In Gaza gibt es kei­ne Träu­me mehr

Gaza-Stadt. Trüm­mer­wü­ste. Das Leben dort schreibt kei­ne Schlag­zei­len. Im Ver­gleich zu sei­nen Alters­ge­nos­sen ist er gut dran, sagt Jaw­datt. Der 23-Jäh­ri­ge hat sein Bache­lor-Stu­di­um der eng­li­schen Lite­ra­tur an der Uni­ver­si­tät Gaza abge­schlos­sen, hat eine Prak­ti­kums­stel­le in einem christ­li­chen Kran­ken­haus gefun­den. Mit 400 Dol­lar monat­lich kann er sei­ne Fami­lie unter­stüt­zen. Im Inter­view spricht der Katho­lik über sein Leben als Christ in Gaza, über sei­ne Träu­me und davon, wie er sei­ne Hei­mat und sei­ne Kir­che wei­ter­ent­wickeln will. Wie wich­tig ist Dein Glau­be für Dich? Jaw­datt: Ich bin stolz, Christ zu sein und sehr, sehr stolz, Katho­lik zu sein. Als Papst Fran­zis­kus mit dem jor­da­ni­schen Hub­schrau­ber direkt nach Beth­le­hem gekom­men ist, hat er gezeigt, dass Palä­sti­na ein unab­hän­gi­ger Staat ist. Er hat sich gewei­gert, über den Flug­ha­fen Ben Guri­on nach Palä­sti­na zu rei­sen. Wir sind sehr stolz auf ihn.Für vie­le ist die Uni-Zeit eine der besten Zei­ten ihres Lebens. Wie ist es, Stu­dent in Gaza zu sein? Die Stu­di­en­zeit war eine sehr schwie­ri­ge Zeit. Mein Bru­der und ich waren zur glei­chen Zeit an der Uni­ver­si­tät. Die Stu­di­en­ge­büh­ren sind hoch im Ver­gleich zu den Gehäl­tern, beson­ders, wenn man wie mei­ne Fami­lie zur Mie­te wohnt. Ich hat­te qua­si kein Stu­den­ten­le­ben. Von mei­ner Erfah­rung muss ich sagen, die Schul­zeit war bes­ser. Da war ich noch klein.Du hast Dein Bache­lor-Stu­di­um abge­schlos­sen. Was sind Dei­ne Pläne? Ich möch­te mich wei­ter­ent­wickeln. Ich will eine bes­se­re Zukunft, aber ich sehe kei­nen Weg in Gaza.Du willst raus aus Gaza? Ja.Kannst Du raus? Nein. Ich kann Gaza nicht via Isra­el ver­las­sen, weil ich kei­ne 35 Jah­re alt bin. Und Ägyp­ten hat die Gren­ze geschlos­sen. Wenn Men­schen dies hören, wer­den sie sagen, eines Tages wer­den die Gren­zen offen sein, du darfst die Hoff­nung nicht ver­lie­ren. Fakt ist aber, dass wir in einem Gefäng­nis leben. Was mei­ne Freun­de aus­ser­halb mir über das Leben erzäh­len, haben wir nicht in Gaza. Wir haben kein nor­ma­les Leben. Wenn ich sehe, dass ande­re Leu­te aus Gaza Aus­rei­se­ge­neh­mi­gun­gen erhal­ten, glau­be ich, dass es Abma­chun­gen zwi­schen der ortho­do­xen Kir­che und Isra­el gibt, damit wir Chri­sten nicht aus­rei­sen dür­fen.Wes­halb soll­ten sie das tun? Die mei­sten haben Angst, dass wir aus­wan­dern, wenn wir Gaza ver­las­sen. Nein. Sie soll­ten wis­sen, dass wir unse­re Fami­li­en hier haben. Wir müs­sen wie­der­kom­men. Dies ist das Land Jesu, das Land der Chri­sten, das kön­nen wir nicht ein­fach ver­las­sen. Viel­leicht wür­den wir in die West­bank zie­hen. Aber das kann man nicht Emi­gra­ti­on nen­nen. Es ist Teil des glei­chen Lan­des, Palä­sti­na.Wenn