Sag niemals nie!

Sag niemals nie!

Josua 24,1–2a.15–17.18b In jenen Tagen ver­sam­melte Josua alle Stämme Israels in Sichem; er rief die Ältesten Israels, seine Ober­häupter, Richter und Listen­führer zusam­men, und sie trat­en vor Gott hin. ­Josua sagte zum ganzen Volk: Wenn es euch aber nicht gefällt, dem Her­rn zu dienen, dann entschei­det euch heute, wem ihr dienen wollt: den Göt­tern, denen eure Väter jen­seits des Stroms dien­ten, oder den Göt­tern der Amor­it­er, in deren Land ihr wohnt. Ich aber und mein Haus, wir wollen dem Her­rn dienen. Das Volk antwortete: Das sei uns fern, dass wir den Her­rn ver­lassen und anderen Göt­tern dienen. Denn der Herr, unser Gott, war es, der uns und unsere Väter aus dem Sklaven­haus Ägypten her­aus­ge­führt hat und der vor unseren Augen alle die grossen Wun­der getan hat. Er hat uns beschützt auf dem ganzen Weg, den wir gegan­gen sind, und unter allen Völk­ern, durch deren Gebi­et wir gezo­gen sind. Auch wir wollen dem Her­rn dienen; denn er ist unser Gott. Ein­heit­süber­set­zung 

Sag niemals nie!

Vor rund einem hal­ben Jahr hat ein Pater unser Kloster ver­lassen. Die Mit­teilung wurde auf unser­er Web­seite aufgeschal­tet, Ende Juli fol­gte eine kurze Stel­lung­nahme sein­er­seits: «Aus per­sön­lichen Grün­den habe ich das Kloster Mari­astein ver­lassen. … Die Zeit im Kloster war eine gute Zeit und ich bin dankbar dafür. Aber das Herz hat mir einen neuen Weg gewiesen. …» All das hat sein Echo auch in den Medi­en gefun­den.Ich bin immer noch am Über­legen, wie das ist mit den ewigen Gelüb­den, mit heili­gen Schwüren, mit dem Ver­sprechen lebenslänglich­er Treue. In der Bibel lese ich von dem feier­lichen Beken­nt­nis des Josua, damals in Sichem, kurz vor dem Einzug ins Gelobte Land: «Ich und mein Haus, wir wollen dem Her­rn dienen.» Das Volk – die zwölf Stämme Israels – antwortete mit Pathos und Begeis­terung: «Das sei uns fern, dass wir den Her­rn ver­lassen und anderen Göt­tern dienen. … Auch wir wollen dem Her­rn dienen; denn er ist unser Gott.» Ich spüre, wie eine leise Skep­sis in mir hochsteigt, dass ich ein klein wenig auf Dis­tanz gehe gegenüber solch hehren Dekla­ma­tio­nen. Tat­säch­lich kam es ja ganz anders mit dem Volk Israel.Ich erin­nere mich an eine Ehevor­bere­itung. Er, der Mann, war von Beruf Psy­chi­ater. Als ich, gut katholisch, ihm die Unau­flös­lichkeit der Ehe dar­legte, hielt er klipp und klar fest: Diese Auf­fas­sung sei mit seinem beru­flichen Ethos unvere­in­bar; kein Men­sch könne ehrlicher­weise für sich und für andere «Unau­flös­lichkeit» pos­tulieren oder ein lebenslänglich­es Ver­sprechen abgeben. Daraus ergab sich eine span­nende Diskus­sion. Das Paar wurde zur Fam­i­lie und ist heute noch beisam­men. So ist das Leben, unvorherse­hbar.Was passieren kann, wenn der Eifer auf ein­mal kippt und umschlägt, führt uns der Werde­gang des Saulus alias Paulus vor Augen. Sein Leben ist gekennze­ich­net von ein­er radikalen Kon­ver­sion. Der biografis­che Bruch wurde aus­gelöst durch göt­tliche Inter­ven­tion: «Was mir damals ein Gewinn war, das habe ich um Christi willen als Ver­lust erkan­nt. … Seinetwe­gen habe ich alles aufgegeben und halte es für Unrat, um Chris­tus zu gewin­nen und in ihm zu sein» (Philip­per 3,7f).Mehr noch: Selb­st Gott scheint nicht gefeit zu sein gegen abrupte Sin­nesän­derung. Psalm 89 besingt in epis­ch­er Bre­ite und hym­nis­chen Tönen Jah­wes beständi­ge Huld und unver­brüch­liche Treue gegenüber David, seinem Erwählten, mün­det aber in die bit­tere Klage: «Nun aber hast du deinen Gesalbten ver­stossen, ihn ver­wor­fen … hast deinen Bund gebrochen.» Welche Ent­täuschung! Sich anders besin­nen ist offen­bar nicht uns Men­schen vor­be­hal­ten. Die Klugheit rät: «Sag niemals nie!», solange sich nicht der Sargdeck­el über dir schliesst.Freilich, es gilt auf der Hut zu sein gegenüber der Gefahr, in zynis­ches Fahrwass­er zu ger­at­en oder der Beliebigkeit das Wort zu reden. Sophok­les (4. Jh. v.Chr.) lässt in sein­er «Antigone» den Chor kom­men­tieren: «Vieles Gewaltige lebt, doch nichts ist gewaltiger als der Men­sch.» Vielle­icht kön­nte man auch sagen: «Vieles im Leben ist rät­sel­haft, doch nichts ist rät­sel­hafter als der Men­sch.» Der kleine Prinz drückt sich poet­isch aus: «Le cœur a des raisons que la rai­son ne con­naît pas.» Leben­sprak­tisch und befreiend bis ans selig End ist das von Lukas über­lieferte Her­ren­wort: «Richtet nicht, dann werdet ihr nicht gerichtet wer­den. Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt wer­den.» Schliesslich ist da die merk­würdi­ge Frage aus Jesu Mund, mit welch­er das Evan­geli­um zu Ende geht: «Was geht das dich an? Du aber folge mir nach» (Johannes 21,22). Eine Prise Demut tut alle­mal gut.Peter von Sury, Abt des Benedik­tin­erk­losters Mari­astein
Redaktion Lichtblick
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