Im kunst­hi­sto­ri­schen Kreuzverhör

Im kunst­hi­sto­ri­schen Kreuzverhör

  • Bis vor Kur­zem wuss­te nie­mand mehr, wel­che Hei­li­gen die drei Reli­qui­en­bü­sten in der Pfarr­kir­che St. Mau­ri­ti­us in Wölf­lins­wil darstellen.
  • Edith Hun­zi­ker ver­rät, wie die Kan­to­na­le Denk­mal­pfle­ge mit detek­ti­vi­schem Spür­sinn die Iden­ti­tät der drei Büsten enthüllte.
  • Die Kunst­hi­sto­ri­kern berich­tet von gesun­dem Miss­trau­en, ver­staub­ten Rats­pro­to­kol­len und dem Jauch­zer der Erlösung.
 Dich­te brau­ne Locken, ein gekräu­sel­ter Bart und edle Brust­pan­zer aus Gold und Sil­ber. Stolz thro­nen die drei Män­ner auf dem Hoch­al­tar der Wölf­lins­wi­ler Kir­che und fixie­ren die Ein­tre­ten­den mit festem Blick. Ein leicht spöt­ti­scher Zug liegt um ihren Mund. Und die­ser Mund bleibt – o Jam­mer! – fest ver­schlos­sen. Könn­ten Sie doch spre­chen, die­se Büsten. Könn­ten Sie uns doch ihre Namen ver­ra­ten und uns erzäh­len, wes­sen Kno­chen sie bewa­chen!Bis vor Kur­zem wuss­te nie­mand mehr, wel­che Hei­li­gen mit den drei Reli­qui­en­bü­sten aus dem 17. Jahr­hun­dert gemeint sind, die in der Pfarr­kir­che St. Mau­ri­ti­us in Wölf­lins­wil auf­be­wahrt wer­den. Doch dann kam eine, die den drei Män­nern mit Hart­näckig­keit und detek­ti­vi­schem Spür­sinn auf die Schli­che kam. Edith Hun­zi­ker nahm die drei bär­ti­gen Ker­le sozu­sa­gen ins kunst­hi­sto­ri­sche Kreuz­ver­hör.

Noch feh­len drei Bände

Edith Hun­zi­ker ist Kunst­hi­sto­ri­kern bei der Kan­to­na­len Denk­mal­pfle­ge. Zusam­men mit Susan­ne Rit­ter-Lutz arbei­tet sie an der Inven­ta­ri­sie­rung der Kunst­denk­mä­ler im Kan­ton Aar­gau. Aus ihrer For­schungs­ar­beit ent­ste­hen die Tex­te für die Aar­gau­er Bän­de der Rei­he «Kunst­denk­mä­ler der Schweiz». Die spöt­tisch drein­blicken­den Büsten in Wölf­lins­wil sind Teil des Ban­des «Lau­fen­burg», den die bei­den Kunst­hi­sto­ri­ke­rin­nen momen­tan abschliessen.Wenn er im Herbst 2019 erscheint, feh­len zum Abschluss der Erstin­ven­ta­ri­sie­rung der Aar­gau­er Kunst­denk­mä­ler nur noch die zwei Bän­de zum Bezirk Zurz­ach.

Schau­en, was Bedeu­tung hat

Der ein­schüch­tern­den Auf­ga­be, alle kunst­hi­sto­ri­schen Schät­ze eines Bezirks in Text und Bild erfas­sen zu müs­sen, begeg­net Edith Hun­zi­ker mit hei­te­rer Gelas­sen­heit. Zuerst ein­mal geht sie vom bereits vor­han­de­nen Mate­ri­al aus. Die Denk­mal­pfle­ge Aar­gau wird heu­er 75 Jah­re alt und ver­fügt über umfang­rei­ches Mate­ri­al zu den Objek­ten im Kan­ton. Ver­zeich­nis­se, Bro­schü­ren und Fach­bü­cher geben Edith Hun­zi­ker einen ersten Über­blick. «Neben den bekann­ten Objek­ten, die wir selbst­ver­ständ­lich auf­neh­men müs­sen, haben wir einen gewis­sen Hand­lungs­spiel­raum», sagt Edith Hun­zi­ker. «Wir schau­en, was Bedeu­tung hat und neh­men allen­falls auch ein Bau­ern­haus ins Inven­tar auf», erläu­tert sie.

«Wenn wir das nicht machen, macht’s kei­ner mehr»

Bei der Sich­tung und Bear­bei­tung des Mate­ri­als zwei­felt Edith Hun­zi­ker grund­sätz­lich an jeder Infor­ma­ti­on. «Ich pfle­ge ein gesun­des Miss­trau­en», fasst sie ihre Arbeits­hal­tung zusam­men. Zum Bei­spiel bei der Lek­tü­re einer Bro­schü­re über die Kir­che Lau­fen­burg: «Wir lei­sten wis­sen­schaft­li­che Basis­ar­beit, suchen im Nach­hin­ein die Quel­len für die publi­zier­ten Infor­ma­tio­nen und veri­fi­zie­ren die Aus­sa­gen. Wenn wir das jetzt nicht machen, nimmt sich nach­her nie­mand mehr Zeit dafür.» Und aus Erfah­rung weiss die Kunst­hi­sto­ri­ke­rin: Ist im einen Buch etwas als Ver­mu­tung for­mu­liert, steht es im näch­sten bereits als Tat­sa­che. «Ver­mu­tun­gen ver­fe­sti­gen sich mit der Zeit zur ver­meint­li­chen Gewiss­heit.»So stell­te sich die Ver­mu­tung, die Lau­fen­bur­ger Sei­ten­al­tä­re stamm­ten vom Erbau­er des Hoch­al­tars, als falsch her­aus. Edith Hun­zi­ker durch­kämm­te Rats­pro­to­kol­le aus dem Lau­fen­bur­ger Stadt­ar­chiv. Ein dicker Sta­pel Papier, ver­schnör­kel­te Buch­sta­ben dicht an dicht. Ein Regi­ster fehlt gänz­lich. Doch Edith Hun­zi­ker kann die alte Schrift ent­zif­fern. Sie kann die Suche anhand der ver­mu­te­ten Ent­ste­hungs­zeit der Altä­re ein­gren­zen. Und fin­det schliess­lich den ent­schei­den­den Ein­trag. Das Pro­to­koll hält fest, dass der Altar­bau­er Fein­lein aus Walds­hut die Altä­re lie­fer­te und man anschlies­send mit ihm Mit­tag­essen ging.

For­scher-Gen

«Glück und Spür­na­se!», freut sich Edith Hun­zi­ker. Man müs­se der Typ dazu sein: «Wenn man das For­scher-Gen hat, macht die­se Arbeit Freu­de.» Sie mache auch ger­ne Puz­zles mit rich­tig vie­len Teil­chen, da gehe am Schluss jeweils alles so schön auf. Bei der Inven­ta­ri­sie­rung feh­le jedoch manch­mal das letz­te Teil­chen. Dafür gibt aber auch jede Ent­deckung einen neu­en Refe­renz­punkt, die Erfah­rung wächst. Und die Erfah­rung ist ent­schei­dend.

Der Jauch­zer im Archiv

Auf der Spur der drei bär­ti­gen Büsten kam Edith Hun­zi­ker ins Pfarr­ar­chiv von Wölf­lins­wil. Dort muster­te Edith Hun­zi­ker die Buch­rücken. «Etwa einen Meter» mass die Strecke auf dem Bücher­re­gal, die sie durch­for­sten muss­te. Doch ihre Erfah­rung liess sie am rich­ti­gen Ort zuerst suchen: «Ich sah ein Buch der Rosen­kranz­bru­der­schaft und wuss­te, dass Bru­der­schaf­ten oft Reli­qui­en stif­te­ten.»Und tat­säch­lich, gegen Schluss der Hand­schrift erschien ein viel­ver­spre­chen­der Ein­trag, näm­lich ein «Ver­zeich­nis aller Gut­tä­ter (…) gegen­über der löb­li­chen Bru­der­schaft hier in Wölf­lins­wil 1665». Edith Hun­zi­ker jauchz­te vor Freu­de. Die Lösung des Rät­sels war gefun­den. Die Hand­schrift zähl­te auf, wer Geld­be­trä­ge für die drei Reli­qui­en­bü­sten gespen­det hat­te. «An Sant Mau­rit­zen brust­bilt gibt…» ein gewis­ser Franz Chri­stoph Schid eine Duplo­ne. «An Sant Dur­sen brust­bilt gibt…» ein Namens­vet­ter des Hei­li­gen, Urs Mar­ti, eben­falls eine Duplo­ne. Zur Sta­tue des hei­li­gen Vik­tor heisst es sinn­ge­mäss: den Vic­tor haben Leon­hard Her­zog und sein Sohn Peter Her­zog machen las­sen. Mit dem Wis­sen, dass «Durs» Urs bedeu­tet, war die Iden­ti­tät der drei Büsten geklärt. Zum hei­li­gen Mau­ri­ti­us, dem Kir­chen­pa­tron der Wölf­lins­wi­ler Kir­che, gesell­ten sich die Hei­li­gen Urs und Vik­tor. Die drei gehör­ten der Legen­de nach um das Jahr 300 zur so genann­ten «The­bäi­schen Legi­on» einer Ein­heit des römi­schen Hee­res. Alle drei wei­ger­ten sich, an der Ver­fol­gung von Chri­sten teil­zu­neh­men und wur­den dafür ermor­det. Mau­ri­ti­us in St. Mau­rice, Urs und Vik­tor etwas spä­ter in Solo­thurn.

Wer ist wer?

Wel­cher der drei Kraus­haa­ri­gen wel­cher Hei­li­ge ist, kann nicht abschlies­send beur­teilt wer­den. Edith Hun­zi­ker hat zwar Ver­mu­tun­gen und Argu­men­te. Aber als Wis­schen­schaft­le­rin will sie hieb- und stich­fe­ste Bewei­se. Wer weiss, ob sie den drei Büsten im kunst­hi­sto­ri­schen Kreuz­ver­hör auch die­se Infor­ma­ti­on ent­locken kann? Die gan­ze Geschich­te rund um die rät­sel­haf­ten Reli­qui­en­bü­sten von Wölflinswil.Den News­let­ter der Denk­mal­pfle­ge kön­nen Sie hier abonnieren.
Marie-Christine Andres Schürch
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