es kein nor­ma­les Leben in Gaza gibt, wie sieht das Leben eines jun­gen Men­schen in Gaza dann aus? Ich gehö­re zur Mit­tel­klas­se hier in Gaza. Ich kann zum Bei­spiel in Restau­rants gehen. Aber ich kann nicht mit mei­ner Freun­din oder einem Mäd­chen gehen. In Gaza kön­nen nur wir Jungs für uns sein und die Mäd­chen für sich. Andern­falls wür­de die Fami­lie des Mäd­chens ihr gros­se Pro­ble­me machen. Also ist Aus­ge­hen nicht beson­ders auf­re­gend. Ich habe kei­ne gros­sen Lei­den­schaf­ten, etwa etwas zu lesen oder so. Ich den­ke vor allem über mei­ne Zukunft nach und was ich tun kann. Soll ich wirk­lich hier für 400 Dol­lar im Monat arbei­ten? Dabei bin ich noch ver­gleichs­wei­se gut dran. Wenn ich um mich her­um schaue, sehe ich eine gan­ze Rei­he von Jungs, 27, 30, 31 Jah­re alt und ohne Job. Ist das mei­ne Zukunft? Ist das mein Traum? Als ich klein war und mei­ne Eltern mich frag­ten, was ich ein­mal wer­den will, habe ich geant­wor­tet, viel­leicht Arzt, oder Inge­nieur. Heu­te haben wir nichts von alle­dem. In Gaza gibt es kei­ne Träu­me mehr.Auch die jun­gen Men­schen nicht? Ich kann nur von mei­nem Traum erzäh­len. Ich will einen Master machen, damit mein Vater stolz auf mich ist. Dann will ich zurück nach Palä­sti­na, um mein Land und mei­ne Kir­che wei­ter­zu­ent­wickeln. Mei­ne Gene­ra­ti­on von Chri­sten hier hat­te nie die Chan­ce, sich so zu qua­li­fi­zie­ren, dass Men­schen sagen. “Die­se Chri­sten sind unglaub­lich.” Die frü­he­ren Gene­ra­tio­nen hat­ten die Chan­ce, über­all hin­zu­ge­hen und etwas wirk­lich Wich­ti­ges zu stu­die­ren. Noch heu­te gibt es Men­schen in Gaza, die sagen “Ja, ich ken­ne Dok­tor Flan. Er ist Christ”. Mei­ne Gene­ra­ti­on hat nicht die Chan­ce, Fer­tig­kei­ten zu erler­nen, die sie in die Gesell­schaft ein­brin­gen kann.Also eine ver­lo­re­ne Generation? Wir sind eine ver­lo­re­ne Gene­ra­ti­on, weil wir kein nor­ma­les Leben haben. Aber wir sind auch eine erfah­re­ne Gene­ra­ti­on. Wir wis­sen mehr, als alle ande­ren in der Welt über die har­ten Umstän­de des Lebens. An wel­chen Ort in der Welt Du mich auch bringst, ich kann mit der Situa­ti­on umge­hen, weil ich die­se Erfah­rung habe. Bring mich nach Soma­lia, nach Ame­ri­ka, nach Lon­don: Ich kann dort leben.Trotz­dem willst Du zurück nach Gaza. Ich will mit einem guten Abschluss zurück­kom­men und das Land oder eine christ­li­che Orga­ni­sa­ti­on lei­ten, um so allen Men­schen zu hel­fen. Das ist es, was Jesus von uns will. Wie kön­nen wir zur Ver­brei­tung des Chri­sten­tums bei­tra­gen? Nicht indem wir von Jesus oder der Bibel reden, son­dern durch unse­re Hal­tung gegen­über den Men­schen.Wenn Du jeman­den um Hil­fe bit­ten könn­test, um was wür­dest Du bitten? Ich will kein Geld. Ich will mein Geld mit mei­ner Arbeit ver­die­nen. Wenn mir