Je ein Qua­drat­me­ter Leben und Tod

Sie zie­hen in ihren Bann. Schwarz­weiss­fo­tos vol­ler Zärt­lich­keit und Wür­de; irri­tie­rend und her­aus­for­dernd. Je zwei Por­träts eines Men­schen: Eines vor, eines nach dem Ster­ben. Eine Ein­la­dung zur Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Tod.Wer ein Gru­sel­ka­bi­nett erwar­tet, wird eben­so ent­täuscht wer­den wie jemand, der Ver­klä­ren­des erwar­tet. Fried­lich. Das ist der erste Ein­druck. Eine Pro­jek­ti­on, denn der Tod ist oft nicht fried­lich, das Ster­ben nicht ein­fach. Des­halb sind die erklä­ren­den Tex­te neben den Fotos so wich­tig. Sie stel­len die Men­schen auf den Bil­dern vor und erzäh­len deren Geschich­te. «Sie ord­nen die Per­so­nen und ihren Tod in den tat­säch­li­chen Zusam­men­hang ein», sagt Bea­te Lakot­ta. Sie ist Jour­na­li­stin beim deut­schen Maga­zin «Der Spie­gel» und Part­ne­rin von Wal­ter Schels. Der ist Foto­graf, ver­wirk­lich­te zahl­rei­che foto­gra­fi­sche Cha­rak­ter­stu­di­en von Mensch und Tier und die ein­drück­li­chen Por­träts, die nun in Don Bosco Basel hän­gen. Vor rund zehn Jah­ren setz­ten sie ihr Pro­jekt um: Das Paar besuch­te Men­schen in Hos­pi­zen in Ham­burg und Ber­lin. Knüpf­te behut­sam Kon­takt zu Tod­kran­ken und bat um Erlaub­nis, Fotos zu machen. Dar­aus ent­stand die Aus­stel­lung «Noch mal leben».Ohne Scheu und AngstBea­te Lakot­ta und Wal­ter Schels haben mit ihrer Arbeit eine berüh­ren­de und her­aus­for­dern­de Aus­stel­lung geschaf­fen und sie haben einen Schatz an Geschich­ten und Erleb­nis­sen gesam­melt. Die Men­schen wur­den zu einer Art erwei­ter­ter Fami­lie, erzählt Bea­te Lakot­ta. Bei­de spre­chen mit Namen von den Por­trä­tier­ten und ver­stär­ken so den Ein­druck in einer sehr leben­di­gen Gesell­schaft zu ste­hen. Wich­tig war ihnen, das in sie gesetz­te Ver­trau­en nicht zu ent­täu­schen. «Sie konn­ten ja beim zwei­ten Por­trät nicht mehr prü­fen, was wir tun», erklärt Bea­te Lakot­ta. Foto­gra­fiert wur­de, wie es in den Ablauf nach dem Tod pass­te. Wal­ter Schels erin­nert sich zurück, dass er an Gren­zen stiess: «Für ein Foto muss ich erhöht ste­hen. Doch auf dem Bett eines Toten ste­hen? Ich habe gemerkt, da kom­me ich an eine Gren­ze, ich muss es anders machen.» Sie fin­gen an die Toten auf­zu­set­zen. So, wie es schon frü­her in den 1920er Jah­ren von Foto­gra­fen gemacht wur­de. Ob das nicht pie­tät­los sei? «Nein», sagt Bea­te Lakot­ta und fährt fort: «Ich den­ke, vie­les, was wir als pie­tät­los bezeich­nen, ist eigent­lich Abwehr. Weil wir uns nicht aus­ein­an­der­set­zen wol­len.»In der SchweizDas Pro­jekt ist preis­ge­krönt, die Bil­der haben eine Welt­rei­se hin­ter sich. In aller Her­ren Län­der sind Men­schen fas­zi­niert von den Fotos und haben sich auf das The­ma ein­ge­las­sen. Die Reak­tio­nen sind immer gleich gut – sogar in Chi­na, einem Land in dem der Tod ein Tabu ist. «Es gibt das Buch in chi­ne­si­scher, japa­ni­scher und sogar korea­ni­scher Über­set­zung. Nicht aber