein? Wie reaÂliÂstisch ist es, dass MenÂschen dann zum Mars flieÂgen, um dort zu leben?
In fünf MilÂliÂarÂden JahÂren ist die Erde nicht mehr bewohnÂbar, weil die SonÂne uns keiÂnen TreibÂstoff zum Leben mehr geben kann. Die FraÂge ist allerÂdings: PasÂsiert schon früÂher etwas – weil wir selbst die Erde negaÂtiv beeinÂflusÂsen oder weil eine KataÂstroÂphe aus dem WeltÂraum kommt? Alles ist mögÂlich, wir sehen dies überÂall. Ich finÂde es schwieÂrig, den Mars zu sehen, als wäre er eine Ersatz-Erde. Der Mars ist ganz anders bezügÂlich seiÂner LebensÂfreundÂlichÂkeit. Ich finÂde, wir sollÂten den Mars unbeÂdingt erforÂschen. Aber wir sollÂten uns in erster Linie darÂauf konÂzenÂtrieÂren, unseÂre Erde zu beschütÂzen, weil alle, die wir lieÂben, hier sind, weil unseÂre KinÂder hier leben und hofÂfentÂlich auch noch deren Kinder.