In Wet­tin­gen füh­len sich Frei­kir­chen wohl

In Wet­tin­gen füh­len sich Frei­kir­chen wohl

  • Mit der Pfingst­mis­si­on Baden-Wet­tin­gen, der Bap­ti­sten­ge­mein­de, der Frei­en Evan­ge­li­schen Gemein­de Baden-Wet­tin­gen (FEG), den Mor­mo­nen und der Neu­apo­sto­li­schen Kir­che sind in Wet­tin­gen fünf Frei­kir­chen vertreten.
  • Die frei­kirch­li­che Sze­ne wächst. Allein die Bap­ti­sten konn­ten in den ver­gan­ge­nen vier Jah­ren die Zahl der Got­tes­dienst­be­su­cher verdoppeln.
 Am Sonn­tag­mor­gen um zehn dringt Musik aus dem Gemein­de­zen­trum «Bethel», wie das Got­tes­haus der Pfingst­mis­si­on Baden-Wet­tin­gen an der Semi­nar­stras­se 37 heisst. Vor­ne im Chor­raum spielt mit viel Schmiss eine jun­ge Band mit Bass und Schlag­zeug, flan­kiert von einem gros­sen illu­mi­nier­ten Kreuz. In den Bän­ken sind auf­fal­lend vie­le jun­ge Leu­te zu sehen. Bei den Songzei­len gehen ihre Hän­de in die Höhe, der Kör­per wippt im Takt der Musik.Cori­na Peter, seit 2015 im «Bethel» Pasto­rin, sagt: «Für uns ist wich­tig, dass Men­schen in unse­ren Got­tes­dien­sten Gott ken­nen ler­nen kön­nen und der Glau­be erleb­bar ist.» Seit ihrer Kind­heit ist die 31-Jäh­ri­ge mit die­ser Gemein­de ver­bun­den. Sonn­tags ist Cori­na Peter, die mit 16 einen bös­ar­ti­gen Tumor im rech­ten Knie über­stand, viel­be­schäf­tigt. Bei­spiels­wei­se hält sie im Anschluss an den Got­tes­dienst den «GROW Ent­wick­lungs­pfad», wobei Inter­es­sier­te in vier Schrit­ten mehr über die Pfingst­ge­mein­de ler­nen kön­nen.

«Anten­ne Got­tes» auf dem Dach

Cori­na Peter weiss: Die Pfingst­ge­mein­de hat eine beweg­te Geschich­te. Die ersten Tref­fen der Pfingst­ge­mein­de fan­den 1928 in Pri­vat­häu­sern in Wet­tin­gen statt. 1938 konn­te ein Lokal im Bahn­hof Ober­stadt in Baden gemie­tet wer­den. Weil die Bahn für ihre neue Strecke von Baden nach Zürich Platz brauch­te, wur­de das Lokal abge­ris­sen. 1959 konn­te die Pfingst­ge­mein­de an der Gren­ze zu Baden eine Kapel­le bau­en. 1991 ent­stand das Gemein­de­zen­trum «Bethel» in der heu­ti­gen Form mit sei­nem mar­kan­ten Dach, auf dem eine Spit­ze wie eine Zünd­na­del in den Him­mel ragt. Eine Frau in der Gemein­de nennt sie «Anten­ne Got­tes».Heu­te ist das «Bethel« eine pro­spe­rie­ren­de Gemein­de. Cori­na Peter sagt: «Wir wach­sen ste­tig. Ein­mal im Monat fin­det hier eine Erwach­se­nen­tau­fe statt.» Unter der Woche tref­fen sich im Bethel vie­le unter­schied­li­che Grup­pen. Was zieht die Leu­te an die­sen Ort? Cori­na Peter meint: «Unse­ren Fokus auf Jesus und Got­tes Wort sehen wir als ent­schei­dend an. Die Leu­te ent­decken uns durchs Inter­net oder sehen unse­re Pla­ka­te mit den inter­es­san­ten Slo­gans im Schau­ka­sten.»

Neu­apo­sto­li­sche Kir­che tritt selbst­be­wuss­ter auf

Viel Betrieb herrscht Sonn­tags auch an der Wet­tin­ger Alten­burg­stras­se, wenn in der Neu­apo­sto­li­schen Kir­che Got­tes­dienst ist. Von über­all her aus der Regi­on kom­men die Gläu­bi­gen, seit 2013 die Gemein­de Mel­lin­gen auf­ge­löst und in die Gemein­de Baden-Wet­tin­gen inte­griert wur­de. Dar­un­ter sind auch Far­bi­ge, die die­se Kir­che durch Mis­si­ons­ar­beit bereits in Afri­ka ken­nen gelernt haben.An der Ein­gangs­tür der statt­li­chen Frei­kir­che steht Robert Stumpf. Der Wet­tin­ger arbei­tet als Gemein­de­seel­sor­ger in der Neu­apo­sto­li­schen Kir­che, in der er seit 1983 aktiv ist. Der frü­he­re Katho­lik nennt sich selbst einen «neu­apo­sto­li­schen Quer­ein­stei­ger». Der 64-Jäh­ri­ge fand hier Hei­mat durch sei­ne spä­te­re Frau. Auch der neu­apo­sto­li­sche Glau­be, bei dem «die Wie­der­kunft Jesu» im Zen­trum steht, sagt ihm zu. Die 1909 in Baden gegrün­de­te Gemein­de wuchs so stark, dass sie nach Brugg und Baden hin auf­ge­teilt wur­de. 1958 wur­de in Wet­tin­gen das neue, in Weiss gehal­te­ne Got­tes­haus mit der mar­kan­ten Front errich­tet.Robert Stumpf hat in den letz­ten Jah­ren mit­er­lebt, wie die neu­apo­sto­li­sche Gemein­de, die lan­ge eher lei­se daher kam, aus ihrem Schat­ten­da­sein her­aus­tre­ten konn­te. Er sagt: «Es gab eine Zeit, da hat­te man­cher das Gefühl: Ich darf nie­man­dem sagen, in wel­cher Kir­che ich mich enga­gie­re. Das hat sich in den letz­ten Jahr­zehn­ten aber sehr ver­än­dert. Auch hier in Wet­tin­gen.»Jedes Mit­glied, so Robert Stumpf, erhal­te min­de­stens ein­mal jähr­lich Besuch von einem «Haus­seel­sor­ger». Robert Stumpf freut sich, dass es unlängst wie­der zu einer «Ver­sie­ge­lung» eines Erwach­se­nen gekom­men sei. Das ent­spricht in etwa der Fir­mung bei den Katho­li­ken.