in Eng­lisch. Es fand sich kein Über­set­zer und kein Ver­lag für das schwe­re The­ma», sagt Wal­ter Schels. Peter Zürn, Ver­ant­wort­li­cher für den Bereich Spi­ri­tua­li­tät bei der Fach­stel­le katho­lisch bl.bs, hol­te gemein­sam mit den Ver­ant­wort­li­chen der Pfar­rei­en Bru­der Klaus in Lies­tal und Hei­lig Geist in Basel die Aus­stel­lung in die Bis­tums­re­gi­on Sankt Urs. Der Umgang mit dem Tod und der eige­nen Sterb­lich­keit ist ein Tabu, das nur lang­sam auf­bricht; die Aus­stel­lung und das umfang­rei­che Rah­men­pro­gramm wol­len dazu bei­tra­gen.Moder­ne Totenmasken«Vor hun­dert Jah­ren hät­ten Sie mit der Aus­stel­lung nie­man­den hin­ter dem Ofen her­vor­ge­lockt. Noch 1928 wur­den in Mün­chen ganz selbst­ver­ständ­lich Tote zum Foto­gra­fen gefah­ren. Quer durch die Stadt», erklärt Bea­te Lakot­ta. Eben­falls nor­mal war lan­ge Zeit die exak­te Dar­stel­lung des gekreu­zig­ten Chri­stus inklu­si­ve Lei­chen­flecken. Künst­ler mal­ten sie ohne Berüh­rungs­äng­ste in Lei­chen­häu­sern ab; es soll­te rea­li­stisch aus­se­hen. Eine ande­re Tra­di­ti­on war die der Toten­mas­ken. Wie selbst­ver­ständ­lich wur­den sie vom Gesicht eines Ver­stor­be­nen abge­nom­men und an die Wand gehängt. «Wenn man liest, wie das bei Napo­le­on vor sich ging — da wur­de das Gesicht ein­ge­schmiert, Gips auf­ge­bracht. Die­se Mas­ke muss­te dann auf­ge­schnit­ten und abge­nom­men wer­den. Sie sass fest wie eine Saug­glocke, das war eine hand­fe­ste Ange­le­gen­heit», beschreibt Bea­te Lakot­ta den Pro­zess. Die Fotos sind letzt­lich also nichts wei­ter, als eine moder­ne Adap­ti­on einer lan­gen Tra­di­ti­on.Äng­ste überwindenDie Beweg­grün­de für die Bil­der und Tex­te waren bei Bea­te Lakot­ta und Wal­ter Schels per­sön­li­cher Natur. Im Jahr 1936 gebo­ren, ist Wal­ter Schels durch Kriegs­er­fah­run­gen geprägt. «Ich habe so vie­le Tote und Sär­ge gese­hen. Mir hat das Angst gemacht», sagt er. Aus­ser­dem der gros­se Alters­un­ter­schied der Part­ner: «Sta­ti­stisch gese­hen ist es wahr­schein­lich, dass Wal­ter vor mir stirbt», sagt Bea­te Lakot­ta, Jahr­gang 1965, mit einem Sei­ten­blick auf ihren Mann. Hat es funk­tio­niert? Ist die Angst weni­ger gewor­den? Wal­ter Schels lächelt. «Ich kann sagen, dass ich mei­ne Angst über­wun­den habe, ja.» Er schaut Bea­te Lakot­ta an, die etwas nach­denk­li­cher erklärt: «Ich weiss nicht, ob es bes­ser gewor­den ist. Kurz nach dem Pro­jekt war es sogar fast schlim­mer. Die Angst vor dem Getrennt­sein, ist nach wie vor da.» Ambi­va­lenz schwingt mit, wenn sie wei­ter erzählt und sagt, dass die ste­te Beschäf­ti­gung mit dem The­ma auch bela­stend sein kön­ne. Irgend­wann müs­se es gut sein. «Ich möch­te auch mal einen Tag haben, an dem ich nicht an den Tod den­ken muss», sagt Wal­ter Schels.Vor­be­rei­ten auf den Tod Das Tabu mutet manch­mal absurd an. Einer­seits wird der ver­stor­be­ne Papst in Gross­auf­nah­me im Fern­se­hen gezeigt, ande­rer­seits sind sich katho­li­sche Gemein­schaf­ten nicht