jemand hel­fen will, dann mit einem Sti­pen­di­um oder mit einer Ein­la­dung ins Aus­land. Wenn ich das mei­nen Freun­den aus­ser­halb sage, dann sagen sie, sie kön­nen mir nicht hel­fen, weil sie sonst Schwie­rig­kei­ten bekom­men. Oder sie sagen, sie sei­en gera­de sehr beschäf­tigt und ver­ab­schie­den sich. Ich will mich nicht schwach füh­len, nur weil das Leben hier nicht so befrie­di­gend ist wie im Aus­land und ich im Krieg lebe.Sehen Dei­ne Freun­de das auch so wie Du? Hun­dert­pro­zen­tig! Und ehr­lich gesagt: Ich wür­de ger­ne mal all die Spen­der tref­fen, um ihnen zu sagen: Wir wol­len kei­ne Lebens­mit­tel­pa­ke­te, kein Was­ser. Wir wol­len ein ech­tes Pro­jekt hier in Gaza. Wir wol­len der Jugend ermög­li­chen, sich zu qua­li­fi­zie­ren und das Land mit Lie­be und Frie­den zu kon­trol­lie­ren. Nicht alle von uns unter­stüt­zen die Gewalt. Auch die mei­sten Mus­li­me hier sind auf­ge­schlos­sen. Viel­leicht erlaubt es ihre Reli­gi­on ihnen, zu töten. Aber wir wol­len nicht töten. Die mei­sten Men­schen hier, Mus­li­me und Chri­sten, wol­len kein Mor­den, kein Töten und all dies. Wir wol­len ein nor­ma­les Leben.Du hast vom Krieg gespro­chen. Wie hast du die­sen Krieg erlebt? Mein gan­zes Leben ist Krieg. Ich wur­de 1992 gebo­ren. 2000 begann die zwei­te Inti­fa­da. 2008 war ich noch in der Schu­le. Mei­ne Eltern waren mit Weih­nachts­rei­se­ge­neh­mi­gun­gen ins West­jor­dan­land gefah­ren, ich bin bei mei­ner Tan­te geblie­ben. Ich war 17 Jah­re alt und bekam kei­ne Rei­se­ge­neh­mi­gung. Es war zwei Tage vor Weih­nach­ten, als die Bom­bar­die­rung begann. Zuerst hiel­ten wir es für Fake, fal­sche Flug­zeug­ge­räu­sche, wie Isra­el sie manch­mal benutzt. Doch dann sahen wir, dass Krieg herrscht. Die mei­sten Poli­zei­sta­tio­nen in Gaza wur­den attackiert. Mei­ne Eltern hör­ten im Radio davon, dass Krieg ist in Gaza und konn­ten uns nicht errei­chen, weil das Tele­fon­netz beschä­digt war. Als ich an dem Tag bei mei­ner Tan­te ankam, rief die Mut­ter mei­nes besten Freun­des Karim an. Karim ist wie mein Bru­der. Er war nach der Schu­le nicht nach Hau­se gekom­men. Ich woll­te raus­ge­hen und ihn suchen, aber der Mann mei­ner Tan­te hat mich dar­an gehin­dert. Ich war so wütend. Ich woll­te wis­sen, ob mein Freund ver­letzt ist oder viel­leicht tot. Zwei Stun­den spä­ter rief sei­ne Mut­ter erneut an. Karim war hei­le zuhau­se ange­kom­men.Der näch­ste Krieg war 2012. Zu der Zeit war ich im zwei­ten Jahr an der Uni­ver­si­tät. Wir sas­sen im YMCA in Gaza-Stadt und hör­ten ein merk­wür­di­ges Geräusch. Als wir in den Him­mel schau­ten, rea­li­sier­ten wir, dass Rake­ten aus unse­rer Nähe abge­schos­sen wur­den. Es waren unse­re Rake­ten. Palä­sti­nen­si­sche Rake­ten. Wir frag­ten uns war­um, es gab kei­ne Anzei­chen für einen Krieg und der letz­te