Im Taxi zur Kirche

Im Taxi zur Kirche

Nicht jed­er Men­sch ist mobil. Damit die Gläu­bi­gen am Woch­enende den­noch zur Kirche kom­men, kön­nen sie mancherorts ein Taxi rufen – die Rech­nung zahlt die Kirchge­meinde. Das Beispiel Wildegg.Blauer Him­mel, Sonne, grüne Wiesen. Über allem thront Schloss Wildegg. Die Park­plätze an der Kirche Sankt Anto­nius sind voll und durch die Hügel schlän­geln sich am Weges­rand parkierte Autos. Je später die Besuch­er des Patrozini­ums ankom­men, umso weit­er müssen sie zurück­laufen.

Fahrt durch sechs politische Gemeinden

Im Fall von Frau Bossinger, Frau Schmid oder dem Ehep­aar Kehl wird der Weg nicht länger. Sie wer­den bis fast vor den Ein­gang der Kirche chauffiert – TAXI ste­ht auf dem Dachschild des schw­eren sil­ber­far­be­nen Wagens. Am Steuer sitzt Roman Pletsch­er vom Taxi Chesten­berg. Seit rund zehn Jahren holt er unter anderen die genan­nten Per­so­n­en regelmäs­sig von zu Hause ab und fährt sie nach Wildegg zur Kirche. «Wir haben es immer recht lustig miteinan­der», sagt der 58-jährige reformiert­er Tax­i­un­ternehmer.Frau Bossinger und Frau Schmid nick­en. Es ist eine recht feste Fahrge­mein­schaft, die sich da während bis zu zehn Minuten Fahrt den Innen­raum des Wagens teilt. «Es hängt immer ein biss­chen vom Verkehr ab oder wieviel Baustellen es gibt», erk­lärt Roman Pletsch­er. Sechs poli­tis­che Gemein­den gehören zur Pfar­rei – Wildegg, Auen­stein, Brunegg, Holder­bank, Möriken, Nieder­lenz, Rup­per­swil – doch wenn der Gottes­di­enst mal in Lenzburg ist, fährt das Taxi die Gläu­bi­gen auch dor­thin. «Das fällt für uns unter Diakonie», wird Son­ja Berg­er später sagen.

Wegen strenger Auflagen: Taxi statt Kleinbus

Son­ja Berg­er, Pfar­reisekretärin in Sankt Anto­nius und deswe­gen nicht nur am Patrozini­um Ansprech­part­ner­in für alles, erk­lärt: «Ich bin seit 15 Jahren hier in der Pfar­rei tätig und das Taxi gibt es auf jeden Fall eben­so lang». Früher hätte die Pfar­rei einen eige­nen kleinen Bus gehabt und der Fahr­di­enst sei pri­vat organ­isiert gewe­sen. Doch mit den zunehmenden Vorschriften rund um die Per­so­n­en­be­förderung sei es prob­lema­tisch gewor­den.«Wir haben zunächst jeman­den gesucht, der das entsprechende Bil­let macht und den Fahr­di­enst weit­er­führt. Die Kirchge­meinde hätte die Kosten über­nom­men – doch es meldete sich nie­mand», erin­nert sich Son­ja Berg­er. Die Kirchge­meinde verkaufte also den Bus und schloss einen Deal mit einem lokalen Tax­i­un­ternehmer: Kirchgän­gerin­nen und Kirchgänger, die aus unter­schiedlichen Grün­den nicht mobil sind, kön­nen das Kirchen­taxi bestellen. Die Kirchge­meinde bezahlt die Rech­nung.Roland Häfliger, Pas­toral­raump­far­rer, sagt bere­its bei der ersten Anfrage: «Wir machen plus, minus nur gute Erfahrun­gen und unterm Strich kommt uns diese Abmachung kostengün­stiger als der Unter­halt des Busses».

Die Wege zum Gottesdienst werden länger

Natür­lich ist Sankt Anto­nius Wildegg nicht die einzige Pfar­rge­meinde, die in ihrer Geschichte auf die Idee mit dem Taxi­di­enst gekom­men ist. Auch die Pfar­rge­meinde Herz Jesu in Lenzburg hat eine Abmachung mit einem Tax­i­un­ternehmer und die dritte Pfar­rei im Pas­toral­raum Lenzburg, Sankt There­sia, Seon, arbeit­et – ähn­lich wie Wildegg das geplant hat­te – mit ein­er Pri­vat­per­son zusam­men. Wer sich bis jew­eils fre­itags meldet, wird gefahren. Diese let­zte Vari­ante bietet sich beson­ders für kleine Pfar­reien an. Und wer weiss, in welch­er der rund 122 Pfar­rge­mein­den im Aar­gau ähn­liche Ange­bote beste­hen.Vor dem Hin­ter­grund der per­son­ell bed­ingten struk­turellen Verän­derun­gen der Kirche ist eine Sorge, dass Gottes­di­en­ste vor Ort weg­fall­en und man für den Kirch­gang jew­eils län­gere Wege zurück­le­gen muss; im teils sehr ländlichen Aar­gau eine Her­aus­forderung für jeden Men­schen, der keinen Führerschein und keine Busan­bindung hat.