sicher, ob sie die Aus­stel­lung beher­ber­gen wol­len. Im Fern­se­hen tanzt der Tod tag­täg­lich und rund um die Uhr über den Bild­schirm. Es ist also kein Tabu, den Tod zu zei­gen. Doch im Fern­se­hen ist der Tod Fol­ge von Gewalt. Das Aus­ser­ge­wöhn­li­che der Aus­stel­lung ist gleich­zei­tig das Beäng­sti­gen­de: Es geht um den Tod, der jeden von uns tref­fen kann. Den Tod nach einer Krebs­er­kran­kung. Den nor­ma­len Tod. Und der ist tabu. Soll man sich also auf das Ster­ben vor­be­rei­ten? Stimmt der Satz des Pal­lia­tiv­me­di­zi­ners Gian Dome­ni­co Bor­a­sio, den die Ver­an­stal­ter in Basel zitie­ren: «Die Vor­be­rei­tung auf das Ster­ben ist die beste Vor­be­rei­tung auf das Leben»? Und: Hel­fen Glau­be und Reli­gi­on? Bea­te Lakot­ta ist vor­sich­tig. «Ein­mal kann ich nie­man­den zwin­gen, sich mit dem The­ma zu beschäf­ti­gen. Das muss jeder für sich ent­schei­den. Und was den Glau­ben angeht: Das ist unter­schied­lich. Wir haben Men­schen getrof­fen, die nicht glaub­ten und dem Tod sehr gelas­sen gegen­über­tra­ten. Und es gab Men­schen, die sehr stark geglaubt haben, und es war ihnen kei­ne Hil­fe, weil sie Angst vor der Höl­le hat­ten. Oder die war­te­ten, dass Gott sie end­lich holt und dann geschah nichts.»Nur eine RichtungEs befrem­det, dass in einer Welt, in der alles wis­sen­schaft­lich erforscht und genau unter­sucht und damit in vie­len Punk­ten ent­zau­bert wird, der Tod in der jün­ge­ren Geschich­te in bered­tes Schwei­gen gehüllt bleibt. ‚Schla­fes Bru­der‘ ist eine Umschrei­bung. Oft liest man in Todes­an­zei­gen ‚ist sanft ent­schla­fen‘ oder ‚ist heim­ge­gan­gen‘. Ver­stor­be­ne wer­den kaum mehr auf­ge­bahrt; die Ein­übung in das The­ma ist kaum mehr mög­lich. Auch die Hos­pi­ze ach­ten auf For­mu­lie­run­gen; spre­chen teil­wei­se von ‚Gästen‘. Selbst man­che Tod­kran­ken, die wis­sen, dass sie das Hos­piz nicht lebend ver­las­sen wer­den, drän­gen den eige­nen Tod weg. «Wir muss­ten sehr vor­sich­tig mit unse­rer Spra­che sein. Wir haben nie von ‚Tod‘ gespro­chen, son­dern gesagt: ‚wenn Sie nicht mehr da sind‘», erklärt Wal­ter Schels. Bea­te Lakot­ta und Wal­ter Schels erleb­ten man­che Abwehr­re­ak­ti­on. «Wir kön­nen uns schlicht nicht vor­stel­len, dass wir irgend­wann nicht mehr da sind», sagt Bea­te Lakot­ta. Und so kommt es, dass eine ster­bens­kran­ke Frau Pass­bil­der machen lässt, weil sie mit ihrem Schwer­be­hin­der­ten­aus­weis bil­li­ger ins Thea­ter gehen kann. Wal­ter Schels, der lan­ge Zeit Gebur­ten foto­gra­fier­te, sagt spä­ter im Gespräch: «Dabei sind die Gesich­ter der Neu­ge­bo­re­nen oft nicht schön und nicht so ent­spannt wie die Gesich­ter der Toten. Es ist ein gros­ser Bogen und es gibt nur die­se eine Rich­tung. Der Mensch, ein­mal in die Welt gebo­ren, ist gezwun­gen zu ster­ben.» Wahr­ha­ben will der Mensch das nicht. In kei­ner Kul­tur wol­len die Men­schen ster­ben.Anne Burg­merwww.noch-mal-leben-basel.ch
Anne Burgmer
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