Bap­ti­sten ver­dop­pel­ten Got­tes­dienst­be­su­cher in vier Jahren

Auch bei den Bap­ti­sten haben sich die Besu­cher­zah­len im Got­tes­dienst in den letz­ten vier Jah­ren mehr als ver­dop­pelt. Wer den Sonn­tags­got­tes­dienst im Gemein­de­haus an der Neu­stras­se in Wet­tin­gen besucht, sieht knapp hun­dert Leu­te jeg­li­chen Alters in den Bän­ken.«Als ich hier­her kam, gab es gera­de mal vier Kin­der, heu­te sind es 33», freut sich Pastor Jür­gen Wolf. Der Schwa­be, der seit acht Jah­ren die Gemein­de lei­tet, fühlt sich wohl in Wet­tin­gen. In der Schweiz sind die Bap­ti­sten eine klei­ne Reli­gi­ons­ge­mein­schaft — es gibt nur 12 Gemein­den. In den USA hin­ge­gen stel­len die Bap­ti­sten die gröss­te kirch­li­che Grup­pe über­haupt.Eng sei der Zusam­men­halt unter den Gläu­bi­gen gewe­sen, als die Bap­ti­sten 1953 ein Grund­stück an der Neu­stras­se erwer­ben konn­ten, wo sie eine Kapel­le bau­ten. Ein BBC-Inge­nieur hat­te es der Gemein­de über­las­sen. Seit­dem hat die­se eini­ge Aufs und Abs erlebt. Kon­zer­ne im Lim­mat­tal zogen aus­län­di­sche Arbeits­kräf­te an, die auch in Wet­tin­gen ihren Glau­ben prak­ti­zie­ren woll­ten.Das Wich­tig­ste für die Bap­ti­sten ist der Got­tes­dienst, in dem, so Jür­gen Wolf, das Sin­gen von Lob­lie­dern sowie Gebe­te und Glau­bens­zeug­nis­se beson­de­re Bedeu­tung haben. «Wir glau­ben noch, was in der Bibel steht», betont Jür­gen Wolf. Das ern­tet offen­bar Zuspruch. Heu­te tref­fe man am Sonn­tags­got­tes­dienst «vom Obdach­lo­sen bis zum inzwi­schen pen­sio­nier­ten Vize­prä­si­den­ten bei ALSTOM alles an.» Sehr schön sei auch, so der Deut­sche, «dass sich 15 ver­schie­de­ne Natio­nen begeg­nen, die sich mit ihren unter­schied­li­chen Kul­tu­ren und Tem­pe­ra­men­ten berei­chern und ergän­zen.»

Vom Sek­ten­stig­ma zum öku­me­ni­schen Miteinander

Unter den Frei­kir­chen herrscht ein reger Aus­tausch. Etwa zehn Frei­kir­chen sind in der Evan­ge­li­schen Alli­anz Baden-Wet­tin­gen (EABW) ver­sam­melt. Nur zu den Mor­mo­nen in Wet­tin­gen haben fast alle Frei­kir­chen wenig bis kaum Kon­takt. Neben regel­mäs­si­gen Tref­fen der Pasto­ren gibt es auch grös­se­re Events wie Jun­gend­got­tes­dien­ste oder das «WOW GOD-Festi­val», das 2016 medi­en­wirk­sam im Tra­fo in Baden über die Büh­ne ging.Die Bezie­hun­gen zu den drei Lan­des­kir­chen, die in Wet­tin­gen ver­tre­ten sind, gestal­ten sich bei den ein­zel­nen Frei­kir­chen unter­schied­lich. Bap­ti­sten-Pfar­rer Jür­gen Wolf bezeich­net sie «als recht gut». Wäh­rend die Pfingst­ge­mein­de nur wenig Kon­takt zu den Lan­des­kir­chen pflegt, spricht Robert Stumpf von «ver­mehrt enge­ren Kon­tak­ten» in den letz­ten Jah­ren. Seit April 2014 besitzt die Neu­apo­sto­li­sche Kir­che zudem Gast­sta­tus in der Arbeits­ge­mein­schaft Christ­li­cher Kir­chen in der Schweiz (AGCK). Robert Stumpf sagt: «Das Ver­hält­nis zu den Lan­des­kir­chen ist heu­te bes­ser, weil wir mitt­ler­wei­le von ihnen akzep­tiert sind. Frü­her waren für sie vie­le Frei­kir­chen ein­fach nur Sek­ten. Heu­te ist ein öku­me­ni­sches Mit­ein­an­der da.»
Andreas C. Müller
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