Krieg war erst weni­ger Jah­re her. Minu­ten spä­ter kamen die F16-Bom­ben aus der Luft, also sind wir nach Hau­se gegan­gen. In die­sem Krieg hat Isra­el ein Sport­sta­di­um weni­ge Meter von unse­rem Haus mit acht F16-Rake­ten ange­grif­fen. Die Was­ser­lei­tun­gen in unse­rem Haus bar­sten durch die Druck­wel­le. Wir haben Tel Aviv ange­grif­fen, sagen sie. Nach zwölf Tagen war der Krieg vor­bei. Ich ging wei­ter zur Uni und mach­te mei­nen Abschluss. Sechs Tage danach begann der 2014-Krieg. Und die­ser Krieg war wirk­lich eine Kata­stro­phe.Was war anders? Jede ein­zel­ne Stel­le in Gaza war von den Rake­ten bedroht. Wir konn­ten nichts als zu Hau­se blei­ben und auf den Tod war­ten. Der Krieg dau­er­te 51 Tage. Nach dreis­sig Tagen spür­te ich, dass psy­chisch etwas nicht in Ord­nung ist. Dreis­sig Tage zuhau­se, Du hörst, dass Dein Freund gestor­ben ist, dass es in die­ser Stras­se einen Tun­nel gibt, dass sie das Haus links von dei­nem bedro­hen. Wir konn­ten nicht mal Bat­te­rien für das Radio kau­fen, um Nach­rich­ten zu hören. Wir konn­ten nicht auf die Stras­se, und die Super­märk­te waren geschlos­sen. Kein Was­ser. Kein Strom. In der letz­ten Nacht des Kriegs haben sie im Radio gesagt, das Al-Muhan­di­sin-Wohn­ge­bäu­de wer­de ange­grif­fen. Es gibt zwei Gebäu­de mit die­sem Namen, in einem davon leben wir. Ich dach­te, wovon reden die? Schliess­lich haben wir beim Roten Kreuz nach­ge­fragt und erfah­ren, dass es um das ande­re Al-Muhan­di­sin ging, nicht um unse­res. Die Situa­ti­on war furcht­bar, wir haben uns alle sehr depri­miert gefühlt. Wir haben in die­sem Krieg viel ver­lo­ren. Heu­te gehe ich ins Fit­ness­stu­dio, um die­se schlech­ten Gefüh­le aus mir raus­zu­be­kom­men.Und die Kir­che in all dem? Die Chri­sten in Gaza haben wäh­rend des letz­ten Kriegs sehr hart gear­bei­tet. Sie haben Men­schen mit Was­ser und Nah­rung ver­sorgt, ihre Schu­len und Kir­chen für Flücht­lin­ge der völ­lig zer­stör­ten Vier­tel geöff­net. Auch die katho­li­sche Kir­che war für Flücht­lin­ge offen. Dann haben sie ein Haus neben der Kir­che ange­grif­fen. Eine Rake­te lan­de­te im Hof der Kir­che. Die Men­schen hat­ten Angst und haben die Kir­che ver­las­sen und in der ortho­do­xen Kir­che und in den Schu­len Schutz gesucht. Als unser jet­zi­ger Pfar­rer, Abouna Jor­ge, nach Gaza kam, hat er vie­le Akti­vi­tä­ten für uns jun­ge Chri­sten orga­ni­siert. Unter sei­nem Vor­gän­ger gab es das nicht. Jetzt sind wir ein­be­zo­gen in das kirch­li­che Leben und sind oft in der Pfar­rei.Was wünschst Du Dei­ner Hei­mat Gaza? Ich wün­sche mir Frie­den, Frie­den und noch­mal Frie­den. Und Frei­heit, nicht nur für mein Land, son­dern für mich, damit ich füh­le, dass ich ein frei­es Leben füh­re.Andrea Krogmann
Anne Burgmer
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