Im Schat­ten des vol­len Dutzend

Im elf­ten Monat des Jah­res geht mit dem Christ­kö­nigs­fest das Kir­chen­jahr zu Ende. Grund genug, jener Zahl ein­mal genau­er nach­zu­spü­ren, zu der nicht nur die Solo­thur­ner eine ganz spe­zi­el­le Bezie­hung pfle­gen. Im Fuss­ball ist sie das Mass aller Din­ge, eben­so im Kar­ne­val. Doch letzt­lich steht die Elf fast immer im Schat­ten der Zwölf. Auch dort, wo wir es auf den ersten Blick nicht ver­mu­ten würden.Gros­se Faszination Zunächst ein­mal sind Zah­len abstrak­te, mathe­ma­ti­sche Objek­te, die seit der Urzeit dem Ver­ständ­nis von Grös­se einen Aus­druck ver­lei­hen. Über die­se Rol­le hin­aus erlang­ten sie wei­ter­füh­ren­de Bedeu­tung als Teil von Schöp­fungs­my­then und Über­lie­fe­run­gen. Inso­fern üben Zah­len eine gros­se Fas­zi­na­ti­on aus. Bei­spiels­wei­se umgibt die Drei­zehn die janus­köp­fi­ge Aura der Glücks‑, bezie­hungs­wei­se der Unglücks­zahl.Elf Ster­ne im Traum Bei den Zuni-India­nern aus Nord­ame­ri­ka heisst es über die Zahl Elf in einer Rede­wen­dung: «Alle Fin­ger und einer mehr aus­ge­streckt», was in einem über­tra­ge­nen Sinn viel­leicht so viel bedeu­tet wie: Mit der Elf bewe­gen wir uns über uns selbst hin­aus, in neue Sphä­ren. Was mag das bedeu­ten? Im Pessach-Lied, das sich der Rei­he nach der reli­giö­sen Bedeu­tung ver­schie­de­ner Zah­len wid­met, steht die Elf für die Ster­ne in Josefs Traum, den die­ser sei­nen (damals noch) elf Brü­dern erzählt. Als erst­ge­bo­re­ner Sohn von Jakobs Lieb­lings­frau Rahel wird Josef vom Vater bevor­zugt und des­we­gen von sei­nen eifer­süch­ti­gen Brü­dern nach Ägyp­ten in die Skla­ve­rei ver­kauft.Pessach-Lied Die Josefs-Geschich­te gibt das Prä­lu­di­um für den Aus­zug der Israe­li­ten ins gelob­te Land. Eine Hun­gers­not führt Jakobs Söh­ne nach Ägyp­ten, wo es Josef zum Stell­ver­tre­ter des Pha­ra­os gebracht hat. Die Brü­der wol­len Korn kau­fen, das es in Ägyp­ten dank Josefs vor­aus­schau­en­der Plan­wirt­schaft noch gibt. Es kommt zum Wie­der­se­hen. Anstel­le von elf, hat Josef mitt­ler­wei­le zwölf Brü­der, wie er erfährt. Das Dut­zend ist voll, die Zwölf steht für die Stäm­me Isra­els, so wird es auch im Pessach-Lied erklärt. Dank Ben­ja­min, dem Zwölf­ten, wird die Ver­söh­nung mög­lich, denn Josef sieht, als er sei­ne Brü­der mit dem Jüng­sten auf die Pro­be stellt, dass sie bereu­en. Die Geschich­te kann ihren Fort­gang neh­men. Gene­ra­tio­nen spä­ter leben die Nach­kom­men Jakobs als geknech­te­te eth­ni­sche Min­der­heit in Ägyp­ten. Mose befreit sie und führt sie nach Isra­el.Ben­ja­min und Judas Im neu­en Testa­ment steht die Elf in einer ähn­li­chen Wech­sel­wir­kung zur Zwölf. Die Geschich­te aus dem Buch Mose wie­der­holt sich unter ande­ren Vor­zei­chen. Anstel­le von zwölf Stäm­men fol­gen Jesus zwölf Jün­ger, von denen einer, Judas, mit­tels Ver­rat den Kreu­zes­tod und die Wie­der­auf­er­ste­hung über­haupt erst ermög­licht. Was Ben­ja­min für den Fort­gang der Geschicke Isra­els lei­stet, über­nimmt Judas gewis­ser­mas­sen für uns Chri­sten, in dem er Jesus ans Mes­ser lie­fert.Spä­te Genugtuung In Solo­thurn ist die Elf Pro­gramm, eine «hei­li­ge Zahl». Als elf­ter Stand der Eid­ge­nos­sen­schaft hat die Barock­stadt an der Aare ihre Elfer­be­zie­hun­gen syste­ma­tisch ent­wickelt. So gibt es in Solo­thurn elf Brun­nen, elf Plät­ze, elf Kir­chen und elf Kapel­len. Beim Neu­bau der berühm­ten St. Ursen-Kathe­dra­le hat­ten die Archi­tek­ten Gaet­a­no und Pao­lo Piso­ni zum Ende des 18. Jahr­hun­derts die Auf­la­ge, der Elfer­ma­gie zwin­gend Rech­nung zu tra­gen. Sie taten es. Nach elf Jah­ren Bau­zeit war das Werk voll­endet. Mit elf Altä­ren, elf Türen und je elf Stu­fen pro Lauf auf der maje­stä­tisch anmu­ten­den Frei­trep­pe. Spä­te Genug­tu­ung für eine Zahl im Schat­ten der Zwölf? Viel­leicht. Immer­hin endet im elf­ten Monat das Kir­chen­jahr mit dem Christ­kö­nigs­fest. Im Islam steht die Elf zudem sym­bo­lisch für die Grös­se Got­tes. Und Jahr für Jahr ver­schiebt sich Rama­dan um elf Tage.Mass aller Dinge Im pro­fa­nen Leben hat sich die Elf ihren Platz an der Son­ne bereits gesi­chert, wie es scheint. Der Kar­ne­val beginnt am 11. Novem­ber, dar­über hin­aus stellt die Elf im Fuss­ball­uni­ver­sum das Mass aller Din­ge. Doch Letz­te­res täuscht, zumin­dest auf den zwei­ten Blick. Das all­seits belieb­te Ball­spiel ori­en­tiert sich an den alten angel­säch­si­schen Mas­sen. Dem­nach waren elf Meter… genau: Zwölf Yards. Andre­as C. Müller
Redaktion Lichtblick
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