«Nutzt es – es steht euch zu!»

Pri­vate Absprachen für Fahrge­mein­schaften funk­tion­ierten zumin­d­est im Gebi­et Wildegg nicht – das sagt nicht nur Son­ja Berg­er, auch Roman Pletsch­er hat das fest­gestellt. Vielle­icht sei die Hemm­schwelle zu hoch, sich regelmäs­sig fest für eine Fahrt zur Kirche zu verpflicht­en, über­legt Son­ja Berg­er. Die Hem­mung, das Taxi zu rufen sei nach den ersten bei­den Malen meist weg, erzählt Roman Pletsch­er.«Wenn ich von jeman­dem höre, der Prob­leme hat zur Kirche zu kom­men, weise ich gerne auf den Taxi­di­enst hin. Er wird zwar regelmäs­sig im Pfar­rblatt abge­druckt, doch ein per­sön­lich­er Hin­weis hil­ft dann nochmals und die Leute haben ja einen Anspruch darauf», sagt Son­ja Berg­er mit einem Lächeln. Eine Ein­stel­lung, die Pfar­rer Roland Häfliger teilt: «Ich sage oft zu den Leuten: Das Taxi ist für euch da. Damit ihr zur Kirche kom­men kön­nt. Nutzt es – es ste­ht euch zu!»

Fahrgemeinschaften verbinden

Maria Anna und Richard Kehl, 86 und 87 Jahre alt, kamen auf­grund eines entsprechen­den Hin­weis­es zum Taxi. «Mein Mann hat vor zwei Jahren das Bil­let aus gesund­heitlichen Grün­den abgegeben. Wir wohnen unter­halb vom Schloss in Holder­bank und sind nicht mehr so gut zu Fuss, wie auch schon», erzählt Maria Anna Kehl. Sie ist in Luzern aufgewach­sen und der son­ntägliche Kirch­gang ist für sie wie auch für ihren Mann fes­ter Bestandteil des Lebens. «Wir sind dankbar, dass wir mit dem Kirchen­taxi die Möglichkeit haben, auch weit­er­hin zur Kirche zu kom­men», sagt Maria Anna Kehl zufrieden. Ihr Mann nickt.Auf dem Park­platz macht sich Roman Pletsch­er zur Abfahrt nach dem Gottes­di­enst parat. Frau Bossinger und Frau Schmid sitzen bere­its bequem im Wagen. Fast von Beginn des Tax­i­ange­botes an fahren sie mit Roman Pletsch­er mit. Ob er eine beson­dere Verbindung zu «seinen» Kirchen­tax­igästen habe, es ihn beispiel­sweise berühre, wenn ein­er stürbe? Roman Pletsch­er über­legt und sagt dann: «Klar entste­ht über die Jahre eine gewisse Verbindung. Ander­er­seits geht das Leben diese Wege». Etwas später, er ist für ein Foto aus dem Wagen aus­gestiegen, erzählt er noch ein biss­chen mehr und man hört deut­lich, dass ihm seine Kundin­nen und Kun­den am Herzen liegen.

Ideenschmiede beim Festessen

Im Innen­hof von Sankt Anto­nius feiert die ver­sam­melte Gemeinde der­weil bei gutem Essen und einem Glas Wein die Gemein­schaft nach dem Fest­gottes­di­enst. Son­ja Berg­er sitzt am Tisch und über­legt, dass «der Taxi­di­enst natür­lich ein Kosten­punkt ist, und das kön­nen sich Kirchge­mein­den, die finanziell weniger gut aufgestellt sind, vielle­icht nicht leis­ten».Doch sofort wird auch weit­er über­legt, was es noch für Möglichkeit­en geben kön­nte: Die Anto­niuskasse für diese Zwecke ver­wen­den; ein oder zwei Kollek­ten im Jahr aufnehmen oder vielle­icht auch Paten­schaften für Tax­i­fahrten anbi­eten. Vielle­icht auch nochmals in der Pfar­rei herum­fra­gen, ob sich Per­so­n­en für nur je ein­mal pro Quar­tal bere­it erk­lären, jeman­den zum Gottes­di­enst zu fahren. «Das», so sagt die Pfarrsekretärin, «würde ich sofort machen.»
Anne Burgmer
mehr zum Autor
